Jospin - die Richtung stimmt

Die Linkskoalition geht in ihrer Regierungspraxis weit über die rot-grünen Modelle in der BRD hinaus.

Hat die Regierung Jospin ihren Frieden mit dem System Tietmeyer gemacht? Sind die sogenannten Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages auch in Frankreich zu den obersten Richtwerten der Politik erhoben worden? Die Zusammenarbeit von Jospin und Kohl, Strauss-Kahn und Waigel weckt Zweifel, ob es sich bei der neuen Regierung aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen wirklich noch um ein Reformprojekt handelt. Wenn der französische Finanzminister frohlockt, das Defizit des öffentlichen Sektors werde von 4,1 Prozent im Jahre 1996 auf 3,1 Prozent im laufenden Jahr und ab 1998 auf deutlich unter drei Prozent gedrückt werden, dann scheinen die neokonservativen Dogmen auch die französischen Sozialisten und Kommunisten ergriffen. Doch versuchen wir zu differenzieren. Klar ist: Die Linkskoalition hat dem System Tietmeyer nicht den Krieg erklärt, verfolgt aber eine andere Gesellschaftspolitik. Dazu fünf Argumente:

1. Der Staatshaushalt sieht den Umbau der Militärorganisation vor. Dafür, daß die Militärausgaben um zwei Prozent gekürzt werden, hat Staatspräsident Chirac der Regierung im Ministerrat eine Rüge ausgeprochen. Mehr noch: Das Sekretariat für nationale Verteidigung soll sich auf eine Mittelkürzung von 14 Prozent einstellen. Die unter dem vorhergehenden Premier Juppé anvisierte Rückkehr in die militärische Organisation der NATO ist auf unbestimmte Zeit vertagt. Diese Maßnahmen mögen vielen auf seiten der Linken als zu zaghaft und zu langsam erscheinen, aber es sind zumindest Schritte in die richtige Richtung.

2. Frankreich wurde Ende 1995 von einem mehrwöchigen Streik erschüttert, gegen die Pläne der Regierung Juppé, eine Sanierung der Sozialversicherung durch Leistungskürzungen bei den Renten und höhere Beitragszahlungen durchzusetzen. Die massiven Proteste - die sich auch 1996 fortsetzten - waren Beispiele erfolgreichen sozialen Widerstands. Heute steht die Regierung Jospin angesichts hoher Massenarbeitslosigkeit und der darüber noch hinausgehenden Zerstörung von Normalarbeitsverhältnisse vor einem Defizit von 30 Milliarden Franc bei der Securité sociale. Die rot-rosa-grüne Koalition kann diese prosaischen Finanzprobleme nicht mit einem Federstrich lösen. Sie betreibt die Aktivierung der Sondersteuer von 1991 (contribution sociale généralisée); die bis 1999 um vier Prozent auf 7,4 Prozent erhöht werden soll. Damit werden vor allem die Kapitaleinkommen und die höheren Einkommen verstärkt herangezogen. Daß die Kapitalverbände das Lied von Kapitalflucht und verschlechterter Konkurrenzfähigkeit anstimmen, versteht sich von selbst.

3. Für den 10. Oktober ist unter der Regie der Ministerin für Arbeit und Soziales, Aubry, die Konferenz von Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Regierung über Beschäftigung, Löhne und Arbeitzeit angesetzt. Die Koalition hat die 35-Stunden-Woche auf die Tagesordnung gesetzt. Bei diesem Projekt orientieren sich die französischen Sozialisten an einem Vorschlag des früheren Premiers Rocard, der eine Staffelung der Sozialbeiträge - soweit sie vom Unternehmer bezahlt werden - ab der 32. Wochenstunde vorsieht. Mit welchem Modell auch immer: Durch Arbeitszeitverkürzung allein kann kein Vollbeschäftigungszustand herbeigeführt werden. Aber dieser Schritt ist ein deutlicher Unterschied zur Arbeitszeitverlängerungspolitik hierzulande. Und erinnern wir uns: Eine erfolgreiche Arbeitszeitkampagne war auch immer der Einstieg in eine Debatte um wirtschafts- und sozialpolitische Alternativen.

4. Verabschiedet hat die Regierung Jospin ein Gesetz zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Im Haushalt des nächsten Jahres sind dafür 8,5 Milliarden Francs bereitgestellt. Beschränkt auf fünf Jahre wird ein Experiment angeschoben: die Entwicklung eines öffentlichen Beschäftigungssektors für 350 000 arbeitslose Jugendliche. Selbstverständlich kommt die Kritik waggonweise. Bislang gibt es in den kapitalistischen Metropolen jedoch zu solchen Experimenten keine Erfahrungswerte. Die vielen Bedenkenträger werden in etlichen Kritikpunkten recht behalten - aber über schlüssige Alternativen verfügt keiner. Man muß die Erfahrungen dieses Projekts kritisch auswerten und sollte in den nächsten Jahren ein verbessertes Nachfolgeprojekt ohne zeitliche Begrenzung nachschieben.

5. Im Haushaltsentwurf für 1998 ist eine Begrenzung der Neuverschuldung vorgesehen, die in den nachfolgenden Jahren noch enger gezogen werden soll. Allerdings war Schuldenmachen noch nie ein Kriterium für progressive Politik, auch wenn das mit Verweis auf einen falsch verstandenen Keynes zu legitimieren versucht wurde. Kein Zweifel: Unter Krisenbedingungen muß der öffentliche Kredit bemüht werden, aber warum sollten gerade Sozialisten und Kommunisten die Coupon-Schneider mit guten Zinsen dauerhaft bedienen? Der entscheidende Punkt liegt woanders. Die Regierung hat sich die Eindämmung der Arbeitslosigkeit zum Ziel gesetzt und Finanzminister Strauss-Kahn erwartet eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums. Die höhere Steuerbelastung von 14 Milliarden Francs - neun Milliarden bei den Unternehmen und fünf Milliarden bei den Privthaushalten mit höherem Einkommen - sollen zur Finanzierung eines gestiegenen Mindesteinkommens und einer Ausweitung des öffentlichen Konsums dienen. Dem Konzept nach soll diese Umfinanzierung dafür sorgen, daß die Geldkapitalbildung gedämpft und der sinnvolle Konsum bei den Armen neue Wachstumseffekte auslöst. Auch wenn die Dimensionen und die Umverteilungseffekte zu wünschen lassen, weist diese Politik doch in die richtige Richtung.

Entscheidend ist: Gesellschaftliche Kritik und Proteste müssen den politischen Kurswechsel begleiten. Die neuen Erfahrungen müssen ausgewertet und neue, verbesserte Regulierungs- und Umverteilungsschritte vorbereitet und angeschoben werden. Von einer sozialistischen Ökonomie sind die französischen Sozialisten und Kommunisten weit entfernt, dennoch unterscheiden sich ihre Projekte deutlich von den vermeintlichen rot-grünen Reformregierungen in Teutonien - sei es in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und vermutlich demnächst in Hamburg.

Joachim Bischoff ist Redakteur der in Hamburg erscheinenden Monatszeitschrift Sozialismus