Rivalen auf dem Golfplatz

Die Verbündeten der USA von 1991 wollen einen Militärschlag gegen Irak vermeiden. Saddam Hussein weiß das genau und pokert hoch.

Die Protestdemonstrationen im Irak gegen die Waffenkontrolleure der Vereinten Nationen (UN) sind seit Freitag vergangener Woche zu Ende. Denn die UN Special Commission (UNSCOM) hat als Reaktion auf die Ausweisung sechs US-amerikanischer Mitarbeiter ihre Stützpunkte im Irak geräumt und sich ins Golfemirat Bahrain zurückgezogen. Dort, im Hauptquartier der internationalen Mission, harren die Waffenkontrolleure nun der weiteren Entwicklung am Persischen Golf. Ihre Abreise gilt als deutliches Zeichen an den irakischen Präsidenten Saddam Hussein, daß ein Militärschlag gegen das Land unmittelbar bevorstehen könnte.

Die Vereinigten Staaten und Großbritannien setzten sogleich weitere militärische Kontingente Richtung Golf in Bewegung, um zu zeigen, daß sie vor einem Angriff keineswegs zurückschrecken. Zugleich entwickelte sich am Wochenende eine rege diplomatische Tätigkeit. US-Außenministerin Madeleine Albright tingelte mit einer neuen Formel - den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen, ohne eine militärische Option auszuschließen - im Gepäck durch Kuwait, Bahrain und Katar. Die Formel sei dort begrüßt worden, sie erhoffe sich gleiche Unterstützung auch von Saudi-Arabien, erklärte sie daraufhin. Zudem sollten auf Drängen von William Clinton andere Regierungen wie Frankreich, Rußland oder einige arabische Staaten auf Hussein einwirken, um ihn zu überzeugen, daß es keine Aussicht auf Aufhebung des UN-Embargos gebe, solange er die Inspektionen nicht wieder genehmige.

Auch die Führung in Bagdad ist bemüht, ihre Kriegsbereitschaft zu betonen. Das ganze Land sei längst darauf vorbereitet, wie offzielle Stellen immer wieder behaupten. Fernsehteams des CNN wurden bereits eingeladen zu filmen, wie die Armee sich auf den Kampf gegen die "Tyrannei der Vereinigten Staaten" vorbereitet. Außenminister Tarek Asis bekräftigte am Wochenende erneut die Drohung, U-2-Aufklärungsflugzeuge über irakischem Gebiet abschießen zu wollen, womit der Tanz zweifellos eröffnet wäre. Die USA haben einen solchen Flug angekündigt, US-Verteidigungsminister William Cohen hat militärische Vergeltung schon für den Fall angedroht, daß der Irak eine U-2 aufs Korn nimmt. Parallel zum Säbelrasseln bemühte sich jedoch auch der Irak auf diplomatischem Parkett - Asis legte am Wochenende einen sogenannten "technischen Zwischenstopp" in Paris ein, bevor er nach Marokko, Tunesien, Algerien, Libyen und Ägypten weiterflog. Ein neuer Vorschlag wurde präsentiert: Die UNSCOM solle gleichberechtigt aus allen Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates zusammengesetzt werden, dann habe der Irak keine Einwände gegen deren Agieren. Eine weitere Spitze gegen die USA, die aus Sicht des irakischen Staates die UNSCOM dominieren und für einen Sturz Saddam Husseins zu funktionalisieren suchen.

Saddam Hussein setzt offensichtlich auf ein Aufleben des Pan-Arabismus einerseits und die Spaltung der UN andererseits. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Vorbehalte gegen den Vorschlag der anglo-amerikanischen Allianz, für den Fall fortgesetzter Behinderungen der Waffen-Inspektionen militärische Maßnahmen abzusegnen. Insbesondere Rußland, Frankreich und China - die im Sicherheitsrat Ende vergangene Woche auch durchblicken ließen, sie hielten den Abzug der gesamten UNSCOM für verfrüht - sperren sich gegen einen solchen Schritt und verlangen eine Verhandlungslösung. Ebenso Ägypten, das derzeit zu den 15 Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates gehört.

Die Opposition Ägyptens ist deutliches Zeichen der veränderten Machtkonstellationen im Vergleich zum sogenannten Zweiten Golfkrieg. Gehörte Präsident Hosni Mubarak damals noch zu Unterstützern der US-amerikanischen Position, so ist Kairo heute wesentlich zurückhaltender: Der ägyptische Staatschef weigerte sich, an der diesjährigen Wirtschaftskonferenz für den Mittleren Osten, MENA, teilzunehmen. Das Treffen, das am Dienstag dieser Woche in Doha - Hauptstadt des Golfemirats Katar - zu Ende ging, wurde wegen der Teilnahme Israels auch von anderen arabischen Ländern ignoriert. Trotz intensiver Bemühungen der USA nahmen lediglich der Gastgeber sowie Oman, Jordanien, Jemen, Kuwait und Tunesien an dem vierten MENA-Treffen teil. Die New York Times wertet den Boykott der Wirtschaftskonferenz bereits als eindeutiges Zeichen: Die arabischen Staaten würden "einen traurigen Fehler" begehen, die Konferenz zu boykottieren und "entschlossene Schritte gegen die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen durch Saddam Husseins Irak" zu verhindern.

Die Anti-Irak-Koalition anläßlich des Zweiten Golfkriegs 1991, an der sich neben Ägypten auch Syrien und die sechs Golfstaaten beteiligten, ist längst zerbrochen. Noch in der nach der syrischen Hauptstadt benannten "Erklärung von Damaskus" vereinbarten die acht Länder am 6.März 1991 einen Sicherheitspakt. Die militärisch ziemlich schwachen Golfstaaten sollten demnach im Austausch für den Schutz ihrer Länder durch syrische und ägyptische Truppen jährlich rund 15 Milliarden US-Dollar zahlen. Doch dieser Handel war einigen Staaten zu teuer und zu unsicher. Wenige Monate nach Unterzeichnung zogen die Schutztruppen wieder ab, und in der Folge wurden Einzelverträge mit den USA abgeschlossen. Eine Entwicklung, die durch das Emirat Kuwait ausgelöst wurde, das den anderen arabischen Staaten eher mißtrauisch gegenübersteht. Mit dem größten Nachbarland Saudi-Arabien gibt es jedenfalls Streitigkeiten über den Verlauf der gemeinsamen Grenze.

Andere Golfemirate, so Bahrain und Katar, haben ebenfalls Sicherheitsvereinbarungen mit Washington unterzeichnet, wollen sich aber nicht nur auf einen Partnerstaat verlassen. So versucht beispielsweise Katar unter der Führung von Scheich Hamad ben Khalifa al-Thani, sich auch mit Irak oder Israel gutzustellen. Mit dem Iran, nach der islamischen "Revolution" von 1979 isoliert, nahm Katar zudem 1991 diplomatische Beziehungen auf; von dort wird über eine 2000 Kilometer lange Leitung auch Trinkwasser bezogen. Teheran, das auch mit Bahrain politische und wirtschaftlichen Kontakt pflegt sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und dem Sultanat Oman eine Sicherheitspartnerschaft angeboten haben soll, hat sich gerade am Persischen Golf wieder zu einer Macht entwickelt, die dem Irak, dem Feind im ersten Golfkrieg, militärisch mittlerweile weit überlegen ist.

Der Irak trifft mit seiner aktuellen Propaganda den Nerv arabischer Staaten. Der libanesischen Tageszeitung L'Orient-Le Jour gegenüber appellierte Scheich Zayed bin Sultan al-Nahyan schon an die "arabische Solidarität", sich gegen das UN-Embargo einzusetzen. "Es ist deutlich, daß Saddam aus seinen Fehlern gelernt haben muß und sie nicht wiederholen wird", so der Präsident der VAE. Jegliche Allianz mit USA oder Israel - den "Kolonialisten", "Imperialisten" oder "Zionisten" - stellt in den arabischen Staaten potentiell eine innenpolitische Gefährdung dar. Selbst Syrien, in traditioneller Feindschaft zum irakischen Nachbarn stehend, versuchte während des Zweiten Golfkrieges nach innen seine militärische Beteiligung zu verheimlichen. Mehrere tausend Soldaten seien zwar in der Krisengegend stationiert, so die offiziellen Verlautbarungen damals, würden aber auf keinen Fall ihre Waffen gegen den "arabischen Bruderstaat" erheben. Eine Version, die auch dann noch verbreitet wurde, als Syrien längst in die Kämpfe gegen den Irak verwickelt war.

Die syrische "Arabische Republik" hat jedenfalls kein Interesse daran, daß der östliche Nachbarstaat zerfällt. Denn eine Abspaltung des kurdischen Nordens sowie des schiitischen Südens des Landes von Bagdad, wie es nach dem Ende des Zweiten Golfkrieges durch die Aufstände durchaus möglich schien, könnte schwer abschätzbare Konsequenzen nach sich ziehen. Die Türkei und der Iran könnten sich beispielsweise ermuntert fühlen, ihre Feldzüge ein wenig über den Nordirak hinaus auszudehnen.

Auch für Saudi-Arabien ist die Zusammenarbeit mit Washington nicht ganz unproblematisch. Die Stationierung von US-Soldaten im Königreich - seit 1962 mehrmals vorgeschlagen, jedoch immer abgelehnt - wurde von Beginn an nicht sehr positiv aufgenommen. Gelten die Amerikaner in Arabien doch als Erzfeinde, nicht zuletzt wegen ihrer Unterstützung Israels. Andererseits befürchtet Saudi-Arabien, der nördliche Nachbar Irak könnte zu mächtig werden, vielleicht gar die Führung eines arabischen Blocks gegen die USA und Israel übernehmen. Der Bombenanschag gegen eine US-Basis in der Hauptstadt Riad im August 1995 stellte unter Beweis, daß sich die saudische Bündnispolitik zum innenpolitischen Problem entwickeln könnte. Der Golfstaat, der im Gegensatz zur Konkurrenz um die Vormachtstellung in der Region - Syrien, Irak, Iran - militärisch relativ schwach ist, hatte schon einmal einen wichtigen Partner verloren. Pflegte man lange Zeit intensive Beziehungen zu Ägypten, konnte dieser Kurs nach 1979, dem Friedensschluß Kairos mit Israel und der anschließenden Suspendierung von Ägyptens Mitgliedschaft in der Arabischen Liga, nicht mehr fortgesetzt werden.

Eine direkte Bündnispolitik mit den USA und Großbritannien bei einem Militärschlag gegen den Irak dürfte für die wichtigsten arabischen Staaten Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien somit kaum in Frage kommen. Sich auf die Seite des Iraks zu schlagen, dürfte ebenfalls schwierig werden, sind die Vereinigten Staaten doch wichtiges Partnerland: Ägypten bezieht jährlich mehrere Milliarden US-Dollar als "Entwicklungshilfe", für Saudi-Arