Bomben und Spiele

Am 5. September entscheidet das IOC, ob die Olympiade 2004 an Stockholm vergeben wird

Um eine Olympiade veranstalten zu dürfen, reicht es schon lange nicht mehr aus, erstklassige Sportstätten zu bauen und über einen großen Etat zu verfügen. Besonders die Funktionäre des Internationalen Olympischen Komitees, IOC, haben nämlich große Angst um ihre Sicherheit; ein Blutbad während der Spiele würde extrem negative Schlagzeilen bringen. Unter Punkt sechs des von den Olympiabewerbern auszufüllenden Fragebogens, betitelt "Security", verlangt das IOC detailliert Auskunft über die Sicherheit der potentiellen Olympiastadt. Eine Erklärung der nationalen Autoritäten etwa, daß keine Bedrohung durch activist minorities oder terrorist groups existiert, Kriminalstatistiken und Pläne zur Verbrechensbekämpfung sind erforderlich.

Der südafrikanische Bewerber Kapstadt mußte so in seiner Antwort an das Olympische Komitee zugeben, daß nach Auffassung der Regierung "Verbrechen und Sicherheit Themen sind, die große Bedeutung für das Alltagsleben aller Südafrikaner haben". Neben einer Aufzählung aller Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung betonte man allerdings, daß die "südafrikanische Polizei einem dramatischen Wandel unterzogen wurde", mit "positivem Resultat". Weiter versichert man, daß die Sicherheitsrisikien in Kapstadt eher gering einzuschätzen seien. Gegen economic crimes sei eine Sondereinsatzgruppe gebildet worden, Erdbeben und Hurricanes könnten ausgeschlossen werden, ebenso wie terroristische Akte oder Anschläge verwirrter Einzeltäter. 30 000 speziell trainierte Personen würden für die Sicherheit der olympischen Gäste sorgen - "viele VIP-Besucher, unter ihnen Königin Elizabeth, Papst Johannes Paul II., Kanzler Helmut Kohl ... haben Südafrika bislang ohne Sicherheitsprobleme bereist".

Andere Bewerber konnten in ihrer Bewerbung an das IOC stolz auf wesentlich weniger Sicherheitsprobleme verweisen. In Stockholm etwa, das 2004 Spiele unter dem Motto "Feel the Light", in sauberer Luft und sicherer Umgebung, veranstalten möchte, sah man die Bewerbung lange Zeit durch nichts beeinträchtigt. Die lokale NOlympics-Bewegung argumentierte zwar mit der schlechten wirtschaftlichen Lage, in der Schweden sich derzeit befinde und die Ausgaben in Milliardenhöhe nicht erlaube, zeigte sich allerdings nicht besonders militant. Dann jedoch kam es zu einer Reihe von Bombenanschlägen. Am 25. August hatte es die Pressetribüne des Göteborger Ullevi-Stadion getroffen, in dem 1995 die Leichtathletik-WM ausgetragen worden war. Auch im alten Stockholmer Olympiastadion explodierte ein Sprengsatz - wie schon in Göteborg spät nachts, so daß Menschenleben nicht in Gefahr waren. Wer hinter diesen Anschlägen steckt, ist jedoch unsicher. In Briefen an eine brasilianische englischsprachige Tageszeitung und das Londoner Büro der Nachrichtenagentur AP übernahm die Gruppe "Vi som byggde Sverige" (VSBS - zu deutsch etwa: Wir, die wir Schweden aufbauten) die Verantwortung. VSBS war erstmals kurz vor dem letzten verkaufsoffenen Samstag vor Weihnachten des letzten Jahres mit einer Bombendrohung an die Öffentlichkeit getreten. Damals forderte man die Schweden in einschlägiger Nazi-Terminologie auf, auf den Kaufrausch zu verzichten, da es sich bei diesem Fest u. a. um ein unschwedisches handele, ansonsten werde eine in einem Einkaufszentrum versteckte Sprengladung hochgehen. Die Bedrohten ließen sich jedoch nicht einschüchtern, erledigten in aller Ruhe letzte Einkäufe und nichts passierte.

