Du kommst nicht wieder

Ein Versuch, die Abteilung Slasher-Film zu erneuern: "Scream" von Wes Craven

Du kommst nicht wieder Ein Versuch, die Abteilung Slasher-Film zu erneuern: "Scream" von Wes Craven Du kommst nicht wieder Ein Versuch, die Abteilung Slasher-Film zu erneuern: "Scream" von Wes Craven Du kommst nicht wieder Ein Versuch, die Abteilung Slasher-Film zu erneuern: "Scream" von Wes Craven Du kommst nicht wieder Ein Versuch, die Abteilung Slasher-Film zu erneuern: "Scream" von Wes Craven So lange gibt es ihn noch gar nicht: Irgendwie kam er in den letzten Jahren zu Ehren. Praktisches Design, ideale Zugriffsmöglichkeiten, platzsparend. Und man muß nicht immer in übervollen Schubladen wühlen, wenn man mal eine Zwiebel schälen will. Zu Filmruhm kam er, weil immer mehr Menschen in der Küche von verdächtigen Geräuschen gestört wurden. Der schnelle Griff, die dem Benutzer zugewandte Rautenform erleichtert die Benutzung ungemein, gerade in großer Hektik. Die Rede ist vom Messerblock: Je mehr er sich in den letzten zehn Jahren als fester Bestandteil der Küche etablierte, desto beliebter wurden Filme, in denen das Zerschlitzen von Menschen eine Rolle spielte. In "Scream", dem neuen Film von Wes Craven, spielt Drew Barrymore das Mädchen Casey, das am Rande einer Kleinstadt in einem Ein-Familien-Haus wohnt, und dessen Eltern eines Abends ausgegangen sind. Der Freund ist zu Besuch, beide sind Fans von Horrorfilmen. Ein mysteriöser Anrufer macht ihr Sorgen: Zunächst beginnt er ein Horrorfilm-Quiz: Wie heißt der Mörder in "Freitag, der 13."? Die Anrufe werden zunehmend bedrohlicher, der Mann muß ganz in der Nähe sein. Casey flüchtet in die Küche und bewaffnet sich mit einem Gerät aus dem Messerblock. Viel nützt es nichts. Auch daß die elterliche Karosse naht, stellt keine Hilfe dar. Trotz der vielen Schreie. Der beastie boy mit der Maske verrichtet seine Aufgabe gründlich. Wenn du dich in Gefahr begibst, kommst du darin um - das ist die Botschaft nicht nur der zentralen, multifunktionalen Küchenhilfe, nach der Casey vergeblich greift, das ist im Thriller die Schubumkehrung von Standards der bürgerlichen Gesellschaft: Ihre Unterseite und dunklen Träume, ihre Disfunktionalität. Das warme Haus, Eltern mit Jobs, der liebe Freund und ein Videorecorder - alles hat eben seinen Preis, und bedroht ist die - zumeist weibliche - kostbare Brut, die gerade das heiratsfähige Alter erreicht und deswegen besonders behütet wird. Die Gefahr lauert in uns, das Ergebnis ist der Schrecken. Aus Drew wird "Screw" Barrymore und ihr Blut wird den gut geschnittenen Rasen düngen. "Scream" ist in den USA bisher wohl der vom Start weg erfolgreichste Slasher-Film, und Wes Craven hat mit seinen Vorgängern an der Topologie des modernen Horrorfilms vergnüglich mitgearbeitet ("Hügel der blutigen Augen", 1977; "Das Ding aus dem Sumpf", 1981; "Nightmare - Mörderische Träume", 1984; "Haus der Vergessenen", 1991). "Scream" schrumpft das Genre zusammen, um es wieder aufzufächern. Nicht allein die klassische Ausgangssituation des individuellen Gefühls der Bedrohung wird thematisiert, sondern auch die Rezeptionsgeschichte. Unter den jugendlichen Helden befinden sich ausgemachte Film-Spezialisten. Sie treffen sich zu Video-Abenden, um die schauerlichsten Werke anzusehen und eine Menge Drogen einzuschmeißen. Die Kenntnis von Film-Horror gehört zur Grundausstattung der Schulbildung, mindestens zum Pausengespräch, das um diese Form populärer Mythologie kreist. Und mit dem sadistischen Killer, der offensichtlich aus der Mitte der Freunde zu stammen scheint, hat man es ebenfalls mit einem Filmkenner zu tun. Auf diese Weise können alle auf einen gemeinsames kulturelles Reservoir