Generalprobe in Ahaus

Der Castor-Transport ist auf Frühjahr verschoben - der Anti-Atom-Bewegung bleibt Zeit für den internen Streit

Der Testlauf für eine Blockade des Castor-Transports am Tag X sollen sie werden, die bundesweiten Schienen-Aktionstage in Ahaus am 18. und 19. Oktober. Zwar sind seit der Eröffnung des Zwischenlagers 1992 über 50 Atommüll-Transporte fast ungestört nach Ahaus gerollt, aber für die kommende Aktion ist die Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus" optimistisch. Für die Schienen-Aktionstage rechnet sie mit über tausend AtomkraftgegnerInnen.

Schon jetzt lagern 305 Castor-Behälter in der Leichtbau-Lagerhalle zwei Kilometer von der Stadt Ahaus entfernt. Sie sind gefüllt mit rund 620 000 ausgedienten Kugelbrennelementen des stillgelegten Thorium-Hochtemperaturreaktors (THTR) Hamm-Uentrop. Die Mobilisierung gegen diese Einlagerung hielt sich in Grenzen. Schließlich ging es um einen guten Zweck: die Stillegung des Reaktors in Hamm-Uentrop. Doch die Situation hat sich geändert, seit die Betriebsleitung des Atomkraftwerks Neckarwestheim im März einen Castor-Transport nach Ahaus ankündigte und Bundesumweltministerin Angela Merkel öffentlich darüber spekulierte, daß im Münsterland der Widerstand geringer sein werde als bei dem kurz vorher mit großem Polizeiaufwand durchgesetzten Transport nach Gorleben. Die bundesweite Anti-Atom-Bewegung war alarmiert, und auch in der Umgebung der Leichtbau-Lagerhalle interessierte man sich plötzlich für das Thema. Die katholische Kirchengemeinde in Ahaus faßte einen einstimmigen Beschluß zum Ausstieg aus der Atomenergie und gegen weitere Castor-Transporte. Zu einer Demonstration im Mai kamen erstmals Bauern aus der Gegend mit ihren Traktoren, und zu dem allmonatlichen Sonntagsspaziergang der Bürgerinitiative, der früher die Größe eines besseren Familienausflugs hatte, kamen zuletzt über 500 Leute.

Doch zum heißen Herbst wird es in Ahaus nicht kommen. Zum einen ist der ursprünglich für Herbst 1997 angekündigte Transport inzwischen auf Frühjahr 1998 verschoben. Bei der Bürgerinitiative in Ahaus gehen Gerüchte um, das Bundesumweltministerium werde gleichzeitig einen Transport nach Gorleben losschicken, und so versuchen, die Bewegung zu spalten.

Andererseits brechen innerhalb der Anti-Atom-Gruppen Konflikte wieder auf, die bereits nach den Aktionen im Frühjahr in Gorleben tobten. Auf einem bundesweiten Delegiertentreffen am 21. September mußte sich die Ahauser Bügerinitiative scharfe Kritik anhören. In einem Flugblatt hatte sie unter der Überschrift "x-tausendmal-quer" zur Blockade des Castor-Transports nach Ahaus aufgerufen und darin Gewaltfreiheit als den einzig wirksamen Weg gepriesen. "Irgendwann gibt die Polizei auf", so ihre Vision, wenn sich nur "Tausende gemeinsam gewaltfrei querstellen". Und weiter: "Mit Gewalt können sie umgehen, an Gewaltfreiheit scheitern sie aber auf Dauer, da der Gegenseite das Feindbild fehlen wird!" Mit ähnlichen Worten und unter dem gleichen Titel hatten Gewaltfreie im Frühjahr zu einer Blockadeaktion in Gorleben mobilisiert. Die TeilnehmerInnen an ihrem Blockadecamp mußten eine Übereinkunft unterschreiben, in der es hieß: "Wir werden keinen Menschen verletzen oder beschimpfen. Wir versuchen, allen Menschen mit Aufrichtigkeit und Gesprächsbereitschaft zu begegnen." Alle, die diesen Bekenntnissen nicht folgen wollten, versuchten die "x-tausendmal-quer"-Leute von "ihrem" Gleisabschnitt fernzuhalten. Vermummten wurde kurzerhand die Vermummung entrissen. Mit Schubsen und Zerren versuchte eine militant-gewaltfreie Aktivistin, einen Fotografen zu verscheuchen. Seine Anwesenheit hätte zu Aggressionsausbrüchen bei der Polizei führen können, war die Erklärung. Castor-GegnerInnen, die lautstark gegen die Prügelei der Polizei protestierten, wurden - mit der Begründung, das Pfeifen könne zu einer Eskalation der Lage führen - des Platzes verwiesen.

In Ahaus bemüht man sich inzwischen um Schadensbegrenzung. Der dortige "x-tausendmal-quer"-Aufruf wurde leicht überarbeitet, und nun hofft Peter Münster von der Bürgerinitiative, daß die "Mißverständnisse" ausgeräumt sind. Selbstverständlich werde die Initiative auch andere Aktionsformen tolerieren, nur wolle sie mit ihrem Aufruf auch bürgerlichere Kreise erreichen. Einige Gruppen aus Bremen, Oldenburg und Hamburg sind allerdings vom Auftreten der Gewaltfreien so genervt, daß sie überlegen, am Tag X den Transport lieber in Neckarwestheim zu blockieren.

Aber nicht nur die umstrittene "x-tausendmal-quer-Kampagne" könnte zu einem Abbröckeln des Widerstandes führen. Ein weiterer Streitpunkt in der Vorbereitung der Blockadeaktionen in Ahaus ist der Umgang mit sexistischen Übergriffen in den Camps. Hintergrund der Auseinandersetzung: Beim vergangenen Castor-Transport in das wendländische Gorleben wurde eine Frau vergewaltigt. Der größte Teil der DemonstrantInnen sah den Widerstand gegen den Castor als wichtiger an, als sich mit der Vergewaltigung auseinanderzusetzen. Als das Thema auf einem Plenum angesprochen wurde, hieß es sinngemäß: Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie wir mit den Faschos umgehen, die in Dannenberg Castor-GegnerInnen überfallen haben. Selbst, als die betroffene Frau mit einem Mann, der einzigen Person, der sie noch vertraute, Zuflucht in einem Frauencamp suchte, stieß sie auf Unverständnis. Ihr wurde gesagt, wenn sie in das Camp wolle, müsse sie sich von ihrem Freund trennen. Die Frau reiste aus dem Wendland ab und nahm sich einige Tage später das Leben.

In einem ähnlichen Fall sollten in Ahaus die Aktionen abgebrochen werden, forderte auf dem Vorbereitungstreffen am 21. September eine Gruppe. Nach "zähen Diskussionen", wie es in der Vorbemerkung heißt, wurde schließlich eine Erklärung unter dem Titel "Kein Platz für Vergewaltiger und Sexisten" verabschiedet. Die ursprüngliche Forderung nach Abbruch der Aktionen fehlt in dem Text. Doch in Zukunft soll "jeder Mann, der Frauen belästigt, angreift" von gemeinsamen Aktionen" ausgeschlossen werden. Einigen Frauen genügt diese Erklärung allerdings nicht, sie fordern eine neue Diskussion auf dem nächsten Delegiertentreffen Ende Oktober.