»Keine Kapitulation wie in Zentralamerika«

Interview mit José Maria (Joema) Sison, Gründungsvorsitzender der KP der Philippinen (CPP) und politischer Chefberater der NDFP

Seit Gründung der CPP um die Jahreswende 1968/69, wodurch der endgültige Bruch mit der alten, der Sowjetunion nahestehenden Partido Komunista ng Pilipinas (PKP) erfolgte, wird heute der sogenannten zweiten Berichtigungsbewegung in den Parteidokumenten beträchtlicher Platz eingeräumt. Zu welchen Ergebnissen hat diese Bewegung bislang geführt?

Die 1992 initiierte Zweite Berichtigungsbewegung entsprach der Notwendigkeit, schwerwiegende Fehler innerhalb der Organisation zu korrigieren. Die CPP hat die subjektivistischen Einschätzungen, der sowjetische bürokratische Monopolkapitalismus sei Sozialismus gewesen, ebenso zurückgewiesen wie jene, die besagten, das Schicksal der philippinischen Revolution sei von äußerer Hilfe abhängig, das Land sei während der Marcos-Diktatur urbanisiert und industrialisiert worden und letztlich erübrige sich ein langwieriger Volkskrieg.

Die Neue Volksarmee (die im März 1969 gegründete Guerilla; R.W.) hat sich gewandelt. In jeder Guerillafront sind heute mindestens drei Viertel ihrer Mitglieder in kleineren Einheiten zusammengefaßt, die ihrerseits in der Massenarbeit verankert sind. Parteiintern bleibt das Prinzip des demokratischen Zentralismus zur Abwehr von Bürokratismus und Ultrademokratismus intakt. Insgesamt haben wir uns nach einem beträchtlichen Mitgliederschwund und dem Schrumpfen der Massenbasis (diese betrug parteiintern 1985/86 etwa zehn Millionen Menschen, ein Sechstel der Gesamtbevölkerung; bis zur Zweiten Berichtigungskampagne soll der Einbruch 60 Prozent betragen haben; R.W ) zu erholen vermocht.

Es scheint, daß zahlreiche, früher positiv auf die NDFP bezogene Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Volksorganisationen (POs) dieser die Gefolgschaft aufgekündigt haben.

Ausländische Unterstützung - sei es seitens Regierungen, internationaler Hilfswerke, politischer Parteien oder religiöser Organisationen - für philippinische NGOs und POs während des Kampfes gegen die Marcos-Diktatur war durchaus nützlich. Sie war hilfreich, weil sie Legalität beförderte und entsprechende Ressourcen schuf.

Doch eine solche Unterstützung hat eine Kehrseite. Durch sie wurden auch Ideen der Geldgeber befördert, die explizit gegen die revolutionäre Bewegung gerichtet waren. Außerdem sind nicht wenige Verantwortliche in den NGOs und POs korrumpiert worden. Einige NGOs und POs haben sich in den neokolonialen und neoliberalen Rahmen des Ramos-Regimes einbinden lassen und propagieren mittlerweile dessen Plan "Philippines 2000".

Es ist schon bitter, daß seit Sommer 1992 mit Fidel V. Ramos ausgerechnet einer der Haupt-Kriegsrechtsverwalter der Marcos-Diktatur Präsident ist.

Ramos' Politik unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Marcos- und Aquino-Politik. Diese beugt sich ebenso dem Diktat imperialistischer Mächte - vorrangig der USA -, den Kompradoren und der Großgrundbesitzer. Persönliche Bereicherung, Cliquenwirtschaft und Korruption waren und sind bei allen an der Tagesordnung.

Die ökonomische Krise ist unter Ramos keineswegs überwunden. Gelder, die von internen wie ausländischen Quellen aufgenommen wurden oder die aus den Verkäufen öffentlicher Besitztümer, aus erhöhten direkten wie indirekten Steuern sowie aus Überweisungen der in Übersee tätigen KontraktarbeiterInnen stammen, flossen und fließen hauptsächlich in den Luxuskonsum der oberen Schichten, wurden abgezweigt für den Ausbau des Militärs oder dienten spekulativen Immobiliengeschäften.

Anstelle einer grundlegenden Industrialisierung hat auch das Ramos-Regime eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die sich durch Importabhängigkeit und kaum mehrwertschaffende Produktion von für den Export bestimmten Konsumgütern auszeichnet. Eine Land-, geschweige denn Agrarreform ist auch unter Ramos tabu. Vorindustrielle und agrarische Bedingungen herrschen weiterhin fort und bilden nach wie vor einen revolutionären Nährboden.

