Furcht und Schrecken in New York

Weil die Polizei einen Haitianer folterte, steht sie unter Rechtfertigungsdruck

New Yorks Polizisten sind wahre Freunde und Helfer. Insbesondere in den Armenvierteln der Millionen-Metropole sorgen sie mit starker Präsenz für des Staates höchsten Wert: Ruhe und Ordnung. Seit 1990 sei die Kriminalitätsrate um mehr als die Hälfte, Morde gar um 63 Prozent gesunken, so das stolze Ergebnis eines Polizeiprogramms von Bürgermeister Rudolph Giuliani und dem ehemaligem Polizeipräsidenten William Bratton. Hauptsächlich Migranten zeigen den uniformierten Ordnungshütern daraufhin die Saugheber - volkstümlich auch Klostuker genannt. Mindestens 7 000 von ihnen zogen am 29. August durch die Straßen New Yorks. Im Zeichen des Saughebers protestierten sie gegen Polizeibrutalität.

Vorausgegangen war Mitte des Monats ein Einsatz im Stadtteil Brooklyn. Zur Schlichtung eines Streits vor einem Nachtclub gerufen, sorgten zwei Beamte für Ordnung und Zufriedenheit und verhafteten den 30jährigen Abner Louima aus Haiti. Dieser habe, so ein Polizeisprecher, einen der Uniformierten niedergeschlagen. Empört über die Mißachtung ihrer berufsmäßigen Autorität, wurde der in Handschellen gelegte Festgenommene bereits auf dem Weg zur Wache geschlagen. Damit das Auto von den Kopfnüssen nicht so wackelte, hielt man dafür in einer abgelegenen Straße. Dann begab man sich ins Polizeirevier, wo dem Haitianer bereits in der Eingangshalle alle Hosen ausgezogen wurden. Ein besonders eifriger Polizist schob den Festgenommenen schließlich in den Toilettenraum und zog sich Gummihandschuhe über. Dann griff er sich den staatlichen Saugheber, rammte dessen Stil erst in das Hinterteil des Opfers und danach in den Mund. Eingeweide und Zähne wurden gleichermaßen verletzt, Louima mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Dort berichtete er in verständlichstem Englisch den Ärzten von seinem Erlebnis in Polizeigewahrsam. Obgleich ihm der handhabende Polizist für diesen Fall gar ein Morderlebnis angekündigt hatte.

Durch die Proteste zur Reaktion gedrängt, bemühen sich Bürgerrechtler und Politiker bis hin zu Präsident Bill Clinton um Ursachenanalyse und ein möglichst schnelles Handeln. Eine nicht geringe Anzahl von New Yorks männlichen und weiblichen Ordnungshütern - insgesamt 38 000 an der Zahl - gehört jedoch schwarzen, hispanischen, asiatischen und haitianischen Minderheiten an. All ihre Vertreter verdammen die Tat ihrer weißen Kollegen, bezeichnen sie aber zugleich als Einzelfall. Dennoch befürworten sie das vom Bürgermeister für die kommenden sechs Monate eingerichtete Programm, das New Yorks übereifrigen Beamten menschliches Benehmen beibringen soll, als wichtigen Lernprozeß. Außerdem soll eine Sonderkommission den Fall aufklären.

Die haitianische Minderheit will den Fall nicht so einfach abtun, schließlich berichten mehrere Landsmänner Louimas von weiteren "Einzelfällen". So organisieren sie Protestmärsche zu Polizeistationen oder schwenken mit den besagten Saughebern. Rund 1,5 Millionen Haitianer leben in den USA und bilden eine der stärksten neuen politischen Kräfte unter den Einwanderern. Die annähernd 500 Millionen Dollar, die von ihnen jährlich an ihre Familien in Haiti fließen, beeinflussen die Infrastruktur des Inselstaates wesentlich.

Manche versuchen Kapital aus dem Fall zu schlagen. Nicht nur sind die Saugheber ein begehrter Artikel geworden und dadurch im Preis teilweise auf das Dreifache gestiegen. Vor allem profilsüchtige Politiker und Anwälte stürzen sich auf die einmalige Gewinnchance. Da Wahlen zum Bürgermeisteramt anstehen, feilschen die Kandidaten jetzt um das Vertrauen der Haitianer via Abner Louima. Der großmäulige Reverend Al Sharpton griff sich den fotogenen Boxpromoter Don King und legte mit Hilfe von dessen Scheckbuch 9 000 Mark in Louimas Hand. Allerdings erst, als alle Kameras bereit waren. Und der spendable Bürgermeister Guiliani kam für die Krankenhauskosten des mißhandelten Haitianers auf.

Die Familie des Opfers streitet hinter den Kulissen bereits um die Anwälte. Die einen wollen erfahrene weiße Juristen und eine gute politische Lösung, die anderen bevorzugen westindische Rechtsbeistände oder O. J. Simpsons schwarzen Staranwalt Johnnie Cochran. Dieser könnte den Fall garantiert zum nationalen Superspektakel machen und mehr als die bisher geforderte Entschädigung, umgerechnet knapp 100 Millionen Mark, herausholen. Man spricht bereits von über 825 Millionen Mark - die sicher nicht nur auf Louimas Bankkonto landen würden.