Ungeklärte Verhältnisse

"On the Bright Side of Life" - Zeitgenössische britische Fotografie

Eine heilsame Enttäuschung vorweg: Was man angesichts des Titels der Ausstellung "On the Bright Side of Life" hätte erwarten können, daß genau nicht die "bright side of life" in den Arbeiten eingefangen ist, sondern im Gegenteil die häßliche Fratze des Post-Thatcher-Englands, daß jemand schonungslos draufhält auf die Zu- und Mißstände in den Unterpriveligierten-Ghettos der verarmten Industrieregionen - genau das findet nicht statt. Jedenfalls nicht so, wie man es von engagierter Fotografie erwarten würde, die Kunst heißt, aber Journalismus meint. Wie es kommt, daß diese Form weder in der Ausstellung noch in der britischen Gegenwartsfotografie gepflegt wird, wird in zwei Artikeln des insgesamt sehr aufschlußreichen Katalogs erläutert, die die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre rekapitulieren.

Ende der Siebziger etwa geriet der bis dahin vorherrschende sozialdokumentarische Blick von vielen Seiten in die Kritik: Daß jemand überhaupt "Objektivität" einfangen könne, ohne seine vorgefertigten Images nur zu reproduzieren, erschien mit einem Mal nicht mehr plausibel; daß man zwangsläufig vor der Wahl stand, die Underdogs entweder in der Opferrolle darzustellen und/oder sie als Heroen der Arbeiterkultur abzulichten, und damit auch wieder affirmativ zu wirken, wurde als unbefriedigend empfunden. Gleichzeitig richtete sich das Interesse auf die vorgefundenen fotografischen Darstellungsweisen in den Medien, insbesondere in der Werbung, die auf irgendeine Art und Weise mitreflektiert werden mußten, wollte man nicht einen altbackenen und bedeutungslosen fotografischen Manierismus schaffen.

Das alles hat zur heutigen Vielzahl an Richtungen geführt, denen jedoch gemeinsam ist, daß die Fotografie nicht mehr in erster Linie zur Darstellung von etwas dient, das auch außerhalb der Kunst existiert und nur auf besonders künstlerische Weise ins Bild gesetzt wird. Statt dessen ist die Inszenierung, das Arrangement zum Bestandteil des Kunstwerks geworden, das keinen Anspruch mehr auf Authentizität erhebt und dadurch dem Fotograf erst wieder ein selbstbewußtes Statement ermöglicht.

Am deutlichsten wird das vielleicht an den Arbeiten von Nick Walpington, die auf den ersten Blick wie idyllische Landschaftsfotografien oder sozialer Brennpunktrealismus wirken. Auf den zweiten Blick erkennt man den "Drowned Farmer", der im malerischen Tümpel treibt, oder das Bein eines "Dumped Body", das aus der Mülltonne ragt. Wie bei den populäreren Arbeiten von Jeff Wall, sorgt auch hier gerade die Inszenierung für eine Drastik, die den Betrachter fesselt und ihn nach der Intention forschen läßt.

Neben dem klassischen Sujet des Sozialen, das sowohl bei Walpington im Vordergrund steht als auch in Rut Blees Luxemburgs lakonischen nächtlichen Schnappschüssen von Londoner Yuppies. Auch in Anna Fox' Serie "Afterwards", einer Reihe schonungslos unvorteilhafter Aufnahmen von Partyleichen, findet sich eine Tendenz zum Kreatürlichen, die auch allgemein in der britischen Kunst auffällig ist. Sie mag ihren Ausgang im ökologisch geschulten Bewußtsein der Achtziger genommen haben; mittlerweile jedoch hat sie sich verselbständigt.

Das Tier, das Fleisch, das Organische stehen nicht mehr für die geschundene Natur, auch nicht mehr als Symbol für die gequälte Kreatur Mensch, sondern sind Metapher für die ungeklärten Verhältnisse im Bereich der Körperpolitik, die Gefahren des Biologismus und - über diesen Umweg auch wieder - für Ökologie. Zumindest trifft das zu für Clive Landans "Familiar British Wildlife", eine Reihe barocker Stilleben der heimischen Fauna, versehen mit lateinischen Artbezeichnungen - nur, daß diese Tiere auf der Straße überfahren wurden.

Dieses Interesse für das Biologische und das traditionelle soziale Interesse begegnen sich, ließe sich behaupten, in den Gefilden des Psychosozialen und mündet in den Diskurs um Rasse, Sex und Gender. Zu erwähnen wären hier Sophy Ricketts Blow-ups ihrer im Stehen pinkelnden Freundinnen (vgl. die Abbildungen auf Seite 15 bis 18 dieser Ausgabe), genauso wie Faisal Abdu' Allahs "I wanna kill Sam coz he aint my motherfucking uncle", eine Porträtserie farbiger Jugendlicher in überzogenen Gangsta-Rapper-Posen, die über das Stereotyp den Betrachter offensiv mit dessen möglichen ethnischen Ressentiments konfrontieren. Auch Keith Pipers Computerinstallation "Relocating the Remains" gehört hierher, mit der man in einem interaktiven Spiel ausprobieren kann, wie es für einen "Nigger" ist, ins Internet zu gelangen - nahezu unmöglich nämlich.

Man kann der jungen britischen Fotografie nicht vorwerfen, sie sei unpolitisch. Lediglich die Form hat sich verändert und in gewisser Weise "zu sich selbst gefunden". Und der Fokus hat sich verändert: von Marx und Kisch zu Foucault, wenn man so will. Macht bedeutet in dem Sinne nicht mehr nur "die da oben" oder "die da unten", sondern umfaßt die subtilen Mechanismen symbolischer Herrschaft, Einschließung und Ausschließung, die sichtbar zu machen eine der prädestinierten Aufgaben zeitgenössischer Fotografie ist. Und so kehrt dann auch das konkret Politische in das Medium zurück, aus dem es zwischenzeitlich verbannt worden war, etwa, wenn Paul Seawright mit "Police Force" in eindringlichen Details den brutalen Alltag einer nordirischen Polizeieinheit festhält. Nur die Sprache ist eine andere geworden.

"On the Bright Side of Life - Zeitgenössische Britische Fotografie". Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Berlin, Oranienstraße 25, und Kunstamt Kreuzberg, Mariannenplatz. Bis zum 23. November
Vom 4. Dezember bis 18. Januar 1998 im Kunstverein Ludwighafen am Rhein e.V.