Der Frack steht ihm gut

Stockholm hat richtig entschieden - Dario Fo erhält den Literatur-Nobelpreis.

"Ist das vorstellbar? Der König ruft mich, ich komme rein und sage: 'Guten Morgen, mein Herr', nicht König oder Majestät. Was zum Teufel sagt man da? Sie haben hier eine Auszeichnung für mich? Welche Ehre für mein Land.

Wissen Sie auch, daß ich in Italien Auftrittsverbot habe, von der Justiz verfolgt werde und kein festes Haus besitze? Na, macht nichts. Ich habe den Preis und bin glücklich. Geben Sie mir ein Küßchen, Majestät?"

Mit diesen Worten kommentierte Dario Fo 1975 die Meldung, er sei für den Literatur-Nobel vorgeschlagen. Jetzt hat er ihn. Die erste Reaktion des notorischen Spötters war: "Ich bin bestürzt!"

Tatsächlich fällt Dario Fo etwas aus der bisherigen Liste der Nobelpreis-Komitees, in der Dramatiker kaum vorkommen, heraus. Er ist kein Vertreter des sakrosankten Textes, liebt das Stegreifspiel, den Dialog mit dem Publikum, auch während der Aufführung, und er ist nicht nur Bühnenautor. Er ist Schauspieler, Pantomime, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, der ideale Gesamtkünstler also, und so muß unklar bleiben, wer größeren Anteil hat an seinem enormen Erfolg seit 45 Jahren, der Autor mit dem sicheren Gespür für wirksame Stücke oder der geniale Mime.

Die Stationen des diesjährigen Nobelpreis-Trägers für Literatur: 1926 am Lago Maggiore geboren als Sohn eines dörflichen Bahnhofvorstehers, Partisan, Architekturstudent, Studententheater. 1953 der erste große Erfolg als Autor und Schauspieler an Italiens wohl bekanntester Bühne, dem Piccolo teatro in Mailand mit "Poer nano". Schon dieses Stück, eine Serie von Farcen, enthält die Elemente, die nahezu alle seine gut 60 Komödien auszeichnen, mit denen er seither durch Italien getingelt ist: die beißende Kritik an den herrschenden Klassen und dem Klerus, die Satire auf die bürgerliche Doppelmoral, aber auch die liebevoll-ironische Darstellung eines gutgläubigen Volkes, das sich so leicht über den Tisch ziehen läßt.

Die Bandbreite seiner Themen ist so phantasievoll wie die seiner sprachlichen und bühnenspielerischen Mittel. In "Mistero buffo" von 1969 findet sich manches gebündelt: Die Lautmalerei seiner Sprache, die große Pantomime, die Generalabrechnung mit dem Papsttum, die offene Sympathie für die revolutionären Bauern und "minderen Brüder", die sozialkritischen Bettelmönche um Joachim von Fiore, die vom Vatikan gnadenlos gefoltert und ermordet wurden.

Hier wird deutlich, daß Fo ein tief humanistischer Dichter ist, sein Hohn eine Folge erlittener Verletzungen, kein Atheist und niemand, der die Religosität des Volkes verunglimpfen will, wenn er Papst Bonifaz in den Hintern tritt. Mit Fo betritt der Sozialismus als legitimer Wechselbalg der christlichen Lehre, die ihre Offenbarung auf das Diesseits richtet, die Bühne des Volkstheaters.

Großen Anteil an Fos Werk und Erfolg hat seine Frau Franca Rame, die einer Familie von Wanderschauspielern entstammt. Ihr verdankt er wesentliche Anregungen über das Spiel aus dem Stegreif, den direkten Dialog mit dem Publikum, das Tingeln. Sie ist Hauptdarstellerin, seine wichtigste Lektorin und Managerin des Theaterunternehmens Fo/Rame. Ihr Gespür für das Funktionieren einer "Battuta", eines "Lazzo" (eines Wortspiels, eines Slapsticks), aber auch ganzer Stücke ist untrüglich. Eine Autorität, der auch der Nobelpreisträger sich beugt.

