Die Heroisierung des Mittelstandes ist problematisch

Interview mit Uwe Hiksch, MdB für die SPD. Hiksch gehört zum linken Flügel seiner Partei

Das ist ja eine schöne neue Techno-Vision, die uns der SPD-Parteivorstand da beschert: Widersprüche zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt es nicht mehr, dafür wird alles modern und glänzend, wenn erst die Sozialdemokraten regieren.

Ich glaube, daß der jüngste Entwurf des Parteivorstandes zur Innovations- und Wirtschaftspolitik den heutigen Notwendigkeiten nicht Rechnung trägt. Man gewinnt den Eindruck, daß die SPD-Führung das Ziel der Vollbeschäftigung, des Rechts auf Arbeit, aufgegeben hat. Der Entwurf, so wie er vom Parteivorstand beschlossen wurde, wird nicht in der Lage sein, die drängenden Probleme zu lösen, nämlich: Wie muß ein Staat beschaffen sein, daß wirtschaftliche Monopolisierungstendenzen auf der einen Seite und Massenarbeitslosigkeit auf der anderen Seite bekämpft werden können?

Die Verfasser des Leitantrags wollen das erreichen, indem sie den Mittelstand stärken.

Auch wir von der Parteilinken glauben, daß Wirtschaftspolitik nicht nur auf die Großunternehmen ausgerichtet sein darf, sondern gerade auch kleinen und mittelständischen Unternehmen eine Chance geben muß, auf dem Markt zu bestehen. Wir glauben das auch deshalb, weil wir sehen, daß diese Auseinandersetzung aufgrund der Monopolisierungstendenzen in der gesamten Ökonomie nötig ist. Das können Sie zum Beispiel im Bereich des Einzelhandels sehen, bei den Banken und anderswo. Trotzdem ist die Heroisierung des Mittelstandes, so wie sie in dem Programmentwurf vorkommt, ein problematischer Ansatz.

Wird das Programm seinem Anspruch überhaupt gerecht, in erster Linie Kleinbetriebe zu fördern? Manches wird man auch bei der Großindustrie sehr gerne hören.

Ich selbst komme aus einer Tradition, die der Überzeugung ist, der Fetisch "Kleine und Mittelständler" ist zu wenig: Natürlich muß die Politik auch eine Antwort darauf geben, wie Großbetrieben geholfen werden kann, Arbeitsplätze zu erhalten und Innovationen zu ermöglichen. Es müssen aber Marktgleichgewichte geschaffen werden, die den kleinen Unternehmen eine Möglichkeit geben, bestehen zu können. Das versucht das Programm, und ich glaube, dieser Teil des Programms muß auch als einer der besseren bezeichnet werden.

Wenn Sie sich dagegen beispielsweise den Teil über Industriepolitik anschauen, stellen Sie fest, daß das, was über 20 Jahren geschafft wurde, nämlich in der theoretischen Diskussion die Frage der Ökologie und die Frage der Ökonomie zusammenzubringen, nur noch bedingt eine Rolle spielt. Damit wird eine Diskussion, die in der Linken wesentlich weiter gewesen war, in der Sozialdemokratie ein Stück zurückgedrängt.

Ein eigener Unterpunkt des Programms widmet sich der Chemie-Industrie, die mehr Förderung brauche, ebenso wie die Gentechnologie. Beides sind Bereiche, in denen die Monopole schier unüberwindlich sind.

Ich habe nicht den Eindruck, daß hier eine inhaltliche Wende vollzogen wurde. Manchmal hat man zwar den Eindruck gewinnen können, daß beide Technologien innerhalb der Sozialdemokratie nicht sehr positiv gesehen wurden. Ich selbst komme aber aus einer Tradition, die der chemischen Industrie und der Gentechnologie notwendige Entwicklungschancen einräumt und sagt, die müssen auch umgesetzt werden. Nur die unkritische Auseinandersetzung mit beiden halte ich für ein Problem. Es fehlt in dem Papier die Frage, wie Technologie-Folgenabschätzung aussehen muß, wie organisiert werden kann, daß nachhaltige Entwicklung auch in solchen Branchen möglich wird. Hier liegt das eigentliche Problem, und nicht in der Aussage, daß sich die Sozialdemokratie für die Gentechnologie oder die Chemie-Industrie ausspricht. Das halte ich für selbstverständlich, nur muß die Forderung mit ökologischen Aspekten verbunden werden.

Trotzdem: Bedeutet es nicht eine starke Belastung einer möglichen künftigen rot-grünen Koalition, daß diese Punkte - gerade in einem vorhersehbar stark beachteten Papier - so betont werden?

Die Wirtschaftspolitik der Grünen hat ja mit einem linken wirtschaftspolitischen Ansatz nicht mehr so viel zu tun. Die Grünen werden also, glaube ich, mit diesem wirtschaftspolitischen Ansatz sehr gut leben können. Für mich ist die grundsätzliche Frage nicht die von Rot-Grün, sondern die, ob linke Politik in diesem Land gemacht werden kann. Das Hauptproblem der SPD und der Grünen ist, daß beide die Vollbeschäftigung als Ziel nicht mehr in ausreichendem Maße herausstellen, daß sie die Frage der Umverteilung nicht mehr ansprechen, und daß sie dem Staat eine defensive Rolle zuweisen, die diesem nicht mehr ermöglicht, gestalterisch in die Ökonomie einzugreifen.

Arbeitet die Parteilinke jetzt an einem eigenen Antrag?

Wir werden versuchen, diesen Antrag in entscheidenden Punkten zu verändern. Wir werden darauf pochen, daß Vollbeschäftigung und das Recht auf Arbeit in einem wirtschaftspolitischen Antrag der Sozialdemokratie eine Rolle spielen. Wir werden außerdem deutlich machen, daß ein wirtschaftspolitischer Antrag der SPD nur dann sinnvoll sein kann, wenn er das Ziel hat, die Massenarbeitslosigkeit abzubauen, wenn dieses defensive Staatsverständnis aufgegeben wird und endlich wieder deutlich gemacht wird, daß die Politik wieder in die Ökonomie eingreifen muß. Wir werden zum Dritten deutlich machen, daß dieses Programm im Bereich der Ausbildungsplatzabgabe noch wesentlich deutlicher werden muß: Es muß klar machen, daß Ausbildung von allen Betrieben gefordert wird und daß diejenigen, die nicht ausbilden, auch anständig dafür bezahlen müssen.

Hoffen Sie auch auf die Unterstützung von Oskar Lafontaine?

Nach dem, was Oskar Lafontaine im Parteivorstand gesagt hat, bin ich eher skeptisch, daß er uns offen unterstützen wird, aber ich glaube, die Parteilinke sollte selbstbewußt genug sein, um mit oder ohne Oskar Lafontaine für eine Mehrheit für solche Positionen zu kämpfen.