»Der Fall ist kein politischer«

Österreichs Terrorfahnder glauben, den langgesuchten Briefbomber gefaßt zu haben. Nun arbeiten sie daran, ihn als unpolitischen Psychopathen darzustellen

Der Mann ist ein Genie. Er sang schon in den Schulpausen Wagner-Arien. Er stritt bereits mit seinem Physiklehrer über die Bedeutung der Relativitätstheorie. Er wollte eigentlich Atomphysiker werden. Er verdiente durch Aktienspekulationen an der Wiener Börse Millionen. Und seit 1993 soll er 25 Briefbomben versandt, drei Rohrbomben deponiert und sich in elf perfekt formulierten Bekennerschreiben auf 70 Seiten mit insgesamt 220 000 Zeichen zu seinen Taten bekannt haben.

Seit sich vor einer Woche im südsteirischen Obergralla der 48jährige Franz Fuchs bei einer Gendarmeriekontrolle mit einer Rohrbombe selbst beide Hände wegsprengte, sind sich Österreichs Terrorfahnder sicher: Mit Franz Fuchs hat man den langgesuchten Bombenattentäter gefaßt. Der Mann sei eine Art österreichischer "Una-Bomber", ein Einzelgänger und ein unpolitischer Psychopath, erzählen Österreichs Innenminister Karl Schlögl und seine Beamten seit einer Woche der erstaunten österreichischen Öffentlichkeit.

Tatsächlich spricht aber bis heute mehr dafür, daß Fuchs Komplizen hatte und politisch nicht im luftleeren Raum agierte. Bis dato haben Österreichs Terrorfahnder nämlich nur Material gefunden, das beweist, daß Franz Fuchs Mittäter jener "Bajuwarischen Befreiungsarmee" (BBA) ist, die sich zu den Anschlägen der letzten Jahre bekannt hat. Bei den in Fuchs' Wohnung in den letzten Tagen durchgeführten Haudurchsuchungen fand man: ein auf der Schreibmaschine verfaßtes und handschriftlich redigiertes unvollendetes Konzept eines Bekennerschreibens; einen maschinengeschriebenen Text, dessen Schriftart identisch ist mit der eines Bekennerschreibens der BBA; eine Checkliste für den Bau einer Briefbombe; Schaltpläne für Briefbomben der Serie V vom Dezember 1995 und der Rohrbombe, die in Oberwart vier Roma tötete; Silberfulminat in einem Zünder, das in den meisten Sprengsätzen der BBA verwendet wurde, und ein Gemisch aus Nitrocellulose und Nitroglyzerin, wie es als Nebenbestandteil in den Briefbomben vom Oktober und Dezember 1995 und Dezember 1996 verwendet wurde.

Bei den Vernehmungen durch die Polizei gestand Fuchs bislang, ein Mitglied der BBA zu sein, drei Bekennerschreiben an Rechtsanwälte aufgegeben und den Ankauf von Disketten, Kuverts und Briefmarken für die BBA getätigt zu haben. Außerdem habe er die bei ihm gefundenen Bomben scharf gemacht, jedoch nicht für eine spätere Verwendung, sondern zum Eigenschutz. Und: Er sei in der steirischen Kampftruppe die Nummer 3.

Vieles, was für die vom österreichischen Innenministerium forcierte Einzeltätertheorie spricht, wurde aber nicht gefunden. Bis heute hat man nicht jenes Labor gefunden, in dem die Sprengkörper hergestellt wurden und zu dem Fuchs Zugang gehabt haben muß. Bei Fuchs, der in dem elterlichen Haus zwei Zimmer bewohnte, wurde kein einziges historisches Buch gefunden. Die BBA hatte sich in ihren Bekennerschreiben in umfangreichen Abhandlungen mit der deutschen "Sendung" Österreichs befaßt und ihren "Bajuwarenkult" ausführlichst historisch begründet. Die Verfasser der Bekennerschreiben müssen sich auch mit rechtsextremer Literatur beschäftigt haben. Unter anderem enthalten die Schreiben Passagen aus Schriften österreichischer Neonazis. Der angebliche Absender einer Briefbombe war ein gewisser Reinhold Elstner. Elstner gilt seit 1995, als er sich vor der Münchner Feldherrenhalle mit Benzin übergoß und anzündete, als Kultfigur der Neonazi-Szene. Ein weiterer Absender war ein "Dkfm. Walter Ochsenberger". Ochsenberger stand als Herausgeber von neonazistischen Hetzschriften und mehrmals wegen neonazistischer Wiederbetätigung vor Gericht und wurde 1991 zu drei Jahren Haft verurteilt.

