Wild One

"Air Force One" und "Oscar Wilde" - Zwei Männerträume

Der amerikanische Präsident, das unbekannte Wesen? Er ist nun schon in allerlei Positionen und Varianten ausgeleuchtet worden. Die neueste kommt von Wolfgang Petersen. In der Version: Die Reise im total verrückten Präsidentenflugzeug. Sein Mann heißt Harrison Ford oder der Einfachheit halber mit Filmnamen James Marshall.

Marshall hat gerade mit den Russen ein Abkommen getroffen: Keinen Fußbreit dem Terrorismus! Und das ungeachtet seiner eigenen politischen Interessen, so stand das in seiner moralischen Grundsatzerklärung, und so hat er's auch vorgelesen, als die anderen - wie Rußlands versoffener Präsident Petrov (Alan Woolf) - schon beim Schampus waren, Na sdorowje und so weiter.

Mit Gattin Grace (Wendy Crewson) und Töchterchen Alice (Liesel Matthews) in das geschichtsträchtige Flugobjekt Air Force One gestiegen und dann rasch nach Hause geflogen. Sitzen auch die russischen Journalisten gut? Übrigens ist die Maschine so gebaut, daß sie einen frontalen Raketenangriff aushält. Das sollte man mal ausprobieren. Auch ist, das hat man sich ja denken können, die gesamte russische Schreiberzunft in Wahrheit ein eiskaltes Terrorkommando, angeführt von Ivan Korshunov (Serien-Miesling I: Gary Oldman). Das Ziel: Den Präsi entführen, um General Radek (Serien-Miesling II: Jürgen Prochnow) freizupressen, der ein zweites russisches Reich gründen will. Ja, irgendwie hat das auch mit der fürchterlichen Roten Armee zu tun, zumindest mit einer Fraktion von dieser: Denn auf gut Russisch werden die Befehle gehustet: Borschtsch! Wodka! Genosse! Sozialismus! Die Besetzung der Böse- wie auch der Gutwichte ist da übrigens zu vernachlässigen. Ford, Oldman, Prochnow? Keine Überraschung. Die ganze Film-Psychologie ist dahin, denn Hauptdarstellerin ist die weltberühmte Flugmaschine.

Dumm ist die Korshunov-Gang auch noch. Denn sofort werden die beiden Piloten liquidiert, weil die nicht gehorchen wollen. Aber fliegen kann Korshunovs Truppe gerade noch selbst. Auch befindet sich in Marshalls Stab ein Verräter, der die Waffen besorgt. Nun, der Präsident wird es den Bösen kräftig von oben, unten und beiden Seiten besorgen. Mehr wird nicht verraten.

Hahaha: Wolfgang Petersen ("Die Konsequenz", "The Boot", "In The Line Of Fire", "Outbreak"), der neue Stern an Hollywoods Himmel, hat auch Humor! Gleich zu Beginn fliegt die Air Force One über Ramstein. Dort, wo einst um die 70 Menschen während einer Flugschau verschmorten. Übrigens: Mußte Petersen diesen Film machen? Offensichtlich ja. Denn schließlich hat Roland Emmerich auch schon eine Präsidenten-Posse abgeliefert. Und solange Helmut Kohl nicht aus dem Amt ist, ist auch mit einer Rückkehr der beiden Überflieger nach Deutschland nicht zu rechnen - halt, er wird ja Professor! Aber irgendwie waren die reaktionären Film-Phantasien zu republikanischen Zeiten lustiger als es die reaktionären Film-Phantasien zu Demokraten-Zeiten sind. Weise basteln alle mit am weltweiten Pop-Cop US-Präsident. Clinton auf die Cola-Dose! Wie jede seiner Figuren spielt Harrison Ford den wichtigen Mann wenig ausdifferenziert. Ford ist der Tat-Übermensch, egal, in welchen Klamotten er auch gerade steckt. Der Familiensieger. Verlieren kommt im Kosmos der Ford-Rollen eigentlich nie vor.

Petersens Film lehrt allerdings auch einige wichtige Dinge: Reporter sind der reinste Terror. Und Jürgen Prochnow ist leider immer nur noch das große Film-Arschloch mit kleiner Rolle. Schade eigentlich. Aber bald gibt's ja ein Wiedersehen mit dem Herrn Kaleu in der U 96, im Director's Cut. 210 Minuten. Ab 4. Dezember auch in ihrem Filmtheater. Danke.

Übrigens ist "Air Force One" ein verdammt gefährlicher Film. Unverhohlen wirkt der Kalte Krieg weiter, weil einem sonst nichts mehr einfällt. Der ganze russische Staat wird komplett zur Terror-Heimstatt. Ganz wie früher. Aber da war wenigstens noch der Eiserne Vorhang dazwischen. Hoffentlich holt sich Petersen nicht die Organisierte Kriminalität. Auch könnte ihm eine Atombombe auf den Kopf fallen, von denen neuerdings so viele verschwinden. Man denke an die Nato-Ost-Erweiterung. Petersen zündelt am Weltfrieden, so viel ist klar.

"Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben gesteckt, in meine Werke nur mein Talent" - ob das jetzt nun die Devise von Petersens Mondfahrt ist, sei dahingestellt. Sicher aber war es diejenige von Oscar Wilde. Dessen Leben wurde nun verfilmt, vor allem die Stellen, wo er Ärger mit der englischen Gesellschaft bekommt.

Wegen seiner Homosexualität. "Oscar Wilde" ist eigentlich ein intelligentes Biopic, das sich der literarischen Avantgarde des 19. Jahrhunderts zuwendet. 1883 kehrt der Schriftsteller (Stephen Fry) von einer erfolgreichen Vortragstournee aus Nordamerika nach London zurück. Die literarischen Gesellschaften haben ihren strahlenden Intellektuellen wieder. Bald heiratet er Constance (Jennifer Ehle). Das gute, das zufriedene Leben beginnt. Wenige Jahre später veröffentlicht er "Das Bildnis des Dorian Gray" - der Gipfel seiner ruhmreichen Karriere, Kinder hat er auch schon und ein großes Haus. Den Dichter lernt man als liebevollen Familienvater kennen.

Zeit, sich wichtigeren Dingen zuzuwenden, zum Beispiel der homosexuellen Seite der Heterosexualität. Nach einer Affäre mit dem jungen Kanadier Robert Ross (Michael Sheen) lernt er den attraktiven Lord Alfred "Bosie" Douglas (Jude Law) kennen. Oscar entdeckt die Promiskuität und trifft Strichjungs. Aber Bosie soll auch zu seinem Verhängnis werden, oder vielmehr dessen streitsüchtiger Vater, der Marquess of Queensbury (Tom Wilkinson). Weil der herumrennt und Wilde der "Sodomie" beschuldigt, drängt Bosie Wilde zur Verleumdungsklage. Aber der Marquess läßt einige Stricher im Prozeß aussagen, wird alsbald vom Verleumdungsvorwurf freigesprochen, und Wilde dafür der Prozeß gemacht: Denn Homosexualität ist eine Straftat. Wilde wandert für zwei Jahre hinter Gitter, die Gesellschaft hat ihren Frieden, der Spielplan der lokalen Bühnen wird gesäubert. Constance flüchtet vor der gesellschaftlichen Ächtung auf den Kontinent und muß den Familiennamen ändern. Sie hofft, Oscar wiederzusehen und daß er alle Bosie-Flausen vergessen wird. Immer hält sie zu ihm.

Mit "Oscar Wilde" kehrt der von manchen Filmkritikern schwer vermißte Intellektuelle auf die Leinwand zurück. Regisseur Brian Gilbert, der nun nicht gerade im psychologischen Fach geschult ist - unter anderem war er für den Sally-Field-Trash "Nicht ohne meine Tochter" verantwortlich - und dem auch bisher nicht allzuviel eingefallen ist, dürfte jetzt mit "Oscar Wilde" auffallen. Er macht es sich mit seinem Gegenstand nicht leicht. Weder ist "Oscar Wilde" rein romantisierende Erzählung noch statischer Gerichtsfilm. Der kluge Einsatz der Technik - Kameraführung, Ton, Farbgebung, Licht - unterstützt die Version des Oscar Wilde als eines facettenreichen Menschen. Auch die anderen Figuren sind nie eindimensional, sondern immer als widersprüchliche Charaktere gezeichnet. Und "Oscar Wilde" ist eben auch ein pädagogischer Film, und zwar einer, dessen Belehrungen nicht stören, weil man sie kaum bemerkt. Der Zuschauer lernt etwas über einen der wichtigsten Dichter des 19. Jahrhunderts und seine Lebensumstände.

Sollte dem Rezensenten irgendwas Negatives an "Oscar Wilde" entgangen sein, bitte schön. Übrigens ist Stephen Frys Rezitation des "The Selfish Giant" - im Film ein wiederkehrender Zitatenpool, der zuweilen die einzelnen Szenen einleitet, im Internet unter www.oscarwilde.com abrufbar.

"Air Force One". USA 1997. R: Wolfgang Petersen, D: Harrison Ford, Gary Oldman, Glenn Close, Wendy Crewson. "Oscar Wilde". GB 1997. R: Brian Gilbert,D: Stephen Fry, Jude Law, Vanessa Redgrave, Jennifer Ehle, Gemma Jones, Michael Sheen. Beide Filme starten am 23. Oktober