Preisverdächtige Regierungskrise

Traumatisch wie Moros Entführung

In Italien ist nichts beständig, außer dem Vorläufigen. Diese 1917 von Giuseppe Prezzolini (1882-1982) beobachtete Regel des italienischen Lebens schien sich letzte Woche wieder einmal zu bewahrheiten. Rifondazione Comunista verweigerte der Mitte-Links-Regierung erst die Unterstützung zum Haushalt wegen Modalitäten bei der Rentenkürzung verweigerte und brachte sie damit vorläufig zum Scheitern, stellte anderntags aber wiederum eine auf ein Jahr befristete technische Unterstützung derselben Koalition in Aussicht.

Die Gewerkschaften hatten schon vorher ihre Beweglichkeit bei der künftigen Festsetzung des Rentenalters in der Privatindustrie signalisiert. Nun ergriffen die Neokommunisten die Chance, sich bei der Verteidigung des Status quo in diesem Sektor - auf Kosten der Gewerkschaften und der PDS - als Sachwalter der Interessen von den etwa sechs Millionen verarmten Italienern zu präsentieren, die das von den Maastricht-Konvergenzen verengte Tor zu Europa durchschreiten werden. Mit einem Blick auf Frankreich - und auf das durchaus Machbare - wurden Vorschläge zur Schaffung von 300 000 Arbeitsplätzen im Süden, zur Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und gegen die Kostenbeteiligung sozial schwacher Schichten bei der Gesundheitsfürsorge in die Haushaltsverhandlungen mit eingebracht.

In der auf Europa eingeschworenen italienischen Presse gelten solche Forderungen als maximalistisch. Um sich zu halten, hat Ministerpräsident Prodi tagelang versucht, ihnen in einem bestimmten Verhandlungsrahmen entgegenzukommen. Doch das taktische Überflügeln der gewerkschaftlichen Vertretungs- und Verhandlungsmacht durch die Neokommunisten im Parlament konnte vom PDS als größtem Koalitionspartner des Olivenbaums - und als ehemaligem Rivalen der Rifondazione im alten PCI - nicht mehr hingenommen werden. D'Alema, Chef dieser italienischen Variante der Sozialdemokratie, würde eh lieber heute als morgen auf Neuwahlen setzen, wenn nicht sogar auf eine Einbindung des Berlusconi-Pools in die Regierungsverantwortung; um erstens Rifondazione draußen zu haben, und zweitens, um die Kürzungen durchzuziehen, über deren Rigorosität vor zwei Jahren gerade Berlusconi - als Regierungschef - gestolpert war.

Was bei dem ganzen Theater bisher auf der Strecke geblieben ist - und das ist vermutlich auch der tiefere Sinn des Ganzen -, sind die Regungen einer nicht mediatisierten sozialen Opposition. So kann es passieren, daß der verschärfte Bruderstreit von manchen verwirrten Linkswählern beider Gruppierungen, PDS und Rifondazione, heute in der Konsequenz als ähnlich traumatisch empfunden wird wie damals die Moro-Entführung durch die Roten Brigaden. Nach Bertinottis "No" demonstrierten Tausende ihre Unterstützung für die sogenannte erste linke Nachkriegsregierung und mancher heulte sogar in das Mikrophon von Radio Popolare. Vielleicht haben erste Umfragen unter der Basis Rifondazione sogar dazu gezwungen, die eigene Position abzuschwächen. Abgesehen davon, daß ein gutes Abschneiden bei Neuwahlen ausgesprochen unsicher ist. Es ist in diesem Zusammenhang sicherlich interessant, den Ausgang einer von den unabhängigen Basisgewerkschaften am 18. Oktober nach Rom einberufenen Demonstration gegen den Sparhaushalt abzuwarten, die auch von einer sich radikalisierenden linken Strömung innerhalb der Rifondazione Comunista unterstützt wird. Vielleicht bleibt ja nicht alles nur beim Spektakel, auch wenn's mittlerweile - Dario Fo sei Dank - nobelpreiswürdig ist.