Wer zieht Ossibär das Fell ab?

Die PDS eröffnet den Wahlkampf um ihren Wiedereinzug in den Bundestag. Wie immer geht es diesmal um alles
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Während die SPD sich zunehmend um die Gunst rechter WählerInnen bemüht, haben die Grünen angekündigt, den "Kampf um die politische Mitte" führen zu wollen. Die PDS hat nun diese Parole bereitwillig aufgegriffen. Es gibt eine "Mitte-Links-Tendenz", analysierte Parteichef Lothar Bisky Ende August auf einem Wahlkongreß der PDS in Berlin die europäische Entwicklung zugunsten sozialdemokratischer Parteien. Zu dieser Tendenz gehöre, ob gewollt oder nicht, in Deutschland auch die PDS. Ziel der Demokratischen Sozialisten müsse sein, "Links gegenüber der Mitte zu stärken".

Wie das aussehen soll, ist allerdings auch nach dem Wahlkongreß nicht so richtig absehbar. Einerseits will die PDS bundespolitisches Profil gewinnen und tritt jetzt mit dem Beinamen "PDS - Die Sozialisten" auf. Damit wird ein Unterschied zu SPD und Grünen behauptet; ein Argument auch für Westdeutsche, die PDS zu wählen. Geworben werden soll für eine sozialistische Partei, wie sie in anderen europäischen Ländern zum parlamentarischen Alltag gehört. Biskys Lieblingsvorbild ist dabei die italienische Rifondazione Comunista, zu der ebenso wie zur Kommunistischen Partei Frankreichs enge Kontakte bestehen.

Andererseits setzt die PDS im bevorstehenden Bundestagswahlkampf auch wieder vermehrt auf ihren Ostcharme. Vier Schwerpunktforderungen schlägt Bisky für die Wahlkampfzeit vor. Punkt eins lautet: "Schluß mit der ostdeutschen Diskriminierung - Gerechtigkeit und Würde ohne ideologische Beschränkungen!" Die PDS soll sich von den "Bonner Parteien" (Bisky) unterscheiden. Aufgebaut wird ein Bild, nach dem CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne westliche, von der "Bonner Republik" geprägte Parteien seien, die PDS hingegen, so Bisky, "die erste Partei der Berliner Republik", die einzige dem Vereinigungsprozeß entsprungene und der neuen Situation Deutschlands entsprechende Partei. Die vom grünen Fraktionssprecher Joseph Fischer zuweilen gebrauchte und von der PDS begeistert aufgegriffene Bezeichnung bundesdeutscher Wirtschaftspolitik als "rheinischer Kapitalismus" paßt ins selbe Bilderbuch.

Die PDS bietet sich der SPD und den Grünen als mögliche Partnerin bei einer Regierungsbildung an. "Kohl muß weg!" ist eine der Hauptlosungen, die die PDS im Wappen führen will. Der Argumentation der Grünen und auch der SPD, nach der jede Stimme für die PDS eine Ablösung von Kohl unwahrscheinlicher mache, will man unbedingt den Wind aus den Segeln nehmen.

Denn Union und FDP werden in diesem Wahlkampf noch einmal alles geben, um einen erneuten Einzug der PDS in den Bundestag zu verhindern. Es ist die letzte Chance. Sollte sich die PDS noch einmal durchsetzen, hätte sie es vermutlich geschafft. Dann wäre ihr der Platz im parlamentarischen System zunächst nicht mehr streitig zu machen, Ausgrenzungen würden immer weniger erklärbar und die Gelder für die parteinahe Stiftung könnten der PDS mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr vorenthalten werden. Auch die PDS weiß, daß für sie fast alles von der kommenden Bundestagswahl abhängt. Ein Aus in Bonn würde den Abstieg der PDS zur Regionalpartei Ost bedeuten. Wahlkampfchef André Brie faßt das in den Worten zusammen: "Wahlkampf ist nicht alles, aber nichts ist wichtiger."

