Shake-hands und Militärmanöver

Kreta: Außer Lippenbekenntnissen hatte der "Balkangipfel" nichts zu bieten. Unterdessen gingen militärische Provokationen weiter

Als ob er noch ein weiteres Beispiel für die berühmte, geradezu legendäre Gastfreundschaft seines Landes hätte geben wollen, lud der greichische Premier Kostas Simitis Staatschefs und Ministerpräsidenten der Balkanländer zu einem dreitägigen Gipfeltreffen ein. Vom 2. bis 4. November trafen sich Rumänien (vertreten durch Ministerpräsident Ciorbea), Albanien (Fatos Nano), Mazedoniens Präsident Kiro Gligorov, Serbiens Slobodan Milosevic, der bulgarische Ministerpräsident Iwan Kostow, sein türkischer Amtskollege Mesut Yilmaz sowie den Staat Bosnien-Herzegowina, der nur durch einen Beobachter vertreten war, im kretischen Badeort Agia Pelagia. Nicht ohne das Einverständnis der großen Brüder EU und USA: "Griechenland hat die Länder der EU informiert", erklärte Simitis, "wir haben sie davon unterrichtet, was unsere Ziele sind, und wie gewöhnlich werden wir sie nach Beendigung des Treffens auf dem laufenden halten." Wenig später fügte er hinzu, daß die griechische Position auf dem Gipfel der US-amerikanischen Politik entspreche. Auch der griechische Außenminister Theodoros Pangalos versteht es, die Unabhängigkeit seiner Außenpolitik auszudrücken: "Ich hatte die Möglichkeit, mit Frau Albright über diese Gipfelkonferenz zu sprechen, und selbstverständlich zeigt das State Department generelles Interesse an der Zusammenarbeit der Balkanländer und an der Rolle, die Griechenland spielt. Sie wollen Griechenlands Bemühungen nah sein."

Die Konferenz war überschattet von den Konflikten der teilnehmenden Länder. So zierten den Runden Tisch nur Fähnchen der Staaten und keine Schildchen mit den Staatennamen. Wohl, um die Nennung Mazedoniens, nach dem Willen Griechenlands nicht mehr als eine Region im Norden des Landes, zu vermeiden. Trotzdem will Simitis die Konflikte überwinden, und zwar durch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der gemeinsame Ausbau von Infrastruktur, Energieversorgung und Telekommunikation soll die Verbindungen festigen. Der Kampf gegen "organisiertes Verbrechen", "Terrorismus", "illegale Einwanderung", Waffen- und Rauschgifthandel soll künftig gemeinsam geführt werden. Ein zentrales Sekretariat soll zu diesem Zwecke eingerichtet werden, und Simitis schlug bescheiden Athen als Standort vor, was besonders von seinem türkischen Erzrivalen Yilmaz abgelehnt wurde. So wurde die Entscheidung darüber vertagt auf den nächsten Balkangipfel, der im Herbst 1998 im türkischen Antalya stattfinden soll.

Am Rande kam es auch zu einem nahezu historischen Treffen zwischen Simitis und Yilmaz. Die verfeindeten Nachbarn, die zugleich Nato-Partner sind, kamen erstmals seit neun Jahren zusammen. Die Konflikte zwischen ihnen halten seit Jahrzehnten an. Der Streit um den Luftraum der griechischen Inseln, die teilweise der türkischen Küste unmittelbar vorgelagert sind, hatte sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Höhepunkt der andauernden Machtspiele war der Rückflug des griechischen Verteidigungsministers Apostolos Tsochatzopoulos von Zypern nach Athen Mitte Oktober, bei dem sich türkische Kriegsflugzeuge seiner Maschine bis auf hundert Meter näherten. Die Türkei beansprucht diese Inseln, weil sie angeblich zum Festlandsockel ihres Landes gehören, worauf die griechische Regierung mit der Militarisierung eben jener Inseln antwortet. Die Ägäis birgt nämlich nicht nur Dynamit, wie Simitis Vorgänger Andreas Papandreou vor einigen Jahren warnte, sondern auch Erdöl. Die Türkei droht mit Krieg, sollte Griechenland die im November 1994 in Kraft getretene Erweiterung der Territorialgewässer von sechs auf zwölf Seemeilen auch für sich in Anspruch nehmen. Damit hätte die Türkei nur noch über Griechenland Zugang zum offenen Meer.

Einen noch größerer Streitpunkt stellt Zypern dar. Seitdem die Türkei 1974 den Norden der Insel militärisch besetzte, kracht es dort regelmäßig. Krieg werde es auch geben, drohte Denktash, das Oberhaupt des türkisch-besetzten Teils von Zypern, sollte die griechische Südhälfte in die EU aufgenommen werden. Derzeit gerät man wegen der geplanten Stationierung russischer Boden-Luft-Raketen auf griechisch-zyprischer Seite aneinander, weil die Türkei einen solchen Schritt nicht hinnehmen will.

Laut Simitis sei das Treffen "sehr nützlich" gewesen, obwohl man das heikle Zypern-Thema ausblendete. Dort kam es am 2. November zu Schüssen an der Demarkationslinie zwischen Nord und Süd. Das türkische Militär simulierte zwei Tage darauf einen Angriff gegen griechische Raketenstellungen und demonstrierte damit die Bereitschaft zu einem Militärschlag. Für Ankara die Antwort auf griechische Manöver in der Ägäis. So vermuten türkische Nationalisten, Athen wolle sich zur Führungsmacht der Region aufschwingen. Umgekehrt wittern die Nationalisten am anderen ägäischen Ufer "geheime türkische Kriegspläne".

Einig ist man sich nur, daß der Konflikt irgendwie gelöst werden müsse. Athen setzt dabei auf den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, während die Türkei eine Gesprächslösung favorisiert, bei der "Dritte" als Vermittler fungieren sollen. Die Nato dürfte dafür kaum in Frage kommen - der von Griechenland erwartete Druck auf die militärstrategisch so wichtige Türkei wird voraussichtlich wie in der Vergangenheit ausbleiben.

Auch der Serbe Milosevic und der albanische Regierungschef Fatos Nano kamen am Rande des Gipfels zu einer Einzelunterredung zusammen. Zum ersten Mal seit beinahe 50 Jahren trafen sich damit führende Politiker beider Länder, um das das bilaterale Verhältnis zu "normalisieren". Doch auch diese Regierungschefs kamen sich nicht näher. Statt dessen einigten sie sich auf die inhaltsleere Formel, beide würden den Ausbau der Beziehungen begrüßen. Kritik an dem Treffen der beiden äußerte der nach dem Aufstand im Frühjahr gestürzte Ex-Präsident Albaniens, Berisha, und der sogenannte Präsident der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, der Berisha in der Zeit der Unruhen unterstützt hatte. Letzterer bemängelte, daß Griechenland ihn hätte einladen sollen, sofern über die Zukunft des Kosovo Gespräche hätten stattfinden sollen.

Ein "friedliches Nebeneinander der Kulturen, Religionen und Nationalitäten", von dem Simitis in höchsten Tönen schwärmte, ist in Südosteuropa, der auf Kreta gezeigten symbolischen Freundlichkeit zum Trotz, jedenfalls nicht zu erwarten.