Christian Simmert,@21

Sind Sie ein Novize der 68er?

Sind Sie ein Novize der 68er Bewegung?

Nein. Ich glaube nicht, daß ich ein Spätableger der 68er bin. Aber ich will auch nicht alles ausblenden, was während der letzten 30 Jahre gewachsen ist, auch bei den Grünen.

Matthias Berninger nennt die AutorInnen von @21 Novizen der 68er Bewegung.

Das ist Blödsinn. Er ist darauf versteift, sich von den 68ern abzugrenzen, um sich zu profilieren. Er hat ja auch keine andere Chance, wenn er in Hessen wieder auf die Liste will. Um sich zu profilieren, tun die AutorInnen von Staart 21 so, als würden sie das Rad neu erfinden. Dabei schwadronieren sie nur darüber, was finanzierbar ist. Wir haben dagegen versucht, Visionen zu formulieren, um uns dann zu überlegen, was davon umsetzbar ist.

Ist es eine Vision, daß die Meisterprüfung in Zukunft die fachgebundene Hochschulreife verleiht? Oder daß die Renten künftig nach den besten 30 Berufsjahren berechnet werden?

Das sind sicherlich keine Visionen, sondern Reaktionen auf aktuelle Debatten. Aber wir wollten zeigen, daß auf dem aktuellen Abbau nicht eine Politik im neuen Jahrhundert basieren kann.

Den Autoren von Staart 21 geht es um eine Wahlkampfstrategie für Rot-Grün. Wollen Sie 1998 auch eine rot-grüne Regierung?

Es geht in unserem Papier nicht darum, irgendwelche Machtoptionen zu skizzieren, sondern erst einmal eine vernünftige Gesellschaftskritik zu üben. Wir müssen uns losgelöst vom Parlamentarismus Gedanken machen, was es an Perspektiven gibt. Ich glaube, daß Regierungen Gesellschaft nur in einem begrenzten Maße entwickeln. Die Grünen haben doch als Oppositionspartei und als sie noch außerparlamentarische Kraft waren, gezeigt, daß man da eine Menge bewegen kann. Trotzdem will ich auch eine rot-grüne Regierung. Alles, was 15 Jahre Kohl ablöst, ist unterstützenswert.

Wie wollen Sie bei einer Regierungsbeteiligung verhindern, daß sich "der Deckmantel der Regierungsfähigkeit" über Ihre Visionen legt?

Man muß sich in innerparteiliche Prozesse einmischen. Natürlich muß auch überlegt werden, wie Leute ins Parlament kommen, die andere Perspektiven haben. Vor allem müssen wir diskutieren, welche Inhalte wir Wählerinnen und Wählern anbieten. In vorauseilendem Gehorsam ein Koalitionsprogramm als Parteiprogramm zu verkaufen, halte ich für blanken Unsinn.

Haben Sie nicht Angst, daß Sie die klassische Rolle der Jusos spielen? Sie dürfen die Visionen haben, und in der Realpolitik passiert ganz etwas anderes.

Das glaube ich nicht. Die Jusos sind organisiert außerhalb der SPD. Die jungen Grünen sind Teil der Partei, wir sind zum Teil Landesvorstandsmitglieder, sitzen in Kreistagen oder in Gemeindeparlament und wissen sehr wohl, was finanzierbar ist. Natürlich bekommen wir auch nicht alles finanziert, was wir in unserem Papier fordern, schon gar nicht im Paket. Aber ich bin der festen Überzeugung, daß man Visionen braucht, um letztlich in die richtige Richtung zu marschieren. Und nicht den Weg als Ziel zu betrachten, wie die Leute von Staart 21. So werden die sich immer orientierungslos von einer Gesetzesvorlage zur anderen hangeln.

Mathias Wagner, Initiator von Staart 21, sieht weniger inhaltliche als rhetorische Unterschiede zu Ihnen. Gibt es denn Einigungschancen?

Unser Papier hat nicht nur von der Rhetorik, sondern auch vom Politikansatz einen anderen Drive. Trotzdem muß man beides zusammenführen. Sinn unseres Papier ist ja nicht, eine fertige Vorlage zu liefern, sondern eine Diskussion zu führen. Ich muß auch dazu sagen, daß @21 von 15 Leuten innerhalb von 48 Stunden geschrieben wurde, um dem Staart-Papier etwas entgegenzusetzen.

Und was soll dabei herauskommen? Ein Wahlkampfprogramm?

Nein, wir haben versucht, schlaglichtartig verschiedene Politikbereiche zu beleuchten, von denen wir glauben, daß sich Jugendliche da wiederfinden. Wir haben Diskussionen aufgegriffen, die an der Basis in Jugendgruppen eh geführt werden. Zum Beispiel bei den Themen Ausbildung, Frieden oder Drogen. Wir wollen nahe an den Leuten dran sein, für die wir Politik machen. Für Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen. Für Leute, die sich einen Kopf darum machen, wie sie mit ihrer Ausbildungsvergütung von 600 Mark über die Runden kommen, weil sie von zu Hause ausgezogen sind. Wir wollen darüber diskutieren, wo der Nerv der Leute ist, die in sozialer Ungerechtigkeit leben - ohne populistisch zu werden. Wenn wir uns die Frage stellen, wie es mit diesen Menschen weitergehen soll, dann ist eine Antwort klar: Neoliberalismus und Deregulierung ist der falsche Weg.

Christian Simmert ist Mitglied des Landesvorstandes von Bündnis 90 / Die Grünen in NRW und Mitautor von @21