Das erste KZ Deutschlands

Während für das repräsentative Holocaust-Denkmal in Berlin Millionen vorgesehen sind, ist für die Gedenkstätte in Dachau kein Geld da

Eigentlich hätten die Bauarbeiten in der KZ-Gedenkstätte Dachau schon im Januar dieses Jahres beginnen sollen. Ein international besetzter Fachbeirat hatte bereits im vergangenen Jahr sein Konzept für eine Neugestaltung des ehemaligen Konzentrationslagers vorgelegt, das Kultusministerium hatte dieses gebilligt, das Bayerische Haus der Geschichte war mit der Umsetzung beauftragt worden. Doch nun liegt das Projekt auf Eis. Der Umbau droht am Geld zu scheitern: 14 Millionen Mark soll die Neugestaltung kosten, bislang hat der Freistaat Bayern lediglich achteinhalb Millionen in Aussicht gestellt. Wo die übrigen Mittel herkommen sollen, ist offen. Daß sich der Bund, wie von der Gedenkstättenleitung gefordert, an der Finanzierung beteiligen wird, ist zweifelhaft. Denn während für das repräsentative Holocaust-Mahnmal vor dem Berliner Reichstag Millionen vorgesehen sind, müssen die dezentralen Gedenkstätten mit immer knapper werdenden Mitteln auskommen.

700 000 Menschen, vor allem Jugendliche, besuchen jährlich das Gelände im Osten Dachaus, auf dem Heinrich Himmler, der kurz zuvor eingesetzte Polizeichef von München, am 30. März 1933 das erste KZ in Deutschland einrichtete - ein Muster für das Netz von Konzentrations- und Vernichtungslagern, mit denen die Nationalsozialisten zuerst Deutschland und später die im Zweiten Weltkrieg besetzten Länder überzogen. "Die Blutspur führt von Dachau nach Auschwitz", sagt der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, Max Mannheimer, der die Lager Theresienstadt, Auschwitz und Dachau überlebte. Bis zur Befreiung durch die Amerikaner wurden in Dachau über 200 000 Menschen inhaftiert, zunächst vor allem politische Häftlinge, später auch Juden, Sinti und Roma, Geistliche und Homosexuelle. Zehntausende überlebten die Lagerhaft nicht, wurden erschlagen, erschossen, schufteten sich zu Tode, starben an Flecktyphus und anderen Seuchen oder wurden bei den medizinischen Versuchen der KZ-Ärzte ermordet. Die gegen Ende des Krieges gebauten Gaskammern des Lagers wurden zwar nie in Betrieb genommen. Die Sterberate war indes auch ohne sie so hoch, daß das Krematorium im Krieg erweitert werden mußte - die Kapazität reichte für die unzähligen Toten nicht mehr aus.

"Die Stadt Dachau hat sich erst sehr spät zu ihrer Geschichte bekannt", sagt Max Mannheimer. "Die Bevölkerung leidet unter dem Stigma des Namens Dachau, der in der ganzen Welt ein Synonym für die Verbrechen der Nazis geworden ist." Erst der im vergangenen Jahr neu gewählte Bürgermeister versucht nun die Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren, indem er etwa Delegationen von ehemaligen Häftlingen empfängt, wovor sich seine Amtsvorgänger stets gedrückt hatten.

Auch die Initiative zur Errichtung der Gedenkstätte vor mehr als drei Jahrzehnten kam von außerhalb - von den ehemaligen Häftlingen, die im Internationalen Dachau-Komitee zusammengeschlossen sind. Die Häftlinge waren es, die die Ausstellung im ehemaligen Wirtschaftsgebäude des KZ gestalteten. 32 Jahre alt ist diese Exposition mittlerweile, die vor allem mit großen Fototafeln und Faksimiles von Zeitungsartikeln, Briefen und Befehlen der KZ-Leitung arbeitet. Sie soll nun komplett neu gestaltet und den Wahrnehmungsformen der jüngeren Besucher angepaßt werden. "Die Gedenkstätten in Deutschland müssen vor allem Lernorte sein", betont Mannheimer, der die Umgestaltung ausdrücklich begrüßt. "Das Interesse der Jungen ist heute viel größer als früher. Sie wollen wissen, was ihre Großväter getan haben und warum." Neben der Umgestaltung der Ausstellung ist geplant, den derzeitigen Eingang der Gedenkstätte zu verlegen, so daß die Besucher in Zukunft denselben Weg zurücklegen werden wie die Häftlinge, die im Lager ankamen: Durch das ehemalige Torhaus, dessen Tor noch heute die Aufschrift trägt: "Arbeit macht frei". Daneben soll auch der "Bunker", das ehemalige Gefängnis des Lagers, für die Besucher erschlossen werden.

Was von den ostdeutschen Gedenkstätten ganz selbstverständlich verlangt wird - die Aufarbeitung der "doppelten Vergangenheit" der ehemaligen KZ, ihre spätere Nutzung als Internierungslager für NS-Verbrecher durch die Alliierten -, wird in Dachau allerdings auch nach der geplanten Umgestaltung keine Rolle spielen, obwohl die US-Amerikaner hier ebenfalls zeitweise Nazi-Kader und Verdächtige inhaftierten. Beim Besuch einer PDS-Delegation in Dachau in der ersten September-Woche monierte denn auch der Vorsitzende des Internationalen Verbandes der Verfolgten des Nazi-Regimes, Fred Dellheim, den unterschiedlichen Umgang mit der Geschichte in Ost und West. In der Gedenkstätte Buchenwald sei gerade eine eigene Abteilung über das dortige Internierungslager eröffnet worden. Auf die Frage, wie dieses Thema in Dachau behandelt werde, habe Barbara Distel, die Leiterin der Gedenkstätte, nur geantwortet: "Das ist nicht die Aufgabe der Gedenkstätte." Für Dellheim eine unverständliche Ungleichbehandlung: "Es darf nicht zugelassen werden, daß diese Frage so unterschiedlich angegangen wird." Auch Heinrich Fink vom Bund der Antifaschisten der Neuen Bundesländer wandte sich gegen einen einseitigen Umgang mit der Vergangenheit: "Es wäre doch interessant zu erfahren, wie denn ein Internierungslager der Westalliierten ausgesehen hat, wer da eingesessen hat und warum - und was aus den Insassen geworden ist."

Die PDS-Delegation unter der Leitung des Bundestagsabgeordneten Ludwig Elm machte auf eine weitere Lücke im Dachauer Ausstellungskonzept aufmerksam: So wird der bewaffnete Widerstand der Häftlinge, die 1945 zusammen mit örtlichen Widerstandskämpfern den Aufstand gegen die SS wagten und dafür in der Dachauer Innenstadt hingerichtet wurden, weder in der aktuellen noch in der neuen Exposition aufgegriffen. Dafür wird sich die Neukonzeption erstmals auch jenen Häftlingsgruppen widmen, die bislang aufgrund der selbst unter den KZ-Überlebenden verbreiteten Vorurteile kaum oder nur am Rande vorkamen - etwa Homosexuelle oder Sinti und Roma. Ein besonderes Augenmerk soll außerdem auf die große Zahl von Geistlichen fast aller Weltreligionen gelegt werden, die in Dachau einsaßen. "Das neue Konzept ist sehr gut", betonte Max Mannheimer und forderte die Bundesregierung auf, die Finanzierungslücke von rund sechs Millionen Mark zu schließen. "Das Geld für das in Berlin geplante Mahnmal sollte besser den Gedenkstätten zugute kommen. Das halte ich für sinnvoller." Anton Posset, Vorsitzender der "Bürgervereinigung Landsberg im 20. Jahrhundert", die derzeit in der oberbayerischen Kreisstadt ein eigenes Holocaust-Denkmal verwirklicht, bezweifelt jedoch, daß die nötigen Mittel für die Dachauer Gedenkstätte noch zusammenkommen: "Das wird in einer unendlichen Streiterei zwischen Bundes- und Länderkompetenzen untergehen."

Die Firmen, die sich im Dritten Reich an den KZ-Häftlingen bereicherten, sollten nun für die Neugestaltung der Gedenkstätte aufkommen, forderte Fred Dellheim: "Die sollte man dafür verantwortlich machen." Max Mannheimer glaubt jedoch nicht daran, daß es gelingen wird, Geld von den einstigen NS-Gewinnlern einzutreiben: "Es gibt in dieser Sache keinen Konsens und zuwenig Initiative. Man ist ohnmächtig gegenüber dieser Ungerechtigkeit." An der Ausbeutung der Lagerinsassen des KZ Dachau und seiner Außenlager waren fast sämtliche großen bayerischen Baufirmen beteiligt - von Dyckerhoff & Widmann über Holzmann bis zu Moll. Und auch BMW verdiente an der billigen Arbeitskraft der Häftlinge, die von der SS zu einem geringen Tagessatz angemietet wurden. Bis heute hat keine der Firmen auch nur einen Pfennig Entschädigung gezahlt.