Abwarten und Biertrinken

Nach Drogenreferendum in der Schweiz: Alte Fronten in deutscher Drogenpolitik

Die Ablehnung der Volksinitiative "Jugend ohne Drogen" in der Schweiz hat auch die hiesige Diskussion um die kontrollierte Abgabe von harten Drogen wiederbelebt. Und bis zur Anhörung des Drogenrates am 12. November wird jetzt in Bonn und in fast allen deutschen Großstädten sondiert, wer sich für und gegen eine Liberalisierung der deutschen Drogenpolitik gewinnen läßt.

Am 28. September hatten sich 70 Prozent der Schweizer Bürgerinnen und Bürger gegen eine konservativ-repressive Wende in der eidgenössischen Drogenpolitik ausgesprochen. Die Volksinitiative "Jugend ohne Drogen", initiiert von einem Bündnis rechtsextremer und konservativer Kräfte, ist somit gescheitert. Die seit 1993 vom Schweizer Staat praktizierte kontrollierte Abgabe von Heroin an sogenannte Schwerstabhängige sowie die Heroinsubstitution durch Methadon und Morphin können nunmehr fortgesetzt werden, da das Abstimmungsergebnis für die Regierung bindend ist. Diese Variante liberal-repressiver Drogenpolitik - über die Schweiz hinaus als Vier-Säulen-Modell (Prävention, Überlebenshilfe und Schadensminderung, Therapie und Repression) bekannt - sollte, so der Vorschlag der gescheiterten Volksinitiative, durch einen erneuerten Artikel 68 der Schweizer Bundesverfassung gestoppt werden. "Die Abgabe von Betäubungsmitteln" wäre nach dem neuen Artikel künftig genauso verboten gewesen wie deren "Verwendung zu rein medizinischen Zwecken", eine "restriktive, direkt auf Abstinenz ausgerichtete Drogenpolitik" wurde von den Initiatoren als Zielvorgabe formuliert. Die ohnehin vorherrschende Repression gegen Junkies sollte weiter ausgebaut, der Schweizer Modellversuch sofort beendet werden.

Die Schweizer Abstimmung habe ohnehin keine Auswirkungen auf die Drogenpolitik der deutschen Bundesregierung, wußte deren Drogenbeauftragter, Eduard Lintner, umgehend zu vermelden: Ob "der Versuch der ärztlich kontrollierten Heroinabgabe" ein Erfolg sei, lasse sich nämlich nicht "an der Stimmabgabe eines Teils der Bevölkerung messen", kommentierte der CSU-Hardliner nur einen Tag nach dem Votum. Roland Sauer, Leiter des Gesprächskreises Drogen der CDU/CSU, ging zwei Tage später sogar noch einen Schritt weiter: Nein, ein Vorbild sei die Schweiz gewiß nicht, sie sei im Gegenteil "erst durch die liberale Drogenpolitik das europäische El Dorado der Drogenabhängigen geworden", sagte er der taz und bewies damit seine Unkenntnis der Schweizer Verhältnisse. Denn dort gilt der Modellversuch nur für Menschen mit Schweizer Paß, die zudem einen festen Wohnsitz in der Stadt nachweisen müssen, in der sie Heroin oder Subsistenzmittel beziehen. Nicht-Seßhafte werden an ihre mutmaßlichen Herkunftsorte zurückgeschickt, Nicht-EU-Ausländer kurzerhand "ausgeschafft" - seit Jahren steigt in der Schweiz die Zahl der Abschiebungen.

Auch Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) steht dem Schweizer Modell skeptisch gegenüber. Er will sich zwar Mitte Oktober vor Ort selbst ein Bild der Schweizer Drogenpolitik machen, die kontrollierte Heroinabgabe werde von ihm aber "vorläufig als Mißerfolg gewertet", beschrieb die Neue Zürcher Zeitung bereits am 30. September die Stimmung im Bonner Ministerium. Denn von dort ist bis zum 12. November keine Äußerung zu diesem Thema zu erwarten, wie eine Sprecherin Seehofers auf Nachfrage bestätigte.

Diese Taktik des Abwarten-und-Bier-Trinkens hat ihren guten Grund: Weder gibt es zur Zeit eine einheitliche Linie in der Drogenpolitik bei CSU/CDU und FDP noch innerhalb der CDU selbst. Petra Roth, CDU-Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main, setzt sich schon seit geraumer Zeit für einen an der Schweizer Drogenpolitik ausgerichteten Modellversuch ein. Dieser soll auf fünf Jahre angelegt sein und für etwa "120 Abhängige, die Aids oder Tuberkulose haben und von anderen Hilfsprogrammen nicht mehr erreicht werden", gelten. Daß die fehlende vierte Säule der hiesigen Drogenpolitik, also die sogenannte Überlebenshilfe, nur mit verstärkter Kontrolle und Repression zu haben sei, stellte Petra Roth in einem taz-Interview Anfang Oktober dabei genauso klar wie das angestrebte Ziel: Die kontrollierte Heroinabgabe müsse "ausstiegsorientiert sein und noch stärker überwacht werden als die Methadon-Abgabe". Jedoch sei jeweils auf die richtige Kontrollinstanz zu achten: "Dealer gehören in die Hände der Polizei, Süchtige aber in die Hände der Ärzte."

Mit solchen Äußerungen kann sie sich der Unterstützung breiter politischer und gesellschaftlicher Kreise mittlerweile sicher sein. Die Mehrheit der Polizeipräsidenten deutscher Großstädte teilt - mit einem Seitenblick auf die schrumpfenden Budgets - diese Position, Handels- und Wirtschaftsverbände fordern schon seit Jahren eine Rückkehr zum business as usual, das heißt zu von Junkies gesäuberten Einkaufspassagen. Diese sollen sich lieber in städtischen Druckräumen aufhalten als den Kaufkräftigen durch ihre bloße Anwesenheit den Konsum zu vermiesen. Zudem steigen die Kosten für private Sicherheitsdienste rapide an. Der Vorstand der Industrie- und Handelskammer in Frankfurt am Main ruft daher mittlerweile seine Mitglieder auf, für Projekte der Drogenhilfe zu spenden.

Auch von seiten der FDP wird wieder verstärkt Unterstützung für Reformen in der deutschen Drogenpolitik signalisiert, wobei auch hier das Motiv deutlich ist: "Die Entstehung von offenen Drogenszenen gerade in Ballungsräumen" werde durch "die sture, ideologiebegründete Blockadehaltung" Lintners und der CSU insgesamt geradezu gefördert, äußerte deren drogenpolitische Sprecherin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nach dem Schweizer Referendum. Nur ein Teil der CDU - insbesondere deren Berliner Verband - und vor allem die CSU mauert. Diese bereitet zur Zeit ein Bürgerbegehren vor, welches selbst städtische Druckräume und Möglichkeiten zum Spritzentausch von München fernhalten soll. Ob dieses Referendum jedoch ähnlich erfolglos sein wird wie das in der Schweiz, darf schon jetzt bezweifelt werden.