Books are different

Die Buchpreisbindung besteht seit 1887, jetzt soll sie abgeschafft werden

Schon Kurt Tucholsky wetterte gegen die Bücherpreise. Angestachelt durch einen Leserbrief, worin dem "lieben Tucholsky" der baldige Tod - "hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden" - gewünscht wurde, schrieb Tucholsky an seinen Verleger: "Lieber Meister Rowohlt, liebe Herren Verleger: Macht unsere Bücher billiger! Kurt Tucholsky".

Die APO-Generation machte sich diese Aufforderung zu eigen und raubdruckte, was das Zeug hielt. Große Renner waren unter anderem Wilhelm Reichs Orgasmustheorie und Michael Endes "Momo". Reich konnte es egal sein, und Ende dürfte es verschmerzt haben. Und es war üblich, Bücher zu klauen, sie waren schließlich "Allgemeingut", Autoren, Buchhändler und Verleger sollten doch sehen, wovon sie ihre Miete bezahlten.

Cornelia vom Kollektiv der Buchhandlung im Hamburger Schanzenviertel wird unwirsch, wenn ein Kunde mal wieder handeln will: "Klar gibt es einige teure Bücher, aber durch die Preisbindung sind Bücher im Prinzip billig. Viele Kundinnen und Kunden machen sich keine Gedanken, wie die Preise zustande kommen." Das Zauberwort heißt Mischkalkulation und ermöglicht die Herausgabe von Büchern, für die es nur einen kleinen Interessentenkreis gibt.

André M. Plettenberg vom österreichischen "Bücher-Aldi" Librodisk (rund 200 Läden) aber fordert, daß die Preisbindung gekappt wird. Freier Wettbewerb soll herrschen, das würde zu einer "Stimulation des gesamten Buchmarktes" beitragen. "Dann könnten wir hier so nicht mehr existieren, wir müßten das Sortiment umstrukturieren", sagt die Hamburger Buchhändlerin.

Auf Antrag der alpenländischen Bücherkette muß die EU-Wettbewerbskommission jetzt prüfen, ob die Buchpreisbindung mit dem EU-Recht vereinbar ist. Wettbewerbskommissar Karel van Miert würde gerne im Sinne von Librodisk - die umsatzmäßig größte deutsche Handelskette REWE hält Anteile - entscheiden, weil nach seiner Meinung der Artikel 85 der Römischen Verträge wettbewerbsbehindernde Maßnahmen verbietet. Dagegen führen die Kulturminister den Artikel 128 des Maastricher Vertrages an, der den besonderen Schutz kultureller Werte regelt.

Das Buch im Widerstreit der Interessen zwischen Kultur- und Wirtschaftspolitiker? Zu kurz gegriffen, sagen die Gralshüter der Preisbindung - immerhin steht hier Einheitsfront von Bundestag über alternative Buchhandlungen, Verlage, Börsenverein des Buchhandels, Schriftstellerverband bis zum Bertelsmann-Chef Mark Wössner. Die Doppelfunktion des Buches als Kultur- und Wirtschaftsgut wird in fast allen europäischen Wettbewerbsgesetzen durch Preisbindungsregelungen anerkannt. Das englische Kartellgericht traf die mittlerweile schon zum geflügelten Wort gewordene Feststellung: "Books are different". Eugen Emmerling vom Vorstand des Börsenvereins des Buchhandels: "Der Buchmarkt ist zwar durch wirtschaftliche Mechanismen geprägt, braucht aber besondere Regelungen wie die Preisbindung. Es geht auch nicht um Privilegien für Verleger, Buchhändler oder Autoren, sondern um den selbstverständlichen Anspruch auf Entwicklungsmöglichkeiten literarischen Lebens."

Allerdings können die Wettbewerbshüter nur gegen die grenzüberschreitende Preisbindung etwas unternehmen, die nationale Preisbindung dagegen ist nicht antastbar. Fällt aber die länderübergreifende Preisbindung, wäre zumindest im gleichsprachigem Büchermarkt die nationale Regelung wertlos: Aus Österreich kommen Billigbücher, der deutsche Handel wäre gezwungen nachzuziehen, und Bücher deutscher Verlage würden in Österreich gedruckt, bei Subverlagen verlegt und reimportiert.

Damit es nicht soweit kommt, soll derselbe Titel weiterhin überall dasselbe kosten. Das hat vor ziemlich genau 110 Jahren der Buchhändler und erster Vorsteher des 1825 gegründeten Börsenvereins Adolf Kröner ebenfalls gefordert. Auf ihn geht die Buchpreisbindung zurück. Bevor sich 1887 die "Krönersche Reform" durchsetzte, gab es keine Regularien auf dem Buchmarkt, Mitte des 19. Jahrhunderts wurde derVerdrängungswettbewerber schärfer. Nach der Einführung des Buchdrucks verkauften die Drucker ihre Bücher direkt an die Kunden. Erst nach und nach entwickelte sich die Zunft der "Buchführer", aus denen der heutige Sortimentsbuchhandel hervorging.

Das Äquivalent zu den damaligen Fernschleuderern, Versandbuchhandlungen, die ihre Ware zu niedrigen Preisen anbieten konnten, sind die heutigen Buchabteilungen in den beiden Kaufhausketten Kaufhof/Horten und Karstadt/Hertie sowie die Bücher-Supermärkte von Hugendubel/Weltbild plus, Phönix-Montanus und Thalia mit insgesamt 573 Verkaufsstellen. Die eigentliche "Kärrnerarbeit" - also Dienst am Kunden - wird allerdings in den gut 4 500 kleinen und mittleren Buchhandlungen geleistet.Dabei teilen sich die "big five" des deutschen Buchhandels 58 Prozent des Gesamtumsatzes von rund 17,2 Milliarden Mark. Der Rest entfällt auf die gut 4 500 Buchhandlungen, die ein selektives Sortiment führen.

Letzte Woche sah sich Helmut Markwort genötigt, an die Leser zu denken, und ließ im Focus verkünden, die Branche befürchte die "Vertreibung aus dem Paradies". Durch die Preisgestaltung "nach Gutsherrenart" würden selbst solche Betriebe über die Runden kommen, die kaum Gewinn abwerfen. "Unfug", sagt Cornelia, Buchhandlungen im Familien- oder Kollektivbesitz müssen nur soviel abwerfen, damit die Beschäftigten ein vernünftiges Einkommen haben und der Laden aufrecht erhalten werden kann. Auf aggressive Preispolitik sind die auf Wachstum orientierten Ketten aus. Der Münchner Buchhändler Heinrich Hugendubel beispielsweise will bis zum Jahr 2000 seinen Umsatz auf 400 Millionen Mark steigern, für 1997 rechnet er mit 250 Millionen Mark. Nun hat er sich mit der Weltbild-Gruppe, dem Verlag der deutschen Bischöfe, zusammengetan und will bis Ende nächsten Jahres 60 "Weltbild plus"-Läden eröffnen.

Neu ins Buchgeschäft will der schwäbische Putzkolonnen-Unternehmer Peter Dussmann. Mit seinem Gebäude-Servicbetrieb Pedus hat er erst Krankenhäuser gereinigt, sie dann mit Essen beliefert. Nun treibt es den gelernten Buchhändler "back to the roots"; an der Berliner Friedrichstraße eröffnet er demnächst auf 5 000 Quadratmetern sein "KulturKaufhaus". Falls er die Genehmigung des Berliner Senat bekommt, soll es bis 24 Uhr geöffnet sein. Hugendubel hat vor kurzem ein 4 500 Quadratmeter großen Laden in Berlin eröffnet, Thalia gleich drei.