»Ich beiße die Zähne zusammen, auch wenn es die dritten sind«
Warum kandidieren Sie nicht mehr für den Bundestag?
Weil die Gefahr besteht, daß ich Alterspräsident werde, wenn ich im Bundestag bleibe.
Ist das eine schreckliche Vorstellung?
Ich habe meine Probleme mit dem Bundestag. Es ist mir sehr schwer gefallen, vier Jahre dort zu bleiben. Und die Vorstellung, noch einmal vier Jahre so eingesperrt zu leben, ist für mich schon grausam genug. Und dann noch die Vorstellung, als Alterspräsident in die Bütt zu müssen - das ist für mich gänzlich obsolet.
Was ist denn so furchtbar am Bundestag?
Der Bundestag ist eine theatralische Einrichtung zur Demonstration von Demokratie. Die wirklichen Entscheidungen werden außerhalb des Plenums getroffen - in Kohls Küchenkabinett,und dann in den obersten Parteigremien der Regierungskoalition. Später wird das Ganze fürs Volk noch einmal im Plenum durchgezogen. Ich habe keine Lust, an einer solchen theatralischen Vollzugsvorstellung länger als vier Jahre teilzunehmen.
Heißt das, daß Sie in den ganzen vier Jahren kein einziges Erfolgserlebnis hatten?
Ich habe mein Leben lang immer notiert, was um mich herum vor sich geht. Das habe ich natürlich auch im Bundestag getan. Insofern habe ich eigentlich jeden Tag, ob im Plenum oder in den Ausschüssen, Erfolgserlebnisse gehabt - jedenfalls für mein Tagebuch.
Wie sahen denn so typische Erfolgserlebnisse aus?
Typische Erfolgserlebnisse sind, daß man aus der Opposition heraus sagen kann, was man will, und daß man das auch gleich in den Wind schreiben kann. Besonders aus der doppelten Opposition heraus, die PDS ist ja gegenüber der SPD/Grünen-Opposition noch einmal Opposition.
Wie war denn Ihr erster Tag im Bundestag? Man kennt niemanden, alle schauen einen böse an, weil man von der PDS ist?
Nein, so war das nun nicht. Ich lebe seit 1957 in Westdeutschland. Und ich hab natürlich mit vielen, die heute für die SPD oder die Grünen im Bundestag sitzen, früher schon Kontakte gehabt. Das eigentliche Erlebnis war und ist: Dort, wo wir von der PDS sitzen, hat man ein Gegenüber, und dieses Gegenüber ist die Regierungskoalition. Das fand ich auf die Dauer etwas bedrückend, dieser schwarzen Mannschaft gegenüberzusitzen. Und mein erster Eindruck war, dafür müßte man eigentlich ein ungeheueres Schmerzensgeld bekommen.
Sehen die alle so furchtbar aus?
Die Regierungskoalition, das ist natürlich Darstellung von Macht. Diese Macht wird allerdings auch nur gespielt, von Leuten, die im Grunde genommen nichts zu sagen haben. Sie stellen sich nur durch ihre zahlenmäßige Übermacht, durch die Mehrheit, die sie haben, dar. Das ist schon etwas desillusionierend.
Sie müssen bedenken, das erste Bundestagserlebnis war im alten Reichstag in Berlin. Die erste Sitzung eröffnete der Alterspräsident, das war mein alter Freund und Kollege Stefan Heym. Einige Tage vorher waren gegen Heym Stasiverdächtigungen in Umlauf gebracht worden. Zu sehen, wie diese Regierungskoalition sich verhielt, als Heym hereinkam, wie sie geschlossen sitzen blieb und mit welchem dummen, knabenhaften Trotz sie sich aufführte: Das war für mich das erste Schockerlebnis. Denn Heym war ja einer, der als amerikanischer Soldat gegen das Dritte Reich gekämpft hat. Nie wieder ist das breite Lächeln Helmut Kohls so breit und so triumphal gewesen wie damals, als er gewissermaßen als Anführer seiner Sitzblockade trotzig auf seinem Hintern hockte. Das war eigentlich mein Schlüsselerlebnis. Von da an habe ich von diesem 13. Bundestag nichts anderes erwartet als solchen Dumme-Jungen-Trotz.
Wie funktionieren Feindschaften im Bundestag?
Sehr unterschiedlich. Es gibt der PDS gegenüber Gegnerschaften, die sich nicht in den privaten Bereich erstrecken, den üblichen höflichen, distanzierten Umgang miteinander. Dann gibt es aber tatsächlich auch die leibgewordene personifizierte Feindseligkeit. Die Leute, die einem beibringen, daß es einen gar nicht gibt. Nun macht mir das nichts aus, für bestimmte kalte Krieger Luft zu sein. Das schüttelt man ab. Aber Gegnerschaft, die als Feindschaft gewissermaßen wie eine Fahne vorangetragen wird, erscheint mir unmenschlich. Ich habe erst lernen müssen, darüber zu lachen.
Heißt das, daß Sie all Ihre Erfahrungen in einem Buch zusammenfassen und auch die Leute nennen wollen, die sich so benommen haben?
Ich weiß noch nicht, was ich aus meinen Tagebuchnotizen machen werde. Ein Titel schwebt mir vor: "Abschied von Bonn oder die Sterblichkeit der Dinosaurier". Das ist mein Arbeitstitel, unter dem ich das Ganze eventuell zusammenfassen werde. Aber ich bin da noch nicht sicher - es könnte auch sein, daß es ein Theaterstück wird. Ich werde mich erst entschließen, wenn ich aus dem Bundestag heraus bin und wenn die seelische Beklemmung, die einen dort immer wieder mal befällt, von mir abgefallen sein wird.
Eine Beklemmung, die der ähnlich ist, wenn man einen Job nicht mag und nur des Geldes wegen macht?
Das Geld spielt für die Parlamentarier der Grünen und der PDS insofern keine Rolle, als beide soviel von ihren Einkünften den jeweiligen Parteien spenden, daß das, was netto für den Abgeordneten übrigbleibt, lächerlich ist. Also das ist nicht das Problem.
Ich hatte ein Schockerlebnis als junger Mann, als ich zum ersten Mal in der Wehrmachtskaserne war. Dieses Erlebnis von Feindseligkeit, von gezwungenem, feindseligem Umgang miteinander, dieses Erlebnis hat sich psychologisch im Bundestag wiederholt. Jedenfalls bei diesem ersten Tag in Berlin im Reichstag. Wenn man diskutiert und streitet, dann braucht diese gewisse humane Grundlage, und diese Grundlage ist im Bundestag nur selten vorhanden.
Ich halte die Parlamente in England, Frankreich, Italien, aber auch in den Niederlanden, für menschlicher, für effektiver als den deutschen Bundestag. Der Bundestag ist eigentlich ein Parlament, das darauf gedrillt ist, eine Unmenge Gesetze abzusondern. Aber schon fünfzig Prozent dieser Gesetze sind dann, wenn sie durchgebracht werden, schon wieder veraltet. Sie enthalten entstellende Fehler, und man ärgert sich sofort darüber. Aber das ist wohl das Schicksal der Minderheit, sie glaubt, sie könne es eigentlich viel besser machen. Abgesehen davon meine ich tatsächlich, daß es die gesamte Opposition besser machen könnte als die Regierungskoalition.
Warum gehen Sie nicht jetzt schon?
Ich wollte ja aufhören. Ich wollte aufhören, aber da ist mir Stefan Heym zuvorgekommen. Und das wollte ich dann meinen Freunden von der PDS und auch Gregor Gysi nicht antun. Wir haben darüber gesprochen, und ich hab mich der Gruppendisziplin dann gebeugt, indem ich gesagt habe, ich beiße die Zähne zusammen, auch wenn es meine dritten Zähne sind.
Führt der von Ihnen beschriebene Streß nicht dazu, daß im Bundestag sehr viel getrunken wird?
Es gibt natürlich hochinteressante alkoholische Künstler, die auch schon solange dort sind, daß sie das auch nur mit einem flüssigen Quantum jeweils aushalten und verlängern können. Ein normaler Abgeordneter, meine ich, kann sich Trunkenheit im Bundestag genauso wenig leisten wie Trunkenheit am Steuer. Was nicht heißt, daß man nicht ab und zu, ich schätze zwei Mal im Monat, sich doch ganz gut einnässen muß, allein, um mal gut schlafen zu können.
Also das ist gar nicht das Problem?
Ich finde nicht. Joschka Fischer hat einmal gesagt, das sei eine Alkoholikerversammlung, vielleicht war das früher eine deutlichere Alkoholikerversammlung. Heute meine ich manchmal, manchem würde sogar etwas Alkohol gut tun, das würde ihn etwas verlebendigen. Deshalb hab ich auch nichts gegen die einzelnen Abgeordneten, die glänzende Redner werden, wenn sie etwas getrunken haben.
Wenn Sie im nächsten Jahr aus dem Bundestag ausscheiden, werden Sie sich dann auch von der Politik verabschieden?
Ich habe nicht vor, wieder politisch tätig zu sein. Ich muß überhaupt sagen, diese vier Jahre waren für mich schon eine Probe aufs Exempel. Ich habe nun erlebt, wie Politik gemacht wird, das ist gewiß eine abschreckende Erfahrung. Wenn ich wieder anfange zu schreiben, was anzunehmen ist, dann werde ich mit dieser Erfahrung anders schreiben. Auf alle Fälle werde ich Institutionen, etwa das deutsche Parlament, nicht mehr von vornherein überfordern. Meine Erfahrung zeigt, daß die Wähler selbst, die Bevölkerung, alle die, die in Deutschland wohnen, sich politisieren müssen. Sie müssen versuchen, ihre Interessen zu vertreten, möglichst, ohne in Parteien einzutreten. Im Parlament werden ihre Interessen am wenigsten - ich korrigiere mich - weniger, als es notwendig wäre, vertreten.
Das heißt: Sie können anderen Menschen nicht empfehlen, für den Bundestag zu kandidieren.
Ach, wissen Sie, ich erinnere mich, daß vor langer, langer Zeit auch Rudolf Augstein mal als Seiteneinsteiger für die FPD in den Bundestag gegangen ist. Der saß da nur kurze Zeit und hat dann fluchtartig den Bundestag verlassen. Das verstehe ich vollkommen. Es wird nur sehr selten Seiteneinsteiger geben. Auch ich als Seiteneinsteiger war eben nur einer, der gewissermaßen vier Jahre lang vor Ort recherchiert hat.