Der Erfolg Fos in Italien ist unvorstellbar. Er resultiert ebenfalls aus der Zeit, als Frau und Herr Fo in der Rolle als die Schöne und der Tolpatsch brillierten. Mühelos füllten die beiden Abend für Abend riesige Säle, auch in der hintersten Provinz. Das ist umso bemerkenswerter, als Fo sich seit Jahrzehnten in Querelen mit der Justiz verstrickt und von der herrschenden Literatur- und Theaterkritik weitgehend abgelehnt wird. Seine antipäpstlichen Invektiven haben ihm geradezu die Rolle eines Gegenpapstes auf den Leib geschrieben, während Franca Rame lange als die "Soubrette der Roten Brigaden" verunglimpft wurde.

Die Traditionen dieses großen Komödienschreibers reichen weit zurück. In seinem dialektischen Hauptwerk "Kleines Handbuch des Schauspielers" beginnt er mit der griechischen Komödie, betrachtet lernbegierig das mittelalterliche Mysterienspiel und entdeckt für sich die Commedia dell'arte, den Harlekin, den wilden Mann: "Ich bin nicht zum Theater gegangen, um den Hamlet zu spielen, sondern um ein Clown zu werden."

So ehrt Stockholm nicht nur einen bislang ungewohnten Autoren-Typus, einen höchst raren zudem, der sich mit den Vorlieben und Moden des Literatur- und Theaterbetriebes nicht deckt, sondern auch einen libertären Linken, der soziales Engagement und Parteilichkeit zugunsten der Ausgebeuteten und Unterdrückten vertritt. Das Ganze natürlich mit den Mitteln der Satire und der Dichtkunst, die ganz nebenbei die Grenzen zur experimentellen Literatur überschreitet, so, wenn er Szenen in erfundenen Sprachen erfindet (die "Gramelots"), die bald englisch-elisabethanisch klingen, bald nach Französisch zur Zeit des Sonnenkönigs, die reinste Lautmalerei also, und sich dennoch mühelos erschließen über die Pantomime.

Gespielt wird Fo in der ganzen Welt, überall beziehen seine Stücke sich in rätselhafter Weise auf die jeweilige Landeskunde. Er ist auch selber auf allen fünf Erdteilen aufgetreten. Selten hat ein Autor die Internationalität seiner Heimatsprache im Original so verblüffend bewiesen. Wenn Fo selber seine Stücke spielt, braucht er keinen Übersetzer.

In Deutschland hatte er große Saison bis in die achtziger Jahre, als es noch schick und opportun war, mit Ladendieben und Entführern hochgestellter Persönlichkeiten zu sympathisieren, die Amtskirche zu verspotten und einen armen Kommissar der politischen Polizei zu verhohnepiepeln, der beim Verhör versehentlich einen Anarchisten aus dem Fenster fallen läßt.

Fo hat politisch nie abgeschworen.

In Stuttgart führte er 1977 pantomimisch vor, wie kinderleicht es ist, eine Pistole in den Hochsicherheitstrakt zu schmuggeln und sich selber ins Genick zu schießen. In Italien sympathisiert er mit der Rifondazione comunista, doch ein Parteidichter war er nie. Der orthodoxe Funktionär ist ihm nicht weniger unsympathisch, als der Kardinal und der Wahrsager es sind. So gesehen, passen Nobel und Fo gut zusammen, auch wenn der von Fo erfundene Sprengstoff humaner ist.

Klar, daß es gegen seine Auszeichung Polemiken gibt. Das ist er gewöhnt, aber die von Alfred Nobel formulierten Ausschreibungsbedingungen erfüllt er trotzdem. Und ein begnadeter Bühnenautor, dessen Erfindungsreichtum und Sprachwut es mit seinen besten Zeitgenossen aufnehmen kann, mit einem imposanten Werk, ist er obendrein.

Das Stockholmer Komitee hat eine vielleicht unbequeme, jedoch richtige Entscheidung getroffen, gerade weil der diesjährige Preisträger kein Autor im engeren Sinne ist.

Peter O. Chotjewitz hat Dario Fos Werke ins Deutsche übertragen