Moderne Vogelfreiheit

Die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" fordert Menschenrechte für alle ImmigrantInnen

Das bundesdeutsche Ausländergesetz stellt Fluchthilfe und sonstige Unterstützung für MigrantInnen ohne gültige Aufenthaltspapiere unter Strafe. Deshalb haben 150 Organisationen und über 1 000 Einzelpersonen letzte Woche anläßlich der Frankfurter Buchmesse dazu aufgerufen, illegalisierten Flüchtlingen dennoch aktiv bei der Ein- und Weiterreise, der Wohnungs- und Arbeitssuche und der gesundheitlichen Versorgung zu helfen.

"Weil sich ein immer größerer Teil der praktischen Solidarität mit Flüchtlingen den herrschenden Gesetzen entziehen muß und zunehmend auch von staatlicher Seite kriminalisiert wird, benötigen gerade diese Aspekte derzeit dringend eine öffentliche Verteidigung". Eine solche Verteidigung und bei Bedarf auch politische Rückendeckung für konkrete Flüchtlingsprojekte soll nun die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" bieten - ohne danach zu fragen, warum und wie ein Mensch nach Deutschland eingereist ist, und ohne sich um seine Herkunft oder seinen rechtlichen Status zu kümmern.

Zu den ErstunterzeichnerInnen des Aufrufs gehören neben zahlreichen Personen aus der Parteipolitik, UniversitätsdozentInnen und ÄrztInnen auch die Autorinnen Elfriede Jelinek, Christa Wolf und Doris Gerke sowie Ellis Huber, der Vorsitzende der Berliner Ärztekammer. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten steht hinter dem Anliegen. Die Kampagne ist angelehnt an die Erfahrungen der "Sans Papiers" in Frankreich, die in den letzten Jahren durch spektakuläre Aktionen, offensives Auftreten und breite Unterstützung in der Öffentlichkeit Verbesserungen ihrer Situation erkämpfen konnten.

Daß ein öffentliches Auftreten zugunsten illegalisierter MigrantInnen hierzulande dringend notwendig ist, zeigen die jüngsten Debatten in Berlin: Das Bundesverwaltungsgericht hatte am 25. September in einem Grundsatzurteil festgelegt, daß Personen, die faktisch nicht abgeschoben werden können - sei es z.B. weil das Herkunftsland sie nicht aufnehmen will oder weil sie keinen Paß bekommen - grundsätzlich eine Duldung bekommen müssen. Daraufhin empörten sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und seine Ausländerbeauftragte Barbara John und forderten eine Änderung des Ausländerrechts, die keine Duldung mehr für diejenigen vorsieht, die "freiwillig" hätten ausreisen können. In Berlin, Thüringen und Bayern wurde das rechtswidrig bereits so praktiziert - was durch das Grundsatzurteil jetzt gerügt worden ist.Die Forderung der Berliner CDU-PolitikerInnen macht erst Sinn in Verbindung mit dem umstrittenen Vorstoß der Sozialsenatorin Beate Hübner (ebenfalls CDU), die vorgeschlagen hatte, dieser Gruppe von Flüchtlingen keinen Anspruch auf Sozialhilfe mehr zuzugestehen und in Zukunft lediglich dafür zu sorgen, "daß der Einzelne nicht verhungert".

Dementsprechend heißt es im Begleittext zur Kampagne "Kein Mensch ist illegal", die Innenministerien entwickelten "immer neue Ideen, die nur ein Ziel kennen: das Leben von MigrantInnen hier unerträglich zu machen". Mathias Lange, Sprecher des Niedersächsischen Flüchtlingsrates und Mitinitiator der Kampagne, erklärte, es gebe viele Wege, "illegal" zu werden, und nur ein kleiner Teil der MigrantInnen suche direkt nach einem illegalen Grenzübertritt sofort Zuflucht in der "Schattengesellschaft". "In der Regel sind diese Menschen nach ihrer Einreise illegalisiert worden, da aus den unterschiedlichsten Gründen keine Verlängerung des legalen Aufenthalts möglich war", so Lange. Das Gros dieser "nicht registrierten neuen Unterklasse" werde von Verwandten und Freunden unterstützt und versuche, möglichst unauffällig einer Arbeit nachzugehen. Anders als es die Rede von den "Illegalen" suggeriere, sei das einzige Vergehen dieser Leute meist ihr unklarer Aufenthaltsstatus, kriminell seien sie deshalb noch lange nicht.

"Die Folge der Illegalität ist", so Lange weiter, "daß Nischen des Überlebens entstanden sind, die mehr oder weniger an Sklavenhalterverhältnisse erinnern. Diese Nischen-Strukturen ermöglichen ein Leben in der Über-Ausbeutung, das von der permanenten Hire and fire-Drohung bestimmt wird. Wer keine Wahl hat und in diesen Strukturen sein Überleben sichern muß, der lebt unter Bedingungen absoluter Gesetzlosigkeit, hat keinerlei Rechte und kann sich noch nicht einmal auf legale Weise gegen Straftaten wehren, die sich gegen ihn selbst richten."

Weil auch für MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus die Menschenrechte gelten, selbst wenn sie diese nicht einklagen können, wollen die UnterzeichnerInnen der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" zu einer "Quasi-Legalisierung von unten" beitragen: Indem sie z.B. LehrerInnen, SozialarbeiterInnen, KindergärtnerInnen oder ÄrztInnen organisieren, die bereit und in der Lage sind, ihre Tätigkeiten für Illegalisierte zu nutzen - trotz und wegen der aktuellen Gesetzeslage.

Kontakt: Initiative "Kein Mensch ist illegal", c/o FFM, Gneisenaustr. 2 a, 10961 Berlin