zurückgreifen, um sich zu verständigen. Gleichzeitig lautet die Botschaft, man kann niemand vertrauen, der geliebten Familie genauso wenig wie Freundin oder Freund. Jeder verdächtigt jeden einer Psycho-Macke, die genauso gut als Individualität durchgehen könnte. Nur, daß dies normalerweise Depressionen sind ("Der/die hat sie nicht mehr alle"). Sollte man also in diesem Fall nicht alle Messerblöcke entfernen? Viel nützen würde es nicht, denn im Kosmos der tödlichen Bedrohung einer weißen Kleinfamilie wird ohnehin alles zur Waffe, da haben auch Wände und Türen Ohren. Nach der Ermordung Caseys und ihres Freundes legt sich Angst wie der expressionistische Schatten über die Stadt Woodsboro mit ihren lahmarschigen Polizisten und der aufdringlichen TV-Reporterin Gale Weathers (Courteney Cox). Die Schülerin Sidney Prescott (Neve Campbell) fühlt sich an die Vergangenheit erinnert. Ein Jahr zuvor fiel ihre Mutter einem ähnlichen Massaker zu Opfer. Sie leidet. Außerdem will ihr Freund Billy (Skeet Ulrich) endlich mit ihr ins Bett, und die Freunde feiern schaurige Filmparties. Man kann sich auf ein wirres Spiel der Identitäten einstellen: Wer denn der Mörder sei, beschäftigt in der Folge Schauspieler und Zuschauer, und alle gemeinsam werden vor erschreckenden Erkenntnissen nicht verschont. "Regel Nummer eins: Du darfst keinen Sex haben! Sex bedeutet Tod. Regel Nummer zwei: Kein Alkohol und keine Drogen! Regel Nummer drei: Sag unter keinen Umständen: 'Ich komme gleich wieder!' Denn du wirst nicht wiederkommen", erklärt Randy (Jamie Kennedy), der Thriller-Experte, die Gesetze des Slasher-Films. "Scream" ist konservativ und hält sich an die Vorgaben, die er selbst referiert. Und die Referenzen an Kunst, Mythen und an das Genre machen den Film auch aus: Es sind Archetypen der bürgerlichen Angst, die hier ausgestellt werden. Die Mördermaske erinnert an Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei", die Geräte des Alltags werden unsachgemäß gebraucht (das Handy als Opferstandleitung), das reicht, um die ganze kleine Welt in Frage zu stellen. Denn den Einbruch des Unheimlichen in den Alltag, den schaffen kleinbürgerliche Regelungen ganz allein. Der klassische Horror, der in ein besonders schreckliches Geschöpf ausgelagert wird, bleibt hier daheim. Und weil der Massenmörder, dessen Qualität sich an seiner Brutalität und der Anzahl hinterlassener Leichen bemißt, wegen seiner universellen Unkontrollierbarkeit selbst ikonisiert ist, gruselt sich das Publikum ganz annehmbar. Es erkennt sich wieder, in den Opfern wie im Täter, weil es sich ohne diese beiden gesellschaftlichen Projektionen gar nicht definieren könnte. Wes Craven hat das Genre gründlich überarbeitet, es für den Mainstream konsumierbar gemacht, mit Splatter allein ist nichts mehr zu holen. "Scream" ist kein schlechter Versuch, das Genre zu zerschlagen, um es neu zusammenzusetzen, aber auch kein wegweisender. Der Thriller umkreist das Problem des Kapitalismus, sich nicht mehr über ein äußeres Feindbild legitimieren zu können. Der Feind lauert in der nächsten Nähe. Innerhalb dieser Konvention bewegt sich auch "Scream", er entwickelt keine wirklich andere Perspektive der Wirklichkeit, variiert aber kunstvoll den Thriller-Text, ist Version statt Vision. Unter kommerziellen Gesichtspunkten ist das natürlich nebensächlich. Die Arbeiten an der Fortsetzung von "Scream" haben schon begonnen und wer den ersten Teil überlebt hat, darf wieder mitspielen. Der Thrill, der dem Leben und dem Messerblock fehlt, setzt sich wenigstens auf der Leinwand fort.

"Scream". USA 1996. R: Wes Craven, D: David Arquette, Drew Barrymore, Neve Campbell, Courteney Cox, Matthew Lillard, Skeet Ulrich. Start: 30. Oktober