Zudem fehlte in Fuchs' Wohnung jeglicher Hinweis auf eine umfangreiche Mediendokumentation. In den Bekennerschreiben hatten sich die Bombenleger immer wieder auf Zeitungsberichte bezogen und über die Berichterstattung der österreichischen Medien hergezogen. In den Bekennerschreiben finden sich auch unzählige Anspielungen auf Details, die nur dem ermittelnden Behördenapperat bekannt gewesen sein können und die niemals an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Beispielsweise wußte die BBA, daß die Sprengstoffgutachten des österreichischen Bundesheeres billiger waren als die des Entschärfungsdienstes des Innenministeriums, als sie schrieb: "Wieser (Leiter der zuständigen Stelle im österreichischen Bundesheer, Anm.) mit seinem Team oder ein Gleichwertiger möge die Angaben überprüfen! Er weiß nicht nur, wie man kostengünstig zu Ergebnissen kommt, sondern auch, wie man mit Gefahren umgeht." Die Passage eines anderen Bekennerschreibes - "Herr Magister Thomas Müller, das waren kurze Sätze" - bezieht sich auf eine nicht öffentlich zugängliche Analyse der BBA-Briefe. Das sind wohl auch die Gründe, weshalb die Terror-Ermittler angeblich so felsenfest davon überzeugt sind, daß Fuchs nur ein psychopathischer Einzeltäter ohne politischen Hintergrund und ohne Komplizen sein kann. Bis vor zwei Jahren gingen die Fahnder noch davon aus, daß eine kleine Gruppe mit deutschnationalem Hintergrund hinter den Attentaten stecken könnte.

Eine Schlüsselfigur bei der Umorientierung von der Mehrtäter- zur Einzeltäter-Theorie ist der Kriminalpsychologe Thomas Müller. Der "Supercop", wie er heute von den österreichischen Boulevard-Medien gefeiert wird, ist ein ergebener Schüler der FBI-Profiler Robert K. Ressler und John Douglas. Seine Theorie: Die fremdenfeindlichen Anschläge der Bajuwarischen Befreiungsarmee sind durchaus vergleichbar mit Sexual-Serienmorden ˆ la Jack Unterweger oder Ted Bundy.

Durch eine geschickte Heiratspolitik hat der Kriminalpsychologe in den letzten Jahren seine Position im österreichischen Innenministerium immer mehr gestärkt und gab damit dem alten Habsburger-Motto "Tu felix Austria, nube" eine moderne Fa ç on. Er heiratete die Leiterin jener Sonderkommission, die für die Aufklärung der Attentate zuständig ist. Trauzeuge dieser Heirat war wiederum Michael Sika, Generaldirektor für öffentliche Sicherheit und damit Österreichs oberster Polizist, der heute sagt: "Nur die Öffentlichkeit will Mittäter. Der Fall ist kein politischer." Unterstützt wird Müller auch durch den amtierenden Innenminister Karl Schlögl, der in den letzten Tagen alles daran setzte, den Attentäter als unpolitischen Psychopathen darzustellen. Schlögl gilt als braver Sozialdemokrat, frei von jeglicher Ideologie, der nirgends anecken will. "Ich bin der fleischgewordene Konsens. Ich will es immer allen recht machen", ist sein Lebensmotto, auf das er mächtig stolz ist.