Konspirative Mission

Wer kann schon einen Anarchisten in der Familie aufweisen? Ich bekenne mich gerne. Mein Onkel gehört sogar zu den ältesten dieser verunglimpften oder totgeschwiegenen Gattung. Der 84jährige Helmut Kirschey lebt heute in Schweden und hat gerade einen von ihm wiederentdeckten Text ins Deutsche übersetzt: "Die unsichtbare Front" von Rudolf Berner. Der schwedische Anarchist hatte unter dem Pseudonym Frank Tireur 1940 in Schweden einen Bericht über seine geheime Mission nach Deutschland veröffentlicht.

1931 war der 24jährige Berner mit der anarchistischen Bewegung in Berührung gekommen. Kurz nach Beginn des Spanischen Bürgerkrieges reiste er als Vertreter der schwedischen Syndikalisten (SAC) nach Barcelona und arbeitete im Auslandsbüro der vereinigten spanischen Anarchosyndikalisten und Anarchisten (CNT/FAI) an deren wöchentlich erscheinendem Informationsdienst in schwedischer Sprache.

Die deutschen Anarchosyndikalisten und ihre Gruppe DAS hatten seit einiger Zeit jegliche Verbindung zu ihren illegalen Kameraden in Deutschland verloren und suchten nach einem Weg der Kontaktaufnahme. Die Leitung der DAS wußte um das Draufgängertum von Berner und fragten ihn, ob er bereit wäre zu der gefährlichen Reise. Sein schwedischer Paß und die Kenntnisse von Sprache, Land und Leuten machten ihn zu einer perfekten Wahl.

Durch den Sieg Francos war Berner zur Rückkehr nach Schweden gezwungen. Doch als die schwedische Neutralitätspolitik schließlich zu Verhaftungen und Verfolgungen auch von deutschen politischen Flüchtlingen sowie Anarchisten führte, entschloß sich Berner zur Veröffentlichung seines konspirativen Berichtes. Er wollte damit zum Kampf gegen die Diktatur auffordern und vor einer nachgiebigen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus warnen. Allerdings gab er dem Dokument eine literarische Form und veränderte Namen, Orte und Zeitpunkte, um die deutschen Genossen nicht zu gefährden. Für sich selbst wählte er das Pseudonym Frank Tireur, abgeleitet von dem französischen Begriff franctireur - Freischärler.

In der ersten seiner Erzählungen stellt er den Horror in Deutschland dar, wie er ihn erfuhr. Berner erzählt von der Begegnung mit der jüdischen Mutter eines in Spanien kämpfenden Freundes. Dem hatte er versprochen, der Todgeweihten Grüße von ihm zu bestellen. Aus Gründen seiner konspirativen Aufgabe darf er nicht in Kontakt mit ihr treten. Er kämpft mit sich: "Aber, bedienen wir uns damit nicht der Waffen des Gegners? Kann man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? Sollen wir alle privaten, menschlichen Gefühle abtöten, nur um den Kampf fortsetzen zu können? Dann besteht die Gefahr, daß, wenn wir siegen, das Elend bestehen bleibt und nur die Form sich ändert. Ist es nicht so? Es ist ein verdammter Komplex, mit dem man sich herumschlägt."

Manch einem mag Berners Stil vielleicht etwas zu schwülstig oder propagandistisch erscheinen. Doch es ist ein Zeitdokument - in einem Moment des äußersten Grauens und der politischen Not verfaßt.

Rudolf Berner: Die unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag, Berlin/Köln 1997, 155 S., DM 32 Internet: "Berner-Sonderseiten" Berner-Sonderseiten