Es ist illusionär zu glauben, die politische Lage im Lande sei stabil. Das herrschende Regime wird ebenfalls von politischen Fraktionen und ihren reaktionären bewaffneten Elementen inner- wie außerhalb des Militärs bestimmt. Militär- und Polizeioffiziere sind in Skandale verwickelt und führen nicht selten sich gegenseitig befehdende Syndikate an. Selbst das Moro-Problem (im Süden; R.W.) bleibt ungelöst. Schließlich ist die bewaffnete revolutionäre Bewegung nach fünf Jahren der Berichtigungskampagne imstande, Guerilla-Aktivitäten zu intensivieren.

Wiederholt hat Präsident Ramos erklärt, er werde aus den Philippinen einen "Tiger" machen.

Die ursprünglichen "Tiger" und ihre Nachahmer in Ostasien sind heute selbst mit etlichen Problemen konfrontiert. Die neoliberale Politik des Imperialismus drängt auf die Beseitigung früherer Schutzmechanismen für inländische Investitionen. Gegenwärtig existiert eine globale Überproduktion in den Bereichen, in denen die "Tiger" aktiv sind. Passé sind die Zeiten, da beispielsweise Taiwan und Südkorea, um eine antikommunistische Frontline gegen die VR China und Nordkorea aufzubauen, billige Textilien, elektronische Geräte, Spielwaren und dergleichen produzieren konnten und mit nennenswerten Teilen aus den erzielten Exporterlösen grundlegende Industrien aufbauen konnten.

Ramos kommt da als Imitator zu spät. Er dürfte letztlich selbst wissen, daß die Philippinen zur Jahrtausendwende kein neuindustrialisiertes Land sein können. Ja, sein sogenannter Plan "Philippines 2000" sieht nicht einmal den Aufbau eines einzigen grundlegenden Industriekomplexes vor. Die Philippinen bilden unter den mittlerweile etlichen Nachahmern der ursprünglichen "Tiger" weit abgeschlagen das Schlußlicht - geplagt von wachsenden Außenhandelsdefiziten und einer erdrückenden ex- wie internen Schuldenlast.

Wie ist der Stand der Friedensverhandlungen zwischen der Ramos-Regierung und Ihnen, der NDFP?

Die formellen Friedensverhandlungen zwischen der Regierung der Philippinen (GRP) und der NDFP sind seit 1995 aufgrund der im Jahre 1992 vereinbarten Gemeinsamen Den Haager Erklärung möglich geworden. Diese verpflichtet beide Seiten, Gespräche auf der Basis beidseitig akzeptierter Prinzipien - unter anderen Souveränität, Demokratie und soziale Gerechtigkeit - zu führen und sich jeglicher Druckmittel zu enthalten, die geeignet sein könnten, auf die Kapitulation der je anderen Seite zu drängen.

Die formellen Friedensverhandlungen sind jedoch von seiten der GRP-Delegation wiederholt unterbrochen, für gescheitert erklärt oder auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Im März kamen wir überein, die Verhandlungen zu beschleunigen. Doch bereits im April erschien die GRP-Delegation erneut in den Niederlanden, um die NDFP zur Kapitulation aufzufordern und, nachdem wir dies entschieden zurückwiesen, die Gespräche auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Im Augenblick ist es unmöglich, einen genauen Zeitplan für den erfolgreichen Verlauf der Friedensverhandlungen aufzustellen. Wir halten indes am Konzept der Zwei-Phasen-Revolution fest - erst die neu- beziehungsweise volksdemokratische, dann die sozialistische.

Können Sie sich eine NDFP vorstellen, die sich analog den Entwicklungen in Mittel- und Südamerika als legale politische Partei und/oder als Parteienbündnis konstituiert und an Wahlen teilnimmt?

Nein, nicht, solange die NDFP eine revolutionäre Organisation und der Staat mitsamt seinen Wahlprozessen konterrevolutionär bleibt. Wir waren nie sonderlich beeindruckt von der radikalen kleinbürgerlich antiimperialistischen Führung gewisser Bewegungen in Lateinamerika, insbesondere in Zentralamerika - selbst dann nicht, als diese den bewaffneten Kampf gegen die widerlichsten Reaktionäre führten. Zwischenzeitlich haben diese kleinbürgerlichen Radikalen ja kapituliert und sind noch uninteressanter geworden.

Sison verbrachte, nachdem Präsident Marcos im September 1972 das Kriegsrecht verhängt hatte, mehrere Jahre in (Isolations-)Haft, bis er im Frühjahr 1986 von der neuen Präsidentin Corazon C. Aquino amnestiert wurde.