Nun ist VSBS wieder da, diesmal mit einer Erklärung, in der es heißt: "Wir stehen bereit, Carl Lewis oder jeden anderen Nigger, der sich für die Olympiabewerbung Stockholms stark macht, zu erschießen." Weiter kündigte man an, wenn die Bewerbung Erfolg hätte, auf Menschenleben keine Rücksicht mehr zu nehmen, dann könne sehr gut "eine Handgranate in einem vollbesetzten Fußballstadion explodieren".

Die schwedische Polizei zeigte sich von den Bekennerbriefen wenig beeindruckt. Zum einen seien sie erst nach den Anschlägen abgeschickt worden, zum anderen größtenteils in englischer Sprache abgefaßt, die deutlich besser beherrscht würde als das Schwedische, das nur in einem kurzen Absatz verwendet worden war. "Wir sind uns ziemlich sicher, daß es sich um Nazis handelt, die als Trittbrettfahrer Publizität für ihr ekelhaftes Gedankengut erreichen wollten", verlautete aus Polizeikreisen.

Trotzdem nimmt man die Drohungen ernst, die SäPo, die Sicherheitspolizei, die allerdings schon bei der Aufklärung des Attentats auf Olof Palme kläglich versagt hatte, zog den Fall an sich, in der vorigen Woche wurden Kriminaltechniker von Scotland Yard in die Ermittlungen eingeschaltet. Erste Untersuchungen des Sprengmaterials ergaben, daß die Bomben von Göteborg und Stockholm baugleich sind.

Und die schwedische Olympia-Bewerbung wohl massiv stören. Zwölf Milliarden Kronen, umgerechnet etwa drei Milliarden Mark beträgt das schwedische Olympia-Budget, mit dem man einen Gewinn von 200 Milliarden Kronen erzielen wollte. Ökologische Spiele sollten es werden, die Hauptwettkampfstätte wurde aus Umweltschutzgründen verlegt, die Bedrohung allerdings könnte sich, egal welche Gruppe nun als Täter ermittelt wird, sehr negativ auf die Bewerbung auswirken. Juan Antonio Samaranch hatte anläßlich der Überreichung einer Statue (eine Pistole mit verknotetem Lauf) an das Komitee durch Kronprinzessin Viktoria erklärt, daß das IOC gegen Gewalt und Terror sei und daher Schwierigkeiten habe, zu verstehen, was in Schweden passiert sei. Der gleichzeitig anwesende Pressechef der Stockholmer Bewerbung, Finn Persson, gewann dem großen Interesse der IOC-Mitglieder an der Sicherheit in Schweden allerdings auch positive Seiten ab: "Sie haben so viele Fragen gestellt - ich glaube, daß das sehr gut für uns gewesen sein kann."

Im Juli hatten immerhin neun von 14 befragten internationalen Sportverbänden erklärt, daß Stockholm ihrer Meinung nach am besten auf die Spiele vorbereitet sei. Die Abstimmung am 5. September in Lausanne wird allerdings mit großer Sicherheit nicht Schweden zur übernächsten Olympiastadt machen. In einer Umfrage unter Sponsoren und Journalisten lag Rom ganz vorne, nicht nur aufgrund der "großartigen Lobbyarbeit", sondern auch aufgrund des angebotenen Ambientes, der technischen Möglichkeiten und der guten Vorbereitungen. Aber auch Athen hat gute Chancen, schließlich hatte man 1996, anläßlich des 100. Geburtstages der Spiele der Stadt die so sicher geglaubte Olympiade nicht zugeteilt, sondern Atlanta vorgezogen. Das daraufhin eine Olympiade veranstaltete, mit der niemand zufrieden war.