»Jeder muß mal abwaschen und Klo putzen«

Sibylle Krause-Burger schildet Joseph Fischers einsamen "Marsch durch die Illusionen"

Der Titel dieser ersten Biografie über diesen Mann, der weder Fußballer noch Schauspieler und noch nicht mal 50 Jahre alt ist - "Joschka Fischer. Der Marsch durch die Illusionen" -nimmt zugleich das Leitthema des Buches vorweg. Fischer gehört - kein Kunststück- zu den schillerndsten Figuren der Bonner Parlamentsszenerie; seine Biografie hat die Journalistin und Politologin Sibylle Krause-Burger offenkundig fasziniert. Sie zeichnet seinen Lebensweg nach, von der Geburt als jüngster Sprößling einer aus Ungarn stammenden deutschsprachigen Metzgersdynastie im tiefen Schwaben bis hin zur jüngsten Gegenwart, als abgemagerter, von Liebeskummer und Alkoholproblemen gereinigter Polit-Superstar.

Seine frühe Kindheit ist glücklich verlaufen, weiß Krause-Burger zu berichten. Die Mutter, eine tiefgläubige Katholikin, war die tonangebende Person im Haus, der Vater verhielt sich ruhig. Fischer, der Junge aus einfachen schwäbischen Verhältnissen, kam aufs Gymnasium; und schon hier sieht Krause-Burger den Weg des "Revoluzzers" bzw. des "Reformers" vorgezeichnet. Fischer verläßt die Schule, schmeißt die Lehre, geht auf Weltreise, kehrt zurück und geht mit 18 Jahren nach Stuttgart. Dort gerät der in konservativem Milieu aufgewachsene Fischer an die politische Linke, den Club Voltaire, wo er sich politisch schulte und seine ersten rhetorischen Erfahrungen sammelte.

Der 2. Juni 1967 - der Tag, an dem Benno Ohnesorg in Berlin erschossen wurde - wirkt für ihn wie für die gesamte Außerparlamentarische Opposition wie ein Fanal. Er zieht gemeinsam mit seiner ersten Frau nach Frankfurt am Main, neben Berlin das Zentrum der ihrem Höhepunkt zustrebenden "68er Bewegung". Fischer, der Schulabgänger und Polit-Autodidakt, will und kann auf politischem und philosophischem Terrain mit den Genossen und Genossinen von der Uni mithalten und schlägt sie - folgt man den Schilderungen der Biografin - um Längen.

Aktiv im Kampf gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, gegen Spekulanten, schließt er sich den Frankfurter Spontis um Daniel Cohn-Bendit an. Doch schon in dieser Zeit, so diagnostiziert Krause-Burger, will der Anarchist und Revoluzzer "auf die andere Seite" - ins bürgerliche Lager, wobei Krause-Burger keinen Zweifel daran läßt, daß dies zugleich die richtige Seite ist. In den Chaos-WGs habe er begriffen, daß es bestimmter Regeln im Zusammenlebens bedürfe. "Jeder muß mal abwaschen und mal das Klo putzen", zitiert die Autorin die Einsicht des gereiften Fischer.

Den zweite Wendepunkt seines politischen Lebens stellten die Aktionen der Roten Armee Fraktion dar. Fischer lehnt - trotz grundsätzlicher Solidarität mit den "Genossen im Untergrund", so die Biografin - die avantgardistische Strategie der RAF unter Einschluß des politischen Mordes entschieden ab. Er setzt mit den Frankfurter Spontis auf Massenbewegungen und befürwortet allenfalls die kontrollierte Militanz. Seine Solidarität endete, als ehemalige Frankfurter Genossen sich an einem Entführungskommando beteiligen: Sie halfen einer pro-palästinensischen Gruppe 1976 eine Air-France-Maschine zu entführen und israelische von nicht-israelischen Flugpassagieren zu trennen. Der israelische Geheimdienst stürmte die Maschine in Entebbe/Uganda, die Frankfurter kamen ums Leben. "Das geschieht denen recht", kommentiert Fischer die antisemitische Aktion. Und: "Wenn sich Deutsche nochmals dafür hergeben, Juden von Nicht-Juden zu selektieren, dann verdienen sie es nicht anders." Fischer ist - allen politischen Wandlungsprozessen trotzend - überzeugter Antifaschist, dies zumindest versteht Krause-Burger überzeugend darzustellen. Und Fischer ist nicht - wie andere Linke - aus Solidarität mit dem palästinensischen Volk zum linken Antisemiten geworden.

Gründlich daneben greift die Autorin indessen, wenn sie die Aktivisten der RAF und ihre Morde mit dem Völkermord an den europäischen Juden durch die Nazis vergleicht.

Fischer wendet sich sukzessive von revolutionären Ansätzen ab und wird zum Realo, noch bevor er tatsächlich als Mitglied der Grünen und kurz danach als Bundestagsabgeordneter politische Verantwortung übernimmt. Im Eilschritt zeichnet Krause-Burger die Entwicklung Fischers vom unerfahrenen, aber kecken Geschäftsführer der ersten grünen Bundestagsfraktion über das frustrierte Rotations-Opfer bis zum hessischen Umweltminister in der ersten rot-grünen Koalition der Bundesrepublik 1987 nach.

Die Koalition zerbricht, Fischer landet als Landtagsabgeordneter erneut in der Opposition, 1994 kehrt er als gefeierter Star und heimlicher Oppositionsführer nach Bonn zurück, wo er zuerst die Rolle des aufmüpfigen Abgeordneten spielt, sich nach und nach jedoch als Staatsmann geriert.

Durch das Buch zieht sich leitmotivisch das Bild des intellektuell seinen Gegnern überlegenen politischen Überfliegers. "Und ist er, Joseph Martin Parsifal Fischer, dabei der Vollendung seiner Person und der politischen Erleuchtung nicht immer näher gekommen?" fragt Krause-Burger feierlich - ihre Antwort drängt sich auf.

Dabei fehlt der Biografin das Verständnis für das politische Umfeld Fischers. Seine Entwicklung stellt sie als singuläres Phänomen dar, die Auseinandersetzungen innerhalb der Partei als einsamen Kampf des vernünftigen Strategen gegen die politischen Träumereien und ideologischen Starrheiten seiner Mitstreiter. Daß Fischers ideologische Entwicklung - der "Marsch durch die Illusionen" - parallel zu der des grünen Mainstreams verläuft, übersieht sie geflissentlich. Der von Fischer popularisierte Begriff vom "rheinischen Kapitalismus", den es zu verteidigen gelte, fällt im ganzen Buch nicht. Die "Fundamentalisten", gegen die sie Fischer unermüdlich kämpfen sieht, haben die Partei 1991 verlassen. Die heutige Parteilinke ist in den wesentlichen Punkten auf einen Ausgleich mit Fischers Realos bedacht. An der gemeinsamen Orientierung auf eine rot-grüne Machtübernahme gibt es keinen Zweifel. Das Buch ist unterhaltsam geschrieben, gibt einige interessante Einblicke in das Leben eines Bonner Politikers, für das Verständnis von Fischers Politik ist es hingegen untauglich.

Sibylle Krause-Burger: Joschka Fischer - Der Marsch durch die Illusionen. Deutsche Verlagsanstalt. Stuttgart 1997, 256 S., DM 39, 80