Gesichte

Man könnte behaupten, es sei so gut wie unmöglich, noch einen neuen Mythos auf der Leinwand zu schaffen, weil er immer schon da ist. Und er müßte vor allem glaubwürdig sein. Reflexion beendet.

Wer auf diesen Anspruch der Authentizität verzichtet, bringt dann gleich Unglaubliches zustande. John Woos Film "Im Körper des Feindes" dürfte dieses Jahr der ambitionierteste Versuch sein, sich selbst eine mythische Geschichte zu erzählen, und das mit Strukturen des japanischen Theaters: Die Darsteller halten sich die Masken sehr nah vor den Kopf, um die Handlung mit ihren eigenen Körpern zu erzählen. Nein. Nicht mit ihren Körpern. Sondern mit demjenigen des Gegners. Also mit sich selbst als Tauschwert. Und sie stehen in den beiden einzig wahren Arbeitsverhältnissen im Kapitalismus - Bulle oder Verbrecher. Es geht also um ein und denselben Job.

Nachdem der extrabrutale Superterrorist Castor Troy (Nicholas Cage/John Travolta) den Supercop Sean Archer (John Travolta/Nicholas Cage) erstmal umgebracht hat, schlägt der zurück und killt seinerseits Castor Troy. Geht das? Es mutetseltsam an, aber so ist und so geht es in einem fort. Der eine war nicht richtig tot, steht auf und spielt weiter. Der andere sieht aus wie tot, liegt aber nur im Koma. Der Verbrecher versteckte übrigens eine Bombe voller Biogas, Archer hat sechs Tage Zeit, sie zu finden. Den Ort kennt nur Troys irrer Bruder, er muß befragt werden. Auskunft wird er nur Castor geben. Was liegt also näher, als mittels plastischer Operation dessen äußere Erscheinung anzunehmen, um sich selbst in den Hochsicherheits-trakt draußen im Pazifik zu begeben, den Irren zu befragen?

Aber Troy wacht wieder auf und stellt fest, daß er ohne Gesicht ist. Kein Wunder, daß er so sauer ist, und jetzt ungeduldig Zigaretten rauchend in der Klinik auf den Doktor wartet. Ohne Fresse auch! Dilettantismus kann man diesen Antlitztausch nicht mehr nennen; das Bemerkenswerte an "Im Körper des Feindes" ist gerade, daß das Drehbuch zwar in die Spitzen ausgefeilt wurde, aber sich mit der glaubwürdigen Umsetzung gar nicht erst einer beschäftigt hat. Computeranimation? Neueste Technologie? Nein. Troy wird die Fresse vom Kopf geschnitten und Archer auch. Was zieh ich heute an? Da liegt ja noch ein Gesicht in der Laugensoße herum, nehmen wir das. Und dann den Chirurg und die beiden Bullen mit Benzin übergossen und angezündet. Von da an, wo's weh tut. Vom Kopf her.

Jeder steckt in einem Körper, so die Devise, und der Polizist ist der beste Verbrecher, der Verbrecher der beste Cop - Kain und Abel erproben die zero tolerance. Der zügellose Terrorist vögelt auch besser und ist der lustigere Daddy. Troy ist der erste Vater, der seinem Kind ein Butterfly-Messer schenkt, und, sieh mal da, die wechselt jeden Tag ihr Outfit ("Ich bin ich", Identität etc.). Es gibt keinen Ausweg, außer dem Tod, aber der ist Einweg, jeder ist des anderen Arbeitgeber und -nehmer und Lebenssinn. Was folgt? Woo, der Pistolennarr, inszeniert die obligatorische Kirchen-Schlacht.

Was, der Regieeinfall auch noch? Ich schlage dir in meine Schnauze, und jetzt mit dem Rennboot durchs große Polizeiboot geflogen. Das Publikum staunt. Hingegegangen ist es, um jetzt zu denken: Den Film wird das Publikum nicht richtig verstehen. "Im Körper des Feindes" ist die Kunst, sich selbst im Outplacement zu ermorden - was? Na, schizophren das. Oder Marktwirtschaft.

"Im Körper des Feindes". USA 1997. R: John Woo, D: John Travolta, Nicolas Cage, Joan Allen, Alessandro Nivola, Gina Gershon. Start: 25. September