Ein Langzeitstudent mehr

Deutschland verliert eine bedeutende Führungspersönlichkeit: Heinrich Lummer nimmt seinen Abschied

Mit den Neuwahlen im nächsten Herbst wird der Bundestag eines seiner profiliertesten Mitglieder verlieren: Heinrich Lummer. Der 64jährige CDU-Frontmann will 1998 nicht wieder für einen Sitz kandidieren. Auch sein Kamerad Alfred Dregger, ein heldenhafter Wehrmachtssoldat, will mit Ablauf dieser Legislaturperiode die parlamentarische Laufbahn beenden.

Schade eigentlich! Verliert Deutschlands Hohes Haus mit Heinrich Lummer doch einen waschechten Proletarier. Einen, der sich nach ganz oben hochgearbeitet hat. Einen kleinen Mann von der Straße, wie er leibt und lebt: strebsam, ordentlich und pünktlich, der Moral verpflichtet, nationalbewußt und katholisch - kurz gesagt: deutsch. Und dazu bekennender Populist. Schließlich sei Populismus doch nicht mehr als "der Versuch, dem Volk aufs Maul zu schauen", schrieb Lummer am 28. März im Rechtsaußen-Wochenblatt Junge Freiheit. Und das soll "eine der schlimmsten Sünden eines Politikers" sein? Das versteht der CDU-Mann einfach nicht. "Luftherrschaft über die Stammtische" ist doch eigentlich eine feine Sache. Nicht immer allerdings. Bei Entscheidungen über die Höhe von Steuern oder die Aufstellung von Atomraketen will selbst Lummer den Mob nicht mitreden lassen. Wohl aber bei der Ausländer- und Asylpolitik oder der Euro-Einführung.

1932 als Enkel zweier Bergleute in Essen geboren (Vater hatte es immerhin schon zum kleinen Angestellten gebracht), machte sich der junge Heinrich schon sehr früh an den sozialen Aufstieg. Fünf Jahre nach dem Abschluß der Lehre als Elektromechaniker holte er 1957 das Abitur nach und wurde anschließend Diplom-Politologe. Und wie das so ist: Ein Politologe, der sonst nichts wird, geht zum Verfassungsschutz oder einer anderen Schnüffelbehörde. Lummer versuchte sich als fester Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Seine Aufgabe: Das Aushorchen von Übersiedlern aus der DDR. Im Aufnahmelager Berlin-Marienfelde versuchte er, den Neubundesbürgern Details über die militärische Lage in der Zone zu entlocken. Wie er der Berliner Zeitung stolz berichtete, glänzte Null Null Lummer dabei mit scharfsinnigen Analysen im Dienste der antikommunistischen Sache: "Wenn ein geflohener Bäckermeister erzählte, er hat 5 000 Schrippen an die russische Kaserne geliefert, dann konnte man daraus auf die Truppenstärke schließen." Auch nach dem Ende dieser verantwortungsvollen Tätigkeit belieferte Lummer den BND noch mit Informationen. Kaum eine Auslandsreise brachte der aufstrebende CDU-Politiker hinter sich, ohne daß er den Pullachern anschließend en détail seine Eindrücke schilderte.

Wenig amüsant dürften seine Agentenführer allerdings Lummers langjährige Liaison mit einer mutmaßlichen Mitarbeiterin des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit gefunden haben. Bis heute steht der Vorwurf im Raum, der frühere BND-Agent habe die zuständigen Stellen nicht "freiwillig und rechtzeitig" von diesem Kontakt unterrichtet. 1982 soll ihn die Stasi mit intimen Fotos erpreßt haben.

Nachdem er seine Befähigung zur großen Politik mit der gewissenhaften Auflistung von Ostschrippen unter Beweis gestellt hatte, fiel Lummer, der seit 1953 Mitglied der CDU war, Sprosse für Sprosse die Karrierenleiter empor. Vom Leiter des Besuchsdienstes im Bundeshaus Berlin zum Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus der Frontstadt (1967) über den Fraktionsvorsitz (1969) bis hin zum Amt des Parlamentspräsidenten (1980). Dabei vergaß der Aufsteiger aus dem Ruhrpott nicht, den Kontakt zu faschistischen Gruppierungen zu pflegen: Im Wahlkampf 1970/71 zahlte er 2 000 Mark an Rechtsextreme, damit diese gegen die SPD plakatierten. Ferner unterhielt er einen Briefwechsel mit Ursula Schaffer von der NPD und bewegte sich, wie das Handbuch des deutschen Rechtsextremismus weiß, auf einer "Reichsgründungsfeier" des Zollernkreises "neben führenden Vertretern" der NPD.