Kein Wunder, daß die Sozialisten alles nach vorne werfen, was sie aufzubieten haben. Das drückt sich vor allem in den Kandidaturen aus. Erstmals werden sich der Parteivorsitzende Lothar Bisky und sein Stellvertreter Wolfgang Gehrcke um einen Sitz im Bundestag bewerben. Auch Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch überlegt, diesen Schritt zu wagen. Zum ersten Mal tritt auch Roland Claus für Bonn an, der nicht nur in der eigenen Partei angesehene Landeschef aus Sachsen-Anhalt, der dieses Amt abgeben wird. Die in der Partei ebenfalls höchst populäre Ökonomin Christa Luft aus dem Bundesvorstand kandidiert erneut. Damit wäre praktisch die gesamte Parteispitze in der Bundestagsfraktion vertreten. Parteipolitik würde in noch viel höherem Maße als schon jetzt in Bonn gemacht werden. Eine Entwicklung, die viele an der Basis mit Sorge betrachten. Schon heute hat die Bundestagsgruppe mit ihrem Vorsitzenden Gregor Gysi einen enormen Einfluß auf die gesamte Parteipolitik.

Weil der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde nach wie vor ungewiß ist, will die PDS um insgesamt sieben Direktmandate kämpfen, davon allein fünf in Ostberlin. In Marzahn-Hellersdorf tritt wie gewohnt Gregor Gysi an, in Lichtenberg-Friedrichshain wie 1994 Christa Luft. Um Pankow-Weißensee bewirbt sich erneut Manfred Müller, der trotz seiner wenig solidarischen Worte zu Krenz und Co. von den Bezirksgruppen wieder akzeptiert wird. In Treptow-Köpenick scheiterte 1994 Hans-Peter Hartmann, der als Nachrücker für Stefan Heym im Bundestag sitzt und nicht wieder kandidiert, mit 400 Stimmen gegen den SPD-Kandidaten. Nun bewirbt sich erstmals der Parteivorsitzende Lothar Bisky, der in diesem Bezirk auch sein Zuhause hat. Die Absicherung über eine Landesliste lehnte er ab.

Unklar ist nach wie vor, wer im heiß umkämpften künftigen Regierungsbezirk Mitte-Prenzlauer Berg gegen den Sozialdemokraten Wolfgang Thierse antreten wird. Ein Prominenter wie Stefan Heym 1994 steht bisher nicht zur Verfügung. Parteichef Bisky hatte eine Kandidatur in Mitte abgelehnt, weil die SPD das als zu aggressive Kampfansage hätte verstehen müssen. Für beide Seiten wäre im Fall einer Niederlage der Gesichtsverlust zu groß. Bisky erklärte gegenüber Jungle World: "Das hätte uns die SPD nie verziehen."

Ob eines der drei bisher strikt geheimgehaltenen prominenten Nicht-PDS-Mitglieder, die als "bunte Truppe" für die Partei kandidieren sollen, und von denen André Brie bereits feste Zusagen hat, in Berlin-Mitte antreten wird, ist noch offen. Gekämpft wird auch um Direktmandate in Rostock und Schwerin. Im Wahlkreis Rostock, der, wie Brie der Jungle World sagte, als "ziemlich aussichtsreich" gilt, tritt der Fachbereichsleiter für Veterinärmedizin an der Universität Rostock, Prof. Wolfgang Methling an, der auch Mitglied des Landesvorstandes ist. In Schwerin kandidiert die Stadtvorsitzende der PDS, Angelika Grambkow. Auch Potsdam gilt als Option: Sollte es so aussehen, daß Rolf Kutzmutz von der PDS die Nase vorn haben könnte, soll auch dort ein Wahlkampfschwerpunkt gesetzt werden. Nicht wieder in den Bundestag wollen Gerhard Zwerenz, Günther Maleuda, Dagmar Enkelmann, Steffen Tippach und Andrea Gysi. Willibald Jacob und Heinrich Graf von Einsiedel überlegen noch.

Gerne kandidieren würde dagegen der Ehrenvorsitzende der PDS, Hans Modrow. Er hat sich sogar in der Diskussion um die vakante Stelle in Mitte ins Spiel gebracht. Doch so sehr man in der PDS bemüht ist, Modrow für die Ostklientel bei der Stange zu halten, so wenig will man, daß er sich in die aktuelle Politik einmischt. Schon 1995 bekam er vom Landesverband Berlin eine Abfuhr, als er für das Abgeordnetenhaus kandidieren wollte. Falls er sich für die Bundestagswahl bewirbt, gilt deshalb als wahrscheinlich, daß er es nicht in Berlin tun wird.