Männer auf dem Vormarsch

In den USA wandeln weiße christliche Männer auf den Spuren Louis Farrakhans

Der neue heiße Trend in den USA sind Männerversammlungen. Vor nicht allzu langer Zeit folgten noch hunderttausende schwarze Männer dem Ruf des Predigers des Islam, Louis Farrakhan, zum Million Man March. Sie ließen ihre Frauen, Freundinnen und unehelichen Töchter zu Hause. Denn schließlich mußte ja jemand Speis und Trank für die müden Krieger nach dem langen Marsch bereiten. Diese hatten sich in Washington büßend die Fäuste auf die muskulöse Brust geschlagen und schamhaft gegen ihre mangelnde Moral angebrüllt. Und so ganz unter sich durfte auch mal ein Tränchen der Rührung vergossen werden. Das weibliche Geschlecht zu Hause hoffte währenddessen, daß die fälligen Alimente endlich gezahlt würden. Aber wer hört schon auf die schnulzigen Träume schwarzer Frauen? Außer vielleicht einigen Leidensgenossinnen, also weißen Frauen, die - wenn es nach dem Willen ihrer Männer ginge - künftig ebenfalls zu Hause bleiben müßten.

Denn am vergangenen Wochenende trafen sich erneut Männer in Washington, diesmal aber weiße und christliche. 700 000 wollen es, nach eigener Angabe, gewesen sein. Sie nennen sich Promise-Keepers und beklagen, genau wie ihre schwarzen Brüder, den Verfall der Moral. Bereits bei vergangenen trauten Zusammenkünften und vereintem Beten in Stadien wollte man unter sich sein. All die sexuellen Verfehlungen, die mit männlicher Stärke ihrem Gott in büßender Haltung entgegengerufen werden, sind ja nichts für die empfindlichen Ohren von Frauen. Zudem muß doch irgendwer auf die Bierkästen aufpassen, denn nach dem Bekennen von unzähligen Sünden werden die Männer bestimmt sehr durstig nach Hause kommen.

Die Promise-Keepers sind im Gegensatz zu Farrakhans Jüngern ein evangelikaler Verbund. Jeder, der sich nicht ihrem Glauben beugt, ist in ihren Augen ein "verdammenswürdiger Kandidat für die Hölle". Doch ansonsten sind die Unterschiede zwischen den Glaubensrichtungen für Männer eher unerheblich. Auf jeden Fall gemeinsam ist ihnen die fundamentalistische Denkweise. Ihr wachsender Einfluß ist allerdings nicht allein auf die charismatischen Führer dieser Großsekten zurückzuführen, sondern vielmehr auf den sozialen und politischen Zustand der amerikanischen Gesellschaft.

Über eine Million Männer sitzen zur Zeit in US-amerikanischen Gefängnissen, die Jugendkriminalität nimmt zu, Erweiterungen von Strafanstalten und Gefängnisneubauten sind in allen Bundesstaaten die Norm. Dafür scheint ein unerschöpfliches Budget zu existieren. Da Gefängnisse mehr und mehr privatisiert werden, entwickeln sie sich zu einem äußerst attraktiven Geschäft. Der Wertzuwachs öffentlicher Knast-Aktien ist ein Ausdruck dieser Entwicklung. Der katastrophale Zustand des öffentlichen Bildungssystems verbessert zudem nicht gerade die Chancen von Jugendlichen im Berufsleben. Die ökonomische Situation ist für die gesamte untere Mittelschicht ohnehin beängstigend. Während der Wirtschaftsboom gepriesen wird, verlegen Konzerne zunehmend Betriebszweige in Länder mit geringerem Lohnniveau. Oder sie ersetzen ihre Stammbelegschaft nach und nach durch illegale Einwanderer, die profitabler ausgebeutet werden können und sich nicht wehren dürfen. Da in den USA Erfolglosigkeit nach wie vor als individuelle Schwäche interpretiert wird, ist die Angst vor einem Jobverlust sehr groß. Der weit verbreitete Glaube, durch viel und harte Arbeit reich zu werden, ist inzwischen zum unerreichbaren Traum geworden. Die amerikanische Utopie scheint bankrott.

Im Bewußtsein vieler US-Bürger bietet die Religion einen Ersatz für das scheinbare Versagen des Staates: Gott ist wieder da, man muß ihn nur suchen. Die Promise-Keepers und andere fanatisch-religiöse Vereinigungen bieten in diesem Bereich Hilfestellungen an. Zudem haben die sauberen weißen Männer gute Freunde. Die religiöse Rechte und die Christian Coalition mit ihrem ehemaligen smarten Jungführer Ralph Reed - inzwischen hochdotierter Wahlberater für die Republikaner - spenden den Promise-Keepers viel Kraft - und noch mehr Geld. Reed dient dabei als Vorbild, sein Motto lautet: Bringt die Religion zurück in den Staat.

Doch können die Promise Keepers auch ihrem erprobten Führer Bill McCartney vertrauen. Dieser war früher Football-Trainer an der Universität von Colorado. Nachdem er die Studenten der Geisteswissenschaften körperlich ertüchtigt hatte, gründete er eine evangelikale Mission. Die seit Jahren stetig wachsende Anhängerschaft nennt ihren McCartney immer noch liebevoll "Coach". Und der Coach redet über seine Anbeter wie über ein tolles Football-Team, das gerade ein Tief durchlaufen hat: "Die Männer haben den Ball fallengelassen" und müssen jetzt wieder "den Ball tragen". Das entspricht ziemlich genau dem Selbstbild vieler weißer Männer in den USA. Der sportliche Ton, ohnehin Teil der Umgangssprache, wird bei den "Haltern der Versprechen" besonders betont, auch und gerade in deren Zeitschrift. Prediger Gary Smalley schrieb dort vor einigen Wochen, daß ein Mann seine Ehefrau als wichtigste Spielerin im Team behandeln sollte. Und Coach McCartney ergänzte, daß die christliche Führungsrolle in Familie und Fernsehen zurückerobert werden müsse.

Daher war es kein Wunder, daß sich beim Treffen am vergangenen Wochenende in Washington moralsuchende Kerle gleichzeitig heulend und strahlend in die Arme fielen. Endlich durften sie auch einmal das tun, worüber sie sonst bei den Frauen herzogen: Gefühl zeigen. Der Coach bringt ihnen bei, biblische Werte wie Optimismus, Vergebung, Mitleid und die Beichte in ihr Leben aufzunehmen anstatt dem Image des kaltherzigen und konkurrenzgeilen Amerikaners hinterherzulaufen. Denn immerhin habe Gott die Ehemänner zu spirituellen Führern der Familie auserkoren, heißt es bei den Promise-Keepers.

Die US-amerikanischen Feministinnen tun sich bislang mit radikaler Kritik an den Promise-Keepers schwer. Sie kritisieren zwar - häufig ironisch - deren chauvinistischen Männlichkeitswahn, betonen aber gleichzeitig die Notwendigkeit, neue Werte zu finden. Daher sei bei den Evangelikalen nicht alles als schlecht zu bewerten. Auch Präsident Clinton lobt die "familienbezogenen Ziele" der Evangelikalen. Daß jedoch solche fundamentalistischen Bewegungen lediglich ein demagogischer Ersatz für wirkliche politische Veränderungen sind und mit fanatischem Haß gegen andere, zum Beispiel immer wieder gegen Homosexuelle und Liberale, einhergehen, fehlt in diesen Analysen.