1981 folgte der Sprung auf die Westberliner Regierungsbank: Als Senator für Inneres und Bürgermeister zeichnete Lummer verantwortlich für ein hartes Vorgehen gegen Hausbesetzer und die Dauerpropaganda gegen die "Asylflut". Der "Senator fürs Grobe" (Die Zeit), der sich bereits zu Beginn der achtziger Jahre dafür eingesetzt hatte, das Asylrecht als "Aufenthaltsrecht auf Zeit" auszulegen, wurde ab 1985 zu den ersten und eifrigsten Promotern einer Änderung der Grundgesetz-Artikel 16 und 19. Im Jahr 1986 erfuhr die politische Laufbahn des groben Heinrich in der Frontstadt des Kalten Krieges allerdings einen jähen Knick: Der Kontakt zu den Hauptfiguren der Berliner Bau-Bestechungsskandale und das Bekanntwerden der 2 000-Mark-Spende an die Rechtsradikalen zog den Rücktritt nach sich. Im Jahr darauf ging es - wie die Berliner Republikaner 1989 in einem Werbespot unkten - direkt in die "politische Wüste": als Bundestagsabgeordneter nach Bonn.

Die neue politische Bühne nutzte Lummer eifrig; unter anderem, indem er wiederholt Franz Schönhubers Republikaner als potentielle Koalitionspartner der Unionsparteien bezeichnete. Auch sonst tut der CDU-Mann alles, um Antifaschistische Pressearchive zu füllen: Immer wieder publiziert er in der rechtsradikalen Postille Junge Freiheit und tritt bei allerlei rechten Gruppen auf, denen er ein beliebter Stargast ist. So beehrte Lummer unter anderem die Hamburger Burschenschaft Germania, das Berliner Dienstagsgespräch, den Bund der Vertriebenen und die Europäische Arbeitsgemeinschaft Mut zur Ethik mit einem Besuch. Erst auf Anraten Dieter Heckelmanns, seines Nachfolgers im Berliner Innensenat, lehnte er es ab, sich beim neofaschistischen Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk über sein Lieblingsthema auszulassen: "Asyl - ein mißbrauchtes Recht".

Im Juli vergangenen Jahres brachte ein Artikel der Frankfurter Rundschau Lummer gar in den Verdacht, sein Bundestagsbüro stehe in direkter Verbindung mit rechtsradikalen Drohbriefschreibern. Ein Student aus Norddeutschland mit ausländisch klingendem Namen hatte dem CDU-Rechtsaußen einen kritischen Brief nach Bonn geschickt und dabei seinen Namen versehentlich falsch geschrieben. In der Folge erhielt der Student anonyme Drohbriefe, die den gleichen Schreibfehler aufwiesen.

Überhaupt, so scheint es, steht der steile Aufsteiger mit Vorliebe für Populismus gerne im Rampenlicht der Öffentlichkeit: Im November 1996 wendete er sich mit einer Erklärung zur Kuba-Politik gegen das Embargo der USA und forderte, man müsse mit dem Inselstaat ins Geschäft kommen. Vor rund zwei Jahren sprach er sich vehement gegen eine Umbenennung des Reichstags aus - wegen dessen nationalen Symbolcharakters. Werbewirksam auch Lummers Fahrkünste: Mit 1,96 Promille nimmt es sein Blutalkoholgehalt, als er im Januar dieses Jahres hinterm Steuer erwischt wurde, locker mit dem von Henri Paul auf, dem letztem Chauffeur von Prinzessin Diana. Sollte Lummer ab Herbst nächsten Jahres tatsächlich - wie angekündigt - ein Studium der Kunstgeschichte und der Philosophie beginnen, so wird er wohl ohne eigenes Auto zur Uni fahren müssen. Oder zumindest ohne Führerschein. An seiner Profilierungsfreudigkeit wird das leider wenig ändern.