Prügeln, egal wen

Eine Sicherheitskonferenz der europäischen Polizeichefs soll 1998 eine friedliche Fußball-WM in Frankreich garantieren

Die europäischen Polizei-Oberhäupter werden sich im Januar 1998 in Großbritannien treffen, um eine Strategie zu vereinbaren, die Gewalt bei der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich verhindern soll. Die Konferenz, am Rande des turnusmäßigen EU-Gipfels stattfindend, soll in Ewood Park, dem Heimstadion des englischen Erstligisten Blackburn Rovers, abgehalten werden. Das erklärte der britische Innenminister Jack Straw nach Gesprächen mit seinem französischen Kollegen Jean-Pierre Chevènement in Paris. Anlaß dafür waren die gewalttätigen Ausschreitungen zwischen englischen Fans und der italienischen Polizei vor zwei Wochen bei dem Qualifikationsspiel England-Italien in Rom. "Wir wollen ein effektives und hartes Vorgehen gegen Hooliganismus sehen", beteuerte Straw.

Die Arbeitsweise der italienischen Polizei in Rom hatte in England für Aufregung gesorgt, weil nicht nur Hooligans niedergeknüppelt worden waren, sondern auch Buchhalter, Geschäftsmänner und sogar Schauspieler. Heutzutage nämlich ist Fußball in England nicht mehr der Sport der Arbeiterklasse, die Eintrittspreise sind immens gestiegen und Fußballspiele bieten zunehmend die Rahmenkulisse für Geschäftsessen in teuren Stadionlogen, bei denen sowohl potentielle Kunden als auch hochrangige Arbeitnehmer verwöhnt werden. Viele der in Rom verletzten Engländer waren beim Länderspiel als geladene Gäste großer Firmen zugegen, die natürlich nicht damit einverstanden waren, daß die Polizei ihre Klienten wie den gemeinen englischen Fußballfan behandelte. Denn auch die VIPs mußten die übliche Fanbehandlung inklusive der Polizeikessel mit anschließender Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Gefährliche Gegenstände wie Wechselgeld, Feuerzeuge und Gürtel wurden routinemäßig beschlagnahmt, und wenn jemand wagte, sich zu wehren, kam es zum obligatorischen Knüppeleinsatz. Die englische Schauspielerin Sophie Lawrence, eines von vielen prominenten Opfern der italienischen Polizei, erzählte, wie es war: "Es war der Polizei egal, mit wem sie es zu tun hatte, Frauen, Kinder oder 'Eastenders'-Schauspieler, ('Eastenders' ist das britische Pendant zur 'Lindenstraße', Lawrence gibt hier die Arbeiterklassen-Mutti) es reichte völlig, aus England zu kommen." Auch William Sieghart von der Times war schockiert, daß alle englischen Fans sich der gleichen Behandlung unterziehen mußten: "Warum wird die überwiegende Mehrheit der englischen Fans so schrecklich behandelt, haben nicht auch Fußball-Fans Menschenrechte?"

Viele hartgesottene Fans von der Insel verstehen den ganzen Tumult allerdings nicht, ihre Erfahrungen mit der kontinentalen Polizei sind von einer anderen Qualität - Knochenbrüche bei Polizeieinsätzen sind für sie normal, ebenso wie die anschließenden Massenverhaftungen und 48 Stunden dauernde Unterbringung in einer Zelle mit folgender Ausweisung. Die Polizei in Rom brachte noch nicht einmal Gummigeschosse oder CS-Gas zum Einsatz, wie im März dieses Jahres beim Spiel des FC Porto gegen Manchester United in Portugal geschehen, um die Fans zu kontrollieren. In manchen dieser Gummigeschosse fanden Fans damals sogar Metallkerne. Nach einer Untersuchung dieser Vorfälle durch die Uefa mußte der FC Porto wegen schlampiger Organisation umgerechnet 100 000 Mark Bußgeld bezahlen. Da die portugiesische Polizei unabhängig von Uefa-Richtlinien operiert, blieben ihre Aktionen jedoch folgenlos, die Uefa stellte diesbezüglich keine Untersuchungen an.

Um "den Fußball dem Volk zurückzugeben" hat die Labour-Regierung eine "Football Task Force" ins Leben gerufen, die von dem ehemaligen konservativen Abgeordneten David Mellor geführt wird. Mellor ist Chelsea-Fan, des Vereins, in dessen Stadion sich die teuersten Sitzplätze befinden. Mellor, dessen Sohn unter den englischen Fans in Rom stand, erklärte nach den Vorkommnissen in Rom, daß er niemals Mitglied einer Gesellschaft wie der italienischen sein wolle, eine Gesellschaft, in der die Polizei Schlagstöcke so gerne einsetze. Sogar vom konservativen Daily Telegraph wurde er daraufhin kritisiert: "Hat er vergessen, wie unsere Polizei Poll Tax-Demonstranten und streikende Bergarbeiter behandelte?"

Kritik an kontinentalen Polizeimethoden ist in England nichts Neues: Als Deutschland im Sommer 1988 die Fußballeuropameisterschaft ausrichtete, hatten alle Mannschaften der englischen Liga auf dem europäischen Festland noch Spielverbot, geschuldet den tragischen Ereignissen im belgischen Heyssel-Stadion beim Europacup-Finale 1985, wo 41 Fans von Juventus Turin beim Spiel gegen Liverpool gejagt und zerquetscht wurden. Allein die englische Nationalmannschaft war vom Spielverbot ausgenommen. England mußte in einer Gruppe mit den Niederlanden, Irland und der Sowjetunion spielen und all das auf deutschem Boden. Die erste Begegnung fand in Stuttgart gegen Irland statt. Um die Angst der Einheimischen vor gewalttätigen Ausschreitungen der britischen Hooligans zu mildern, versprachen die maßgeblichen Stellen den Einsatz Tausender Polizisten mit schwerem Gerät wie Räumpanzern, Wasserwerfern etc. Die deutsche Lösungsvariante vom Panzereinsatz gegen englischen Fans sorgte für Unruhe in britischen Regierungskreisen und nach einem Einspruch der Uefa hielt Deutschland die angeblich angereisten "Hooligan-Horden" nur mit Tausenden weitgehend unbewaffneten Polizisten unter Kontrolle. Beim Spiel selbst waren alle ausländischen Fans im Stadion von schwerbewaffneten, knüppelschwingenden Polizisten eingekesselt, der Anblick erinnerte eher an eine Gefangenen-Meisterschaft als an ein renommiertes Turnier.

Das Publikum für die Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich soll diesen Eindruck nicht bekommen, deswegen arbeitet ein Drittel aller freiwilligen Helfer im Sicherheits-Bereich und soll zusammen mit den anwesenden Fernsehteams und eingebauten Überwachungskameras dafür sorgen, daß die WM 98, wie vom Veranstalter gewünscht, "ein friedliches und fröhliches Ereignis" ohne massive, uniformierte Sicherheitspräsenz sein wird.