Staatsschutz-Anwalt geht gegen Stammheim-Lüge vor

Weil sie Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nahmen, hat die Staatsanwaltschaft in Hamburg Ermittlungsverfahren gegen zwei Frauen eingeleitet

Staatsschutzangelegenheiten sind Bernd Mauruschats Broterwerb. Der Hamburger Staatsanwalt gilt Kennern der Gerichtsszene als verlängerter Arm der Karlsruher Bundesanwaltschaft in der Hansestadt.

In den vergangenen Wochen durfte Mauruschat gleich zweimal seines Amtes walten: Innerhalb weniger Tage leitete er gegen die ehemalige RAF-Gefangene Möller und die verantwortliche Redakteurin des Angehörigen-Infos, Christiane Schneider, zwei Ermittlungsverfahren ein. Beiden Frauen wirft Mauruschat die "Billigung von Straftaten" vor, Irmgard Möller soll zudem den Staat verunglimpft haben.

In dem am 11. Oktober bei Irmgard Möller eingegangenen Schreiben wirft Mauruschat - pünktlich zum zwanzigsten Jahrestag der Stammheimer Todesnacht von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe - vor, in zwei Interviews behauptet zu haben,

die RAF-Gefangenen seien ermordet worden. Neben dieser angeblichen Staatsverunglimpfung soll Möller durch die Äußerung, die Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer durch Mitglieder der RAF sei "kein Fehler" gewesen, Straftaten gebilligt haben.

In dem im Konkret-Verlag als Buch erschienenen Möller-Interview mit dem Hamburger Journalisten Oliver Tolmein ("RAF - das war für uns Befreiung") ist die heute 50jährige mit den Worte zitiert: "Wenn man nicht bereit ist, jemanden wie Schleyer zu töten, darf man ihn gar nicht erst entführen."

In einer Erklärung ihres Bundesvorstandes bewertet die Rote Hilfe, die politisch Verfolgte unterstützt, das eingeleitete Ermittlungsverfahren als Versuch, "Irmgard Möller endgültig zum Schweigen zu bringen". Möller, die als einziges Mitglied des RAF-Kerns die Stammheimer Todesnacht schwerverletzt überlebt hat, solle "nicht mehr die allseits verinnerlichte Selbstmordversion in Zweifel ziehen dürfen". Die Rote Hilfe erinnerte daran, daß eine internationale Untersuchungskommission bereits 1978 "vielfältige Ungereimtheiten" in dem offiziellen Selbstmord-Szenario aufgedeckt habe.

Während Irmgard Möller über ihren Hamburger Anwalt Johannes Santen zunächst Einsicht in die Ermittlungsakten beantragt hat, plant sie selber eine Klage gegen den Spiegel. Das Magazin hatte Ende September ein unmittelbar nach der Stammheimer Todesnacht von Möller gemachtes Foto veröffentlicht, das die durch Messerstiche im Brustbereich schwer verletzte RAF-Gefangene mit freiem Oberkörper und deutlich sichtbaren Verletzungen im Krankenbett zeigt. Irmgard Möller, die immer ausgesagt hat, sie habe sich die Verletzungen nicht selber zugefügt, sieht in der Fotoveröffentlichung einen krassen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte.

Wenige Tage, bevor Irmgard Möller von den gegen sie eingeleiteten Ermittlungen erfuhr, hatte die verantwortliche Redakteurin des Angehörigen-Info, Christiane Schneider, ebenfalls Post von Bernd Mauruschat erhalten. Da sie in der 1989 von Angehörigen der RAF-Gefangenen gegründeten Monatszeitschrift Auszüge eines Kommuniqués der peruanischen Tupac-Amaru-Rebellen (MRTA) und ein Radio-Interview mit Norma Velasco, der Frau des MRTA-Europasprechers Isaac Velasco, dokumentiert hat, droht auch ihr die Anklage wegen der "Billigung von Straftaten".

In den Beiträgen werde "die Geiselnahme in der japanischen Botschaft in Lima durch Angehörige der Tupac-Amaru öffentlich gebilligt", begründet Mauruschat das Verfahren. In einem der inkriminierten Beiträge ist jedoch von der Botschaftsbesetzung in keinem Wort die Rede.

Christiane Schneider, die bereits zwei Dutzend Verfahren wegen der Billigung von Straftaten, wegen Staatsverleumdung oder angeblicher Werbung für eine terroristische Vereinigung hinter sich hat, sieht in dem Ermittlungsverfahren das Bestreben, "die Außenpolitik der Bundesregierung auch innenpolitisch durchzusetzen". Zudem seien die Ermittlungen "der erneute Versuch, das Angehörigen-Info mundtot" zu machen. Bislang war die Journalistin allerdings fast immer freigesprochen worden. Ausnahmen: 1991 wurde sie zu 1800 Mark Geldstrafe verurteilt, weil sie einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem die ungeklärten Todesfälle der Stammheimer RAF-Gefangenen als Morde bezeichnet wurden. Ende April wurde sie wegen zweier Artikel, in denen von der "Hinrichtung" und "Ermordung" des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams in Bad Kleinen die Rede war, vom Altonaer Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 2700 Mark verurteilt. Dagegen hat Schneider Berufung eingelegt.

Hintergrund des neuen Ermittlungsverfahrens ist ein "partielles politisches Betätigungsverbot", das die Hamburger Innenbehörde im September auf Drängen von Bundesinnenminister Manfred Kanther gegen MRTA-Sprecher Isaak Velasco verhängt hatte. Ihm ist es demnach untersagt, irgend etwas zu sagen, das "im Zusammenhang mit den Zielen und dem Verhalten der MRTA in Peru die Anwendung von Gewalt befürwortet, rechtfertigt oder ankündigt".

Velascos Anwalt, der inzwischen Widerspruch gegen die Verfügung eingelegt hat, kommentierte den Maulkorb-Erlaß gegen seinen Mandanten mit den Worten: "Jetzt ist es nur noch ein winziger Schritt, der Presse zu verbieten, wiederzugeben, was Velasco sagt." Diesen Schritt ist die Hamburger Staatsanwaltschaft inzwischen gegangen.