Ein neues Möbelstück im Kreml

Der Streit um den Sparhaushalt führte die KP Rußlands schnurstracks an den Runden Tisch

Rußland Präsident Boris Jelzin hat's schwer. Dauernd muß er mit dem Parlament kämpfen, wenn er es nicht gerade, wie Anfang Oktober 1993, von Panzern in Schutt und Asche legen läßt. Neue Probleme bahnten sich an, als die sogenannte kommunistische wie auch die zentristische Opposition Jabloko in die Duma, dem zahnlosen Parlament Rußlands, einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin einbrachten. Zunächst sollte über diesen am 16. Oktober abgestimmt werden, dann wurde die Abstimmung - auf Antrag der Kommunisten - um eine Woche verschoben. Zuvor hatte Jelzin indirekt damit gedroht, das Parlament aufzulösen, sollten die Abgeordneten nicht der Regierung das Vertrauen aussprechen. Und von der Partei Tschernomyrdins mit dem sinnigen Namen "Unser Haus Rußland" wurden Gerüchte gestreut, der Partei- und Regierungschef werde zurücktreten. Laut der russischen Verfassung von 1993, die Jelzin überaus erstaunliche Vollmachten einräumt, kann der Präsident ein Mißtrauensvotum der Duma zurückweisen. Sollte die Duma innerhalb von drei Monaten ein zweites Mal mit der einfachen Mehrheit von 226 der 450 Abgeordneten gegen die Regierung stimmen, bleiben dem Präsidenten zwei Möglichkeiten: Entweder er löst die Regierung auf oder er setzt Neuwahlen an. Letzteres kann für die Abgeordneten zur Folge haben, die aus ihrem Status resultierenden Privilegien zu verlieren.

Inhaltlich ging es neben dem rituellen Machtkampf zwischen Exekutive und Parlament vor allem um den Haushalt 1998, der die Zustimmung des Parlaments erfordert. Bereits im Mai hatte das Kabinett eine Vorlage eingebracht, nach der umgerechnet rund 32 Milliarden Mark "gespart" werden sollen - etwa ein Fünftel des laufenden Haushalts. Die Steuereinnahmen sind in diesem Jahr ein wenig niedrig ausgefallen. Lediglich die Hälfte der Steuern, die im Etat vorgesehen waren, hat die Regierung nach eigenen Angaben in den letzten neun Monaten eintreiben können. Kein Wunder angesichts der Tatsache, daß in dem, was als "wilder" oder "mafiöser Kapitalismus" bezeichnet wird, wenig Anreiz für die Unternehmer besteht, Steuerschulden zu begleichen. In der sogenannten Schattenwirtschaft sind nach Schätzungen allein die Hälfte der Erwerbsfähigen beschäftigt. Ex-Präsident und Schocktherapeut Gaidar bezeichnete sie einst als Preis dafür, daß in Rußland kein Bürgerkrieg ausgebrochen sei. Infolge der aktuellen Finanzprobleme kürzte die Regierung Subventionen vor allem in der Landwirtschaft und in den armen Regionen, die von der KP dominiert werden. Jedenfalls, so KP-Chef Sjuganow, solle mit dem Mißtrauensantrag gegen eine "Politik, die unsere Kinder der Zukunft beraubt", vorgegangen werden.

Die Attacke der Kommunisten, so zeigte sich rasch, richtete sich in erster Linie gegen die im nationalkommunistischen Lager verhaßten Vizepremiers, die Manhattan boys Boris Nemzow - Politaufsteiger dieses Frühjahrs, zuvor Gouverneur von Nischni Nowgorod (dem früheren Gorki) der sich in Rußland durchsetzen solle - und Anatoli Tschubais, bekannt als Vordenker der Privatisierungen. Demnächst sollen Flughäfen, einige Ölkonzerne und Teile der Elektrizitätsgesellschaft privatisiert werden. Nemzow, Erfinder des zukunftsträchtigen Begriffs "Volkskapitalismus", und Tschubais stehen auch im Schußfeld der Kreise, die bei den letzten Privatisierungen im Sommer vom Onexim-Finanzimperium ausgebootet worden waren. Ein Krieg unter den Großbanken ist seither im Gange, der sich im politischen Establishment rund um Jelzin fortsetzt.

Die KP mit 140 Abgeordneten in der Duma wird unterstützt von den KP-nahen Agrariern (37) und der linken "Volksmacht" (39), was zusammen 216 Stimmen ergibt. Mit den 46 Jabloko-Stimmen hätten sie die für einen Mißtrauensantrag erforderliche Mehrheit von 226 Stimmen erreichen können - wenn, ja wenn Jabloko nicht mittlerweile abgesprungen wäre. Deren Chef Jawlinskij hatte zunächst das Mißtrauensvotum unterstützt und starke Worte für die Regierung gefunden: Sie sei "in oligarchischen Strukturen" gefangen und unfähig, eine Marktwirtschaft aufzubauen. Im letzten Moment vor der zunächst geplanten Abstimmung am 16. Oktober hatte Jawlinski einen leichten Kurswechsel vollzogen, sich gegen das Mißtrauensvotum in der Fassung der KP ausgesprochen und einen eigenen Text vorgelegt. Seine Partei kritisiere die Regierung nicht, weil sie Reformen anstrebe, sondern weil diese zu schwach seien, begründete er seine Haltung. Welche Rolle dabei die hektischen Bemühungen Tschernomyrdins spielten, ein Votum abzuwenden, war nicht eindeutig zu eruieren. Der rechtsextremistische Schirinowski hingegen hatte der Regierung von vornherein seine Unterstützung zugesichert.

Zudem hatte Jelzin sich noch zu Wort gemeldet. Seine Mißachtung des Parlaments ist schon sprichwörtlich, zu einem Auftritt vor den Abgeordneten konnte er sich bislang nicht durchringen. Diesmal allerdings appellierte er in einem vor dem Parlament verlesenen Schriftstück an die Duma, sie möge Konfrontation vermeiden und nicht den Rücktritt der Regierung betreiben; im Gegenzug sei er zu gewissen Zugeständnissen bereit. Den Vorschlag der Kommunisten zur Etablierung eines Runden Tisches aus Vertretern der Regierung, der Präsidentenverwaltung und beider Parlamentskammern stimmte er zu. Und prompt wurde - auf Antrag der Kommunisten - die Abstimmung über den Mißtrauensantrag in der Duma um eine Woche verschoben.

Daraufhin stellte die KP einen neuen Forderungskatalog zusammen. Es war nicht mehr die Rede von Verfassungsänderungen, einem Kurswechsel in der Regierungspolitik und personellen Veränderungen in der Regierung. Gefordert wurde nunmehr hauptsächlich noch Zugang der Opposition zu den Medien und ein zweijähriger Aufschub für die Mieterhöhungen, die über ein neues Mietgesetz durchgesetzt werden sollen. In einem außerordentlichen ZK-Plenum am darauffolgenden Wochenende wurde bei den Kommunisten beschlossen, den Mißtrauensantrag als Drohung fortbestehen zu lassen und Situation entsprechend einzusetzen.

Am Dienstag vergangener Woche, dem Tag vor einer schon sehr zweifelhaft gewordenen Abstimmung, spuckte Jelzin noch einmal große Töne: "Morgen wird sich entscheiden, ob die Stabilität im Land erhalten bleibt oder ob sie durch eine Balgerei beendet wird." Nach einem Treffen der Fraktionsvorsitzenden aus der Duma und der Präsidenten der beiden Parlamentskammern mit Jelzin schien der Deal perfekt. Laut Kreml-Sprecher Sergej Jastrschembski erklärten die Kommunisten, sie zögen "den Dialog einer Konfrontation auf der Straße und im Land" vor. Und tags darauf wurde der Mißtrauensantrag auch offiziell in der Duma zurückgezogen.

Das Resultat des großartigen Schaukampfes: Keine Spur von einem politischen Kurswechsel, wie von der KP zunächst gefordert, statt dessen ein Arrangement mit der Macht gegen geringe Zugeständnisse. Mit der Etablierung des Runden Tisches empfiehlt sich die KP als direkter Diskussionspartner für den Präsidenten mit den außerordentlichen Vollmachten. Der kann sie nur als Partei der Ordnung gegen jeden eigenständigen Ausdruck eines sozialen Antagonismus brauchen. Ideologisches Bindeglied zwischen beiden ist der Nationalismus, der Sjuganow seit Jahren aus der Feder quillt und auch schon für rot-braune Bündnisse nutzbar war. Auf dem Schleichweg in die politische Machtzentrale ist der KP nur ein Gedanke völlig fremd: Je unterwürfiger sie ihre Ordnungsfunktion gegenüber der sozialen Unruhe erfüllt, um an die Macht zu gelangen, umso unnützer erscheint es, sie tatsächlich an die Macht zu lassen.