Die Italien-Krise und der Euro

Bundesbank läßt Prodi stolpern

Als am Donnerstag vergangener Woche Ministerpräsident Romani Prodi die Neo-Kommunisten vor dem Parlament beschwörend zur Unterstützung seines Haushaltsentwurfs aufforderte, da ansonsten "der Eintritt Italiens in die europäische Währungsunion gefährdet" sei, saß ihm der Schock bereits in den Knochen: Wenige Stunden zuvor hatte die Deutsche Bundesbank den dritten Leitzins erhöht und damit nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für die gesamte EU die seit langem befürchtete Zinswende eingeleitet.

Dieser Schritt, und nicht die Forderungen von Rifondazione Comunista zur Milderung des Sparkurses, bedeutete eine ernste Gefahr für die Euro-Teilnahme Italiens: Die Verteuerung und damit Verknappung von Kreditgeld würgt die Konjunktur in Europa ab, da die Unternehmen bei der darlehensfinanzierten Anschaffung von Investitions- und die Privathaushalte bei der Anschaffung von Konsumgütern kürzer treten werden, was im Endeffekt das Steueraufkommen sinken läßt. Da gleichzeitig auch die Zinslasten des Staates bei der Bedienung seiner Schulden ansteigen, vergrößert sich die Schere zwischen Staaatseinnahmen und -ausgaben, vulgo: das Schuldenloch. Die Drei-Prozent-Hürde vor der Euro-Zulassung, nach bisherigen Berechnungen für die Italiener knapp zu schaffen, wird wieder zur unüberwindlichen Barriere.

Prodis Schuldzuweisung an die Neo-Kommunisten scheinen aber nicht nur deswegen plausibel, weil mittlerweile alle Wirtschaftsjournalisten neoliberal verblödet sind und ihm recht geben, sondern auch, weil der Ulivo-Premier im allgemeinen recht hat: Selbstverständlich ist die italienische Staatsschuld nach wie vor rekordverdächtig hoch und muß dringend gesenkt werden, soll nicht die Euro-Teilnahme verfehlt werden und damit ein Entwertungsschock drohen, der die unteren Klassen noch stärker ins Elend treiben würde als das jetzige Sparprogramm. Mit umgerechnet über zwei Billionen Mark steht die römische Regierung in der Kreide - das ist mehr als der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die pro Jahr im Lande produziert beziehungsweise erbracht werden, umgerechnet mehr als das Doppelte des Maastrichter Schuldenstandskriteriums von 60 Prozent. Schafft das Land die Zulassung zur Währungsunion nicht, würde dies auf den internationalen Finanzmärkten als Ausweis seiner Zahlungsunfähigkeit gelten - es würde eine massive Kapitalflucht einsetzen, der Wert von Lira und Staatsanleihen würde ins Bodenlose fallen, und die vom Staat bis dato mit diesen bunten Papierschnipseln alimentierten Branchen würden kollabieren. Eine ähnliche Entwicklung führte Ende der achtziger Jahre zum Auseinanderbrechen Jugoslawiens, als die reicheren Republiken wie Kroatien und Slowenien durch Abspaltung dem Zuschnappen der Schuldenfalle entkommen wollten; nicht ausgeschlossen, daß es auch in Italien zu einem Sezessionskrieg des Nordens kommen würde. Dessen neuer Duce Umberto Bossi wird jedenfalls nicht müde zu betonen, daß sein imaginiertes Padanien die Maastricht-Kriterien spielend erfüllen könnte.

Die ökonomischen Staatsapparate der BRD, angeführt von der Bundesbank, haben immer wieder versucht, Italien den Weg zur Währungsunion zu verbauen: 1993 verweigerte man vertraglich vereinbarte Stützungen für die trudelnde Lira und sorgte so für ihren Absturz aus dem Europäischen Währungssystem (EWS), der Vorstufe zum Euro; 1994 verkündete die Unionsspitze um Schäuble und Lamers ihr Konzept "Kerneuropa", das den Ausschluß von Italien und Großbritannien vorsah; 1995 und 1996 prognostizierte Bundesfinanzminister Waigel ein Scheitern Roms an den Maastrichter Bedingungen und sorgte - eine self-fulfilling prophecey - gerade dadurch für Spekulationswellen gegen die Lira. Parallel zur ökonomischen gab es politische Wühlarbeit - die Gerüchte über Verbindungen der Lega Nord und der Südtiroler Separatisten nach München halten sich hartnäckig. Erfreulicherweise ist die anti-italienische Europapolitik der Deutschen aber ungefähr seit Jahresanfang 1997 in eine Sackgasse geraten: Seit offensichtlich ist, daß Waigel aus seinen Haushaltslöchern schlechter herauskommt als sein italienischer Amtskollege Ciampi, läßt sich nicht mehr begründen, warum die Bundesrepublik zur Währungsunion gehören darf, Italien aber nicht.

Die Bonner Finanznöte wären mit etwas Phantasie für die italienische Regierung zu nützen gewesen. So hat die Bundesregierung in den letzten Wochen zwei spektakuläre Budgetentscheidungen getroffen, die mit neoliberaler Austerity nichts mehr zu tun haben: Die Absenkung des Soli-Zuschlages kostet den Bund etwa acht Milliarden, die Anschaffung des Euro-Fighters etwa 23 Milliarden Mark. In einem vergleichbaren Rahmen bewegen sich die von Rifondazione geforderten Abstriche am Sparpaket der Prodi-Regierung mit einem Gesamtvolumen von umgerechnet 20 Milliarden Mark. Doch während die in Bonn beschlossenen Milliardenlöcher zu einer Regierungskonsolidierung führten, provozierten die in Rom vorgeschlagenen eine Regierungs-, vielleicht sogar eine Staatskrise. Der Unterschied: Kohl wollte seine Koalition zusammenhalten, Prodi nicht. Die Bundesregierung sorgte für eine Gegenfinanzierung für den abgesenkten Soli, die weder die unteren Klassen noch den Staatshaushalt belastet, indem sie auf dem Papier einige Umbuchungen (aus dem Erblastentilgungsfonds) vornahm. Prodi und Ciampi hingegen, die solche genialen Finanztricksereien bisher ebenso raffiniert wie routiniert praktiziert haben, waigelten plötzlich genauso schlimm wie der Bayer in früheren Tagen: Sparen, Sparen, Sparen - und immer an die Broker denken.

Diese finanzpolitische Rochade zwischen italienischer und deutscher Regierung ist also mit dem Verhalten von Rifondazione nicht zu begründen. Warum wollte Prodi dennoch den Bruch? Zwei Erklärungen sind denkbar: Entweder er fürchtet eine neue Offensive der Deutschen gegen die italienische Euro-Teilnahme, wofür die Zinswende der Bundesbank spricht, und hält in dieser Situation eine Regierung der nationalen Einheit mit den rechten Parteien für notwendig. Oder Sozialdemokraten und Grüne machen mittlerweile wirklich eine unsozialere und weniger kreative Wirtschaftspolitik als Konservative. Für beide Theorien gibt es Anhaltspunkte, in Rom und in Bonn.