Der Staat als Alk-Dealer

Ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes erklärt die strikte schwedische Alkoholpolitik für zulässig

Die meisten, die schon einmal Urlaub im Süden gemacht haben, kennen den Anblick betrunkener Skandinavier zur Genüge. Begeistert von der Kombination billiger Alkohol und Sonne schütten die sich in der Regel dermaßen zu, daß sie nur noch torkeln oder flach auf dem Boden liegen können, in jedem Fall aber kein schöner Anblick sind. Wenn sie dann nach zwei Wochen wieder abreisen, sind sie fest davon überzeugt, einen wunderschönen Urlaub gehabt zu haben.

Vielleicht hatten auch die Richter des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) schon viele betrunkene Skandinavier gesehen und deswegen Angst vor dem, was sie anrichten würden, wenn sie den freien Alkoholverkauf in Schweden und damit auch in Finnland und Norwegen per Urteil anordneten. So erklärten sie das in den nordischen Ländern geltende staatliche Alkoholmonopol für rechtmäßig. In Schweden darf man demnach Alkohol weiterhin nur im staatlichen Systembolaget kaufen. Nur bei der Einfuhr ausländischer Produkte sieht der EuGH eine Einschränkung des Handels innerhalb der EU, denn nicht-schwedische Hersteller dürfen nur dann ihre Produkte über das Systembolaget abbieten, wenn sie über eine Herstellungs- bzw. Großhandelslizenz verfügen, die jedoch mit hohen Kosten, etwa für den Nachweis von Zwischenlagern, verbunden ist.

Die Systembolagets - 384 dieser Einrichtungen sind über das Land verteilt - gibt es in Schweden schon seit 80 Jahren. Damals beschloß das Parlament, daß jede Person über 25 Jahren ein Rationierungsbuch erhalten solle, mit dessen Hilfe über die Einhaltung der vorgegebenen Alkoholquote gewacht werden konnte. 1922 wurde dies in einer Volksabstimmung bekräftigt, 1955 faßte man die lokalen Monopol-Verkaufsstellen zum Systembolaget zusammen, die Bürger durften nun soviel Alkohol kaufen, wie sie wollten, die Mengenbeschränkung galt nicht mehr. Diese Läden, die nur wochentags geöffnet sind, sind die einzige Möglichkeit, legal Alkoholika zu erwerben. Selbst Bier kann man nur dort kaufen, die Supermärkte dürfen lediglich Lettöl, eine Art verwässertes Leichtbier mit einem Alkoholgehalt von weniger als drei Prozent, anbieten.

Das jetzige Urteil des EuGH zur schwedischen Alkoholpolitik geht auf die Anfrage eines schwedischen Bezirksgerichts zurück, das gegen den Kaufmann Harry Franzèn vorgehen wollte. Der Einzelhändler aus Südschweden hatte schon in den siebziger Jahren seinen Kampf gegen das staatliche Alkoholmonopol begonnen. Immer wieder sorgte er für Aufregung und lange Kundenschlangen, indem er in seinem Lebensmittelgeschäft Wein anbot. Seine Kunden hatten meist jedoch nur wenig Zeit, Sonderangebote zu hamstern, denn nach wenigen Minuten kam schon die Polizei, beschlagnahmte die Vorräte und verhaftete den Kaufmann. Dem es in erster Linie allerdings nicht um das Recht ging, auch nach 18 Uhr, wenn der Systembolaget schließt, eine Flasche Wein oder einen Kasten Bier zu kaufen, sondern um den Standortnachteil des ländlichen Gewerbes. Systembolagets gibt es nur in größeren Städten, Einwohner kleiner Ortschaften müssen zum Teil viele Kilometer weit fahren, um Alkohol kaufen zu können. Bei dieser Gelegenheit, so beobachtete Franzèn, nutzt man dann auch gleich die Angebote der großen Supermärkte, beim heimischen Landhandel kauft man dann nur noch die Kleinigkeiten. Wenn der allerdings auch Alkohol anbieten dürfe, so die Rechnung des Kaufmanns, dann hätten die Kunden keinen Anlaß mehr für die Einkaufsfahrt, weniger Läden müßten schließen, die Lebensqualität der Landbevölkerung würde dadurch steigen, die Landflucht könnte vermindert werden. Dieser Sicht der Dinge schloß sich auch der Verband der Lebensmittelhändler an, er bezahlte Franzèns Prozeßkosten.

Das EuGH-Urteil nun war, so erklärte jedenfalls Sozialministerin Margot Wallström, "ein Sieg für die Volksgesundheit". Harry Franzèn hingegen sagte, er könne sich nicht vorstellen, den Kampf ganz einfach aufzugeben, aber nach dem Urteil kann er bestraft werden, wenn er in seinem Laden wieder Wein anbieten sollte.

Trotzdem wird sich für die Schweden nun vielleicht doch etwas ändern, die politischen Parteien planen, daß die Systembolagets auch samstags öffnen dürfen. Natürlich nur, weil sie gesellschaftliche Vorteile sehen: Nach einer Studie von 1982, als der Samstags-Verkauf schon einmal kurz erlaubt worden war, zeigte sich, daß die Zahl von Gewaltakten gegen Frauen mit Einführung der Samstag-Öffnung drastisch sank.