Von tragischen Vätern und Marienerscheinungen

Das neue Kindschaftsrecht wird Familienbeziehungen nicht besser machen

Knapp 500 000 nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kind gibt es in Deutschland. Künftig können unverheiratete Eltern - so eine der wichtigsten Änderungen im neuen Kindschaftsrecht, das am 25. September vom Bundestag verabschiedet wurde - auch offiziell anerkannt und juristisch abgesichert, gemeinsam für ihre Kinder sorgen. Weitere Inhalte des neuen Gesetzes: Bei Scheidungen von verheirateten Eltern wird das Sorgerecht nicht mehr automatisch der Mutter, sondern Mutter und Vater übertragen, Kinder erhalten grundsätzlich ein Umgangsrecht mit beiden Elternteilen, und Kinder aus ehelichen und nichtehelichen Verhältnissen werden erbrechtlich gleichgestellt. Zudem wird Gewalt in der Erziehung vorsichtig sanktioniert.

Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, sprach beim Deutschen Familiengerichtstag in Brühl Ende September den schönen Satz: "Die Fähigkeit des Rechts, Familienbeziehungen harmonieträchtig zu gestalten, ist nur ein Hirngespinst von Juristen." Die Frau hat recht, auch wenn sie Bundesverfassungsrichterin ist. Und einige kritische Argumente gegen die neue Regelung werden auch denjenigen einleuchten, die der Meinung sind, das Zusammenleben der Menschen müsse in Gesetzestexten geregelt werden. Gerade das, was für Familienministerin Claudia Nolte so bahnbrechend fortschrittlich ist - die Normalität des gemeinsamen Sorgerechts geschiedener und unverheirateter Eltern für ihre Kinder -, birgt seine Tücken im realen Leben, das leider in diesem Zusammenhang ganz direkt mit Geschlechterverhältnissen zu tun hat.

Zweifellos bieten vorhandene Gesetzestexte einen Rahmen, in dem künftig im Streitfall entschieden werden kann: von Außenstehenden, von Richtern. Es versteht sich von selbst: Wenn es darum geht, wann der Pappi (oder seltener: die Mammi) das Kind, das beim jeweils anderen lebt, besuchen darf oder muß, ist jede andere Lösung einem Richterspruch vorzuziehen. Das heiß umstrittene Gesetz gibt Zeugnis über die gesellschaftliche Praxis von Kindererziehung und das Verhältnis zwischen Frauen und Männern. Offensichtlich müssen Väter höchstrichterlich gezwungen werden, sich um ihren Nachwuchs auch nur minimal zu kümmern, und offensichtlich müssen manche Frauen dazu angehalten werden, dies überhaupt zuzulassen. Das jedenfalls behaupten rührige "Väterverbände", die mit dem neuen Kindschaftsrecht noch keineswegs zufrieden sind und sich selbst, ihren Geldbeutel und ihr Sperma einem Komplott feministischer Staatsentwicklung ausgeliefert sehen. Derlei krause Zusammenschlüsse meist ungünstig geschiedener Väter mit mittlerem Einkommen - "abgeliebt und abgezockt" sehen sie sich - treten zunehmend nicht nur mit Pamphleten im Internet, sondern auch persönlich auf Anhörungen und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Elternschaft an die Öffentlichkeit. Sie sind eine seltsame Spezies und meist ziemlich nervig, weil sie nicht verstanden haben, daß ihre ganz individuelle Situation, die manchmal auch eine gewisse Tragik beinhaltet, mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat, die eine deutliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau im Hinblick auf Reproduktionsarbeiten und damit auch Kindererziehung vorschreiben.

In solcher Runde muß man sich herzzerreißende Lebensgeschichten anhören und ist fast geneigt, den normalen Mann auf den Straße für kinderlieb und mütterlich zu halten, bis man das Glitzern in den Augen sieht und bemerkt, wie sie jederfrau über den Mund fahren. Sie heißen Kindesentführung gut und sprechen von Vaterliebe. In der Regel fordern sie das gemeinsame Sorgerecht, um die Unterhaltszahlungen an Kind und Kindsmutter in den Keller zu treiben. Diesem Ziel sind sie mit dem neuen Gesetz ein Schritt näher gekommen - zudem können sie künftig über das Umgangsrecht zum Kind auch Einfluß auf den Aufenthaltsort der Kindsmutter nehmen.

Unbestritten hält auch die frauenbewegte Seite des Kampfes um die Kinder Marienerscheinungen bereit, denen man am liebsten verbieten würde, sich mit Menschen unter 18 in einem Raum aufzuhalten. Es gibt sie, jene Frauen, die im Gluckendasein das einzige und höchste Glück auf Erden beschwören und dies auch biologistisch zu untermauern bereit sind. Manche von ihnen, jedoch keineswegs alle, haben Unschönes mit Männern erlebt und dies auch mit den Vätern ihrer Kinder. Allen gemeinsam ist eine geschlechtsspezifische Sozialisation, die kleinen Mädchen schon beibringt, daß erst Mutterschaft sie zum erwachsenen Weibe mache, und eine Frau, die ihre Kinder vom Vater aufziehen läßt, nicht normal sei. In diesem Spektrum der

eher unangenehmen ZeitgenossInnen stößt die Noltesche Gesetzesänderung auf Unmut: bei den einen, weil sie ihnen zu wenig "Rechte" auf die Kinder verspricht, bei den anderen, weil sie alleinverantwortlich sein wollen.

Unterm Strich wollen beide Seiten die Macht übers Kind - und genau diese brutalen Realitäten kann ein Gesetz allein nicht ändern. Das gemeinsame Sorgerecht für geschiedene Eltern gibt es auf Antrag seit 1994, und vom juristischen Standpunkt aus war es nur logisch, einen solchen Wunsch auch für nichtverheiratete Eltern zu legalisieren. Andererseits nehmen auch bei den geschiedenen Eltern nur unter 20 Prozent die Möglichkeit in Anspruch, nach der Trennung auch offiziell gemeinsam für die Kinder zu sorgen. Man darf vermuten, daß die restlichen 80 Prozent dazu keinen Anlaß sehen, keine Lust oder keine Zeit dafür haben wollen. Die "vaterlose Gesellschaft" ist das Normale - und das auch vor der Scheidung der Eltern (im übrigen der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um über eine gemeinsame Zukunftsplanung zu verhandeln). Wer einigermaßen vernunftbegabt und nicht zuletzt auch das "Kindeswohl" einbeziehend, Kinder in die Welt setzt, konnte auch bislang ohne das neue Familienrecht leben.

Waren die Eltern nicht völlig zerstritten, dann schrieb die Mama, die im Regelfall das Sorgerecht hatte, dem Pappi eben eine Einverständniserklärung, wenn er den Elternabend besuchen oder das Kind mit in den Jahresurlaub nehmen wollte. Und wenn sie klug war, freute sie sich, wenn der Mann, mit dem sie einst das Bett teilte, väterliche Eigenschaften entwickelte. Das ist nämlich wie ein Lottogewinn - aber auch das war ja bekannt, ehe die rosaroten Verliebtheitsträume zur Schwangerschaft mutierten: Männer sind nicht immer angenehm und noch seltener gute Väter. Elternschaft, ob verheiratet oder nicht, verpflichtet eben meist - man mag das bedauern oder spannend finden - zu einer lebenslänglichen Beziehung mit einem Menschen, den man ohne diese anderen Umstände vielleicht wieder aus den Augen verloren hätte. Ob ein Richter etwas erzwingen kann, das nicht vorhanden ist - eine gütliche Einigung der Eltern über Umgangsrechte oder gar Erziehungsfragen -, darf bezweifelt werden.

Ein bißchen geschlagen werden dürfen sie übrigens immer noch, die armen Kinder. "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen sind unzulässig", heißt es zwar demnächst im Bürgerlichen Gesetzbuch. Doch was heißt das? Wer hält Gericht? Bestraft wird jedenfalls nicht, wer Kinder haut, ob Mammi oder Pappi, gleich welchen Familienstandes. Ob ein Bestrafung Sinn machen würde, ist zudem fragwürdig, denn das BGB ist und bleibt eben nur eine Eingriffsmöglichkeit des Staates auf Grundlage patriarchaler Verhältnisse, und der Teufel hat sich noch nie vom Beelzebub austreiben lassen.