Ein neuer Boß für Montenegro

Milo Djukanovic, der reichste Mann Montenegros, gewinnt die Präsidentschaftswahlen

Bei der Stichwahl am 19. Oktober wurde Milo Djukanovic, bislang Ministerpräsident Montenegros, mit einer Mehrheit von nur wenigen tausend Stimmen zum neuen Präsidenten der zu Jugoslawien gehörigen Republik gewählt. Seine Anhänger feierten nach Bekanntwerden des Sieges den reichsten Mann des Landes am Dienstag letzter Woche stilgerecht mit Kalaschnikowsalven in den Straßen von Podgorica. Abends mobilisierte sein Kontrahent, der amtierende Präsident und letztmalige Wahlsieger Momir Bulatovic, seine Freunde zu Protestaktionen in die Hauptstadt. Die beiden Kandidaten unterscheidet eigentlich nur noch, daß Bulatovic von Slobodan Milosevic, Djukanovic aber von der Nato bevorzugt wird, und daß Bulatovic jetzt - wie Djukanovic nach der vorangegangenen Wahl - über Wahlbetrug jammert.

Ansonsten wissen beide ungefähr die Hälfte der rund 600 000 Einwohner hinter sich und beschuldigen sich gegenseitig der Bereicherung durch Schmuggelgeschäfte - was angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ganz unplausibel scheint. "Der illegale Handel mit Treibstoff im Krieg, der andauernde Schmuggel von Zigarretten über die Adria nach Italien und eine ziemlich schamlose Schattenwirtschaft haben für Neureiche einiges abgeworfen", schreibt die Süddeutsche Zeitung. Der politischen Trennung der beiden Ende letzten Jahres folgte die Gütertrennung. Ins Grübeln kommt man bei einem Vorwurf, der in einem Fernsehauftritt von Bulatovic erhoben wurde: Die für einen offiziell geduldeten Zigarettenschmuggel an die montenegrinischen Behörden abzuführenden Steuern seien in die Taschen von Djukanovic geflossen.

Offensichtlich ist, daß jede weitere Stichwahl zum selben Ergebnis - zum Patt - führen würde. Trotz "Unvollkommenheiten und Unregelmäßigkeiten", bewertete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die Wahlen als das, was sie ganz gewiß am wenigsten waren: "Ausdruck des Willens der Bevölkerung Montenegros." Eine Arbeitslosenquote von 50 Prozent spiegelt weniger die tatsächliche Geschäftstätigkeit als vielmehr das Ausmaß der sogenannten Schattenwirtschaft wider. Zur Wahl stand lediglich der Chef, nicht aber der Geschäftsinhalt, obschon sich Bulatovic als "Sozialist" und Djukanovic als "Kapitalist" verkauft. In der sogenannten Schattenwirtschaft aber sind Staats- und Privateigentum nicht mehr unterscheidbar, da das sozusagen illegale Eigentum sich jeder behördlichen Kontrolle entzieht.

Die US-amerikanischen und deutschen Diplomaten, die für Djukanovic Partei ergriffen hatten, hoffen, "daß Montenegro nach dem Führungswechsel zu einem gewichtigeren Dominostein der Geopolitik auf dem Balkan wird, als es die Winzigkeit des Landes vielleicht vermuten ließe" (so die Tageszeitung International Herald Tribune). Der entscheidende Vorzug des gelernten Ökonoms Djukanovic ist nicht sein zweifelsfreier Erfolg als dubioser Geschäftsmann, sondern seine Entschlossenheit, Montenegro aus der Bundesrepublik Jugoslawien und damit dem Verbund mit Serbien herauszulösen. Dies war sein Vorteil bei der Stichwahl, an der sich die muslimische und albanische Minderheit Berichten zufolge deutlich stärker beteiligte als zuvor.

Im sich nun auf die Bundesrepublik Jugoslawien ausweitenden Machtkampf zwischen Djukanovic und Milosevic, so zitiert International Herald Tribune US-amerikanische und deutsche Diplomaten, verfüge der neue montenegrinische Präsident über den wichtigen Vorteil eines direkten Zugangs zur Adria: "Ohne Zugriff auf Montenegro ist Serbien vom Meer abgeschnitten. Nach dem Verlust der traditionellen Landverbindungen über Kroatien wird das den Druck auf Serbien noch verstärken." Nach dem Wahlsieg von Djukanovic habe die jugoslawische Bundesarmee bereits ihre Stellung in Montenegro verloren, denn der neue Präsident könne jederzeit im Westen eine "Schutzmacht" anfordern. Bereits während seiner Zeit als Ministerpräsident hatte Djukanovic den Aufbau eines unabhängigen Telekommunikationsnetzes betrieben sowie Polizei, lokale Radiosender und das staatliche Fernsehen unter seine Kontrolle gebracht.

Knapp zwei Jahre nach Unterzeichnung des Dayton-Vertrags werden so noch die letzten Überbleibsel Jugoslawiens entsorgt. Ähnlich wie Montenegro sind auch die serbischen Republiken westlich und östlich der Drina jeweils in zwei verfeindete, hinsichtlich ihrer Programmatik schwer unterscheidbare Lager gespalten. 1990 entstand ihre nationale Einheit erst wieder durch den Zerfall des "Vielvölkerstaates", in dem diese zuvor aufgegangen war und dessen endgültiger Zerfall der ihre ist. Daß der kroatische Nationalismus aus der damaligen Entwicklung als unumstrittener Sieger hervorging, wäre ohne die Schutzmächte Deutschand und USA kaum erklärbar.