Gotcha-Spiele in der Republik Srpska

Bosnien-Herzegowina: Wenige Tage vor den Kommunalwahlen tauscht Präsidentin Biljana Plavsÿic« ihren Innenminister aus

Die harmloseste Meldung im Vorfeld der Kommunalwahlen in Bosnien-Herzegowina kam aus dem US-Verteidigungsministerium: Ab sofort würden die in Bosnien stationierten US-Soldaten mit Farbbeuteln in Form von Handgranaten ausgestattet, teilte das Pentagon mit. Bei künftigen Protesten von Zivilisten sollten die Beutel auf die vermeintlichen Anführer geworfen werden, um sie so für eine spätere Festnahme zu markieren.

Statt Kriegsverbrecher-Jagd jetzt Gotcha-Spiele in der Republika Srpska, der serbischen Staatlichkeit in Bosnien? Mitnichten. Drei Tage vor den Kommunalwahlen rüstet die Nato auf: Die Sfor-Truppen wurden von gut 30 000 auf knapp 40 000 Soldaten aufgestockt. Nachdem im innerserbischen Konflikt um die Rundfunksendeanlage Udrigowo Sfor-Soldaten mit Steinen und Latten beworfen wurden, reagiert die Nato nun mit einer Mischung aus dosiertem Druck und massiver Abschreckung: "Wir werden alle notwendigen Mittel, einschließlich tödlicher, einsetzen, um unsere Soldaten und unseren Auftrag zu schützen", gab Wesley Clark, Oberkommandierer der Nato in Europa, die verschärfte Linie der Westmächte bekannt.

Wem die Drohung gilt, erklärte der US-Sonderbeauftragte für Bosnien, Richard Holbrooke, in einem Interview: "Sollte es einen Versuch geben, Präsidentin Plavsÿic« zu stürzen, sind die Nato-Truppen da, um das zu verhindern." Was sich aus dem Verhalten der Sfor-Truppen beim Machtwechsel im Polizeihauptquartier von Banja Luka und der Besetzung des Rundfunksenders nahe Bijeljina schon erschloß, ist nun amtlich: Im Machtkampf zwischen dem früheren bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic« und seiner Nachfolgerin Biljana Plavsÿic« hat die Nato offen Partei für Plavsÿic« ergriffen.

Da paßt es ins Bild, daß die USA parallel dazu ankündigten, in der bosnischen Serbenrepublik nur noch jene Städte und Ortschaften finanziell zu unterstützen, die mit der von der Zagreber Tageszeitung Vjesnik als "Karadzic« im Rock" titulierten Plavsÿic« zusammenarbeiteten. Für den Bau von Straßen, Wasserleitungen und Schulen würden neun Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Ob das Kalkül der USA, der wirtschaftlichen Macht von Karadzic« eine Alternative entgegenzusetzen, bis zu den Wahlen aufgeht, ist fraglich. Denn die Karadzic«-Leute in Pale kontrollieren weiterhin den Großteil der bosnisch-serbischen Polizei, mindestens die Hälfte der Armee, die wichtigsten Medien und die größten Wirtschaftsunternehmen. Ein Sieg der Karadzic«-Partei SDS wird sich bei den Wahlen am Wochenende kaum verhindern lassen.

Verschiebungen innerhalb dieses Machtgefüges zugunsten von Plavsÿic« in ihrem Amtssitz Banja Luka zeichnen sich dennoch ab. So nahm sie am Wochenende im für den Polizeisektor zuständigen Innenministerium einen Wechsel vor und ernannte den Juristen Marko Pavic« zu ihrem neuen Innenminister. Den von ihr im Juli suspendierten Amtsvorgänger Dragan Kijac« beschuldigte sie, Telefongespräche der Präsidentin, oppositioneller Politiker und internationaler Organisationen abgehört zu haben, ohne eine Vollmacht dazu zu besitzen. Darüber hinaus stellte sich auch ein Teil der Armee auf die Seite Plavsÿic«s: Der Generalstabschef der bosnisch-serbischen Armee, Pero Colic«, sicherte der Präsidentin vergangene Woche überraschend seine Loyalität zu. Noch Ende August hatte Colic« eine Einladung Plavsÿic«s zu einem Treffen der Armeeführung in Banja Luka ausgeschlagen. Zudem hatte er der Präsidentin indirekt mit dem Einsatz der Armee gedroht, sollte sie, so Colic«, ihre Politik der Spaltung der Republika Srpska fortsetzen.

Den USA kommt dieses Szenario gelegen. Ausdrücklich begrüßte der Bosnien-Vermittler Holbrooke die politische Spaltung in der Republika Srpska, obwohl die leicht zu einer geographischen Ost-West-Teilung führen könnte (vgl. Jungle World, Nr. 36/97). Unter Berufung auf hochrangige US-Diplomaten schreibt die International Herald Tribune, daß das Pentagon auf eine Festnahme Karadzic«s verzichten würde, sollte es Plavsÿic« gelingen, ihn in seiner Macht zu schwächen. Der Machtkampf zwischen Banja Luka und Pale sei eine unerwartete Möglichkeit, "Karadzic« an die Seite zu drängen, ohne ihn in einer gefährlichen militärischen und unsicheren Operation fesnehmen zu müssen", wird der Offizielle zitiert.

So konzentriert sich der Westen nun zunehmend darauf, den Einfluß der Karadzic«-treuen Medien zu beschneiden. Dazu beschloß die Nato eine Erweiterung des Sfor-Mandats. Neu ist, daß die Truppe gewaltsam gegen Medien vorgehen darf, die "die Bevölkerung gegen die Sfor-Truppen aufhetzen". Ein klares Signal gegen Karadzic«: Vor allem die von ihm kontrollierten Medien waren es, die die Sfor-Truppen mit der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt und als "SS-for" bezeichnet hatten. Eine eindeutig parteiische Entscheidung, meint die Belgrader Tageszeitung Dnevni Telegraf, denn "wenn es der 'internationalen Gemeinschaft' wirklich an einer professionellen und objektiven Berichterstattung in Bosnien als Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Dayton-Abkommens gelegen wäre, dann würde sie nicht nur den Pale-Medien mit der Nato drohen, sondern auch jenen in Banja Luka, Sarajevo und Mostar".

Doch nicht nur in den westlichen Hauptstädten, auch in Moskau wächst offenbar der Unmut über die Politik Pales. So traf der stellvertretende russische Außenminister Afanasjewski, der auf Druck des Westens im Machtkampf zugunsten von Plavsÿic« vermitteln wollte, vergangene Woche sowohl mit der Präsidentin als auch mit dem Karadzic«-Vertrauten Momcilo Krajisnik, dem serbischen Vertreter im gesamtbosnischen Staatspräsidium, zusammen. Krajisnik boykottiert seit Wochen die Arbeit der gemeinsamen bosnischen Institutionen in Sarajevo und hat einen Wahlboykott für das kommende Wochenende verkündet.

Mit der Zuspitzung des Machtkampfes zwischen Pale und Banja Luka gerät die Tatsache aus dem Blick, daß auch in der moslemisch-kroatischen Föderation die Lage vor den Kommunalwahlen nicht zum Besten steht. Der Belgrader Oppositions-Sender B 92 glaubt, "daß sowohl die kroatische als auch die bosniakische Seite zu der Einschätzung gekommen sind, es sei zu ihrem beiderseitigen Nutzen, jetzt, wo der Druck auf die zerstrittenen und gespaltenen bosnischen Serben andauert, die Aufmerksamkeit der einheimischen und der Weltöffentlichkeit nicht auf die Konflikte und Probleme in der Föderation zu lenken." Diesmal in Stolac« blockierten Kroaten erneut einen Bus mit moslemische Rückkehrern und bewarfen ihn mit Steinen. Zwei Moslems wurden dabei verletzt. Ein herber Rückschlag für die Dayton-Mächte in ihrem Ziel, eine Rückkehr von Flüchtlingen in die Föderation zu ermöglichen: Stolac« ist Teil eines Pilotprojekts des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) zur Rückführung von Flüchtlingen. Im Juni war es 16 moslemischen Familien erst nach heftigem Widerstand der kroatischen Bewohner gelungen, in ihre alten Häuser zurückzukehren. Das Vorhaben, in dieser Woche weitere 22 Familien zurückzubringen, hat das UNHCR vorerst ausgesetzt.