Schröder hat sich von der Ökologie verabschiedet

Interview mit Ludger Volmer, MdB für Bündnis 90 / Die Grünen und Sprecher des Babelsberger Kreises

Seit Gerhard Schröder gemeinsam mit seinen Genossen aus Nordrhein-Westfalen Industriepolitik macht, ist eine rot-grüne Koalition in Bonn nicht unbedingt wahrscheinlicher geworden. Könnten die Grünen mit den industriepolitischen Vorgaben aus Schröders Leitantrag "Innovationen für Deutschland" leben?

Gerhard Schröder setzt da an, wo Helmut Schmidt 1982 gescheitert ist: Bei einer Politik, die von den Ökologen der siebziger Jahre als "Wachstumswahn" angeprangert wurde. Er frönt einem frivolen Produktivismus; ihn interessieren die ökologischen Folgen des Wirtschaftens überhaupt nicht mehr, und er bildet sich ein, über die Stimulierung von Wachstumsprozessen auch die soziale und die Arbeitsmarktklemme überwinden zu können. Wir halten dies für eine gefährliche Fehleinschätzung und für den Rückfall in eine Politik, die historisch längst überholt ist.

Schmidts Scheitern auf diesem Gebiet hat Ende der siebziger Jahre zu einer Protestbewegung geführt, die schließlich in die Gründung der Grünen mündete. Wäre es nicht ein Treppenwitz der Geschichte, wenn die Grünen nun in eine Koalition eintreten würden, die die damalige Politik wieder aufgreift?

Es gibt ja Spekulationen, die in die Richtung gehen, daß Schröder die Grünen über genau diese Politik kaputtkriegen will. Die Grünen wollen in eine Koalition, aber natürlich nicht zu jedem Preis. Wenn man zwanzig Jahre auf der Oppositionsbank verbracht hat mit dem Ziel, irgendwann Teile der Staatsmacht zu übernehmen und damit Reformprozesse einzuleiten, dann neigt man natürlich dazu, diese Chancen wahrzunehmen, wenn sie sich rechnerisch bieten. Sollten wir aber mit Schröder auf der Grundlage von dessen Programm koalieren, würden wir bis zur Unkenntlichkeit unsere politische Identität verlieren, und damit wären wir als politische Kraft erledigt. Wenn denn Schröder tatsächlich Kanzlerkandidat wird, stehen wir also vor der Frage, wie wir in Koalitionsverhandlungen unsere Ansprüche zur Geltung bringen können.

Wird man auch kompromißbereiter in zwanzig Jahren auf der Oppositionsbank?

Man lernt natürlich und weiß, daß viele der abstrakten Parolen, die man früher von sich gegeben hat, so ohne weiteres nicht in reale Politik umsetzbar sind, und daß dort auch die Teufel im Detail stecken. Wichtig ist aber, ob man von der Grundlinie abgehen will oder nicht. Und was die Grundlinien angeht, sehe ich im Moment sehr große Differenzen zwischen uns und Schröder, denn Schröder macht eigentlich nichts anderes als - unter Ausbootung der christlichen Sozialausschüsse - die Politik des CDU-Wirtschaftsflügels durchzusetzen.

Gibt es einen Punkt, wo Sie sagen würden, bis hierher und nicht weiter?

Das kann man an einzelnen Punkten schwer festmachen, das Knackpunkt-Konzept ist als grüne Strategie gescheitert. Wir müssen sehen, ob ein wirklicher Richtungswandel zustande kommt hin zu einer ökologisch-solidarischen Strukturpolitik, die dazu angetan ist, sowohl die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen als auch den Haushalt zu sanieren und den Sozialstaat so umzubauen, daß er langfristig bewahrt werden kann. Die Rahmenbedingungen sind auf der einen Seite extrem ungünstig durch die Massenarbeitslosigkeit, die enorme Staatsverschuldung und das Fehlen einer Aufbruchsstimmung in der Gesellschaft. Auf der anderen Seite zeigen uns die Beispiele Frankreich und England, daß es doch zu unverhofften Wechseln kommen kann. Im Bündnis mit diesen reformerischen Kräften sollte man doch zumindest über die europäische Ebene etwas bewegen können.

Höre ich da heraus, daß Sie im Moment die sozialen Fragen als mindestens so wichtig erachten, wenn nicht als wichtiger als die Ökologie, wo es das größte Konfliktpotential mit den Sozialdemokraten gibt?

Für uns als ökologische Partei ist das Umwelt-Thema natürlich immer eines der allerwichtigsten. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, daß die Masse der Bevölkerung dem im Moment gar keine Bedeutung beimißt. Wir wiederum wissen, daß in dieser Gesellschaft keine Reformpolitik mehr zu betreiben sein wird, wenn nicht das Hauptproblem der Massenarbeitslosigkeit gelöst wird. Wir versuchen nun unsererseits, die ökologischen Erkenntnisse, die wir haben, zu nutzen, um auch die sozialen und die Arbeitsmarktfragen mit zu beantworten. Wir können nachweisen, daß etwa die ökologische Strukturreform, die wir im Industriebereich und im Verkehrsbereich fordern, auch positive Arbeitsmarkteffekte haben wird. Leider hat sich Schröder von der Ökologie nicht nur verabschiedet, sondern regelrecht distanziert. Ob wir da überhaupt noch mit ihm ins Gespräch kommen können, ist fraglich. Aber ich sage auch ganz klar: Schröder wird sich wundern, wenn er damit rechnen sollte, daß wir ihn auf jeden Fall zum Kanzler wählen. Wenn für uns die Rechnung nicht stimmt, dann müssen wir notgedrungen auch eine große Koalition in Kauf nehmen, was alles andere als eine optimale Situation für die Gesellschaft wäre.

Welche Hoffnungen setzen Sie in die innerparteiliche Reformfähigkeit der Sozialdemokraten?

Ich schätze sie gering ein. Der linke Flügel der SPD vertritt zwar ähnliche Positionen wie wir, und mit den Kollegen sind wir in gutem Kontakt. Aber es zeigt sich doch, daß die SPD meint, dadurch zur Macht kommen zu können, daß sie die Politik der Konservativen kopiert und statt des verbrauchten Kopfes Kohl einen neuen Kopf mit größerem Unterhaltungswert anbietet. Aber der Personalwechsel bedeutet noch längst keinen Politikwechsel.

Der SPD-Linke Uwe Hiksch hat an Schröders Position zur Ökologie wenig Kritik. Für Gentechnologie und Chemie-Industrie würde auch er sich stark machen.

Die SPD-Linke ist da auch nicht einheitlich. Um so schlimmer, wenn auch Teile der SPD-Linken Schröder in den Grundthesen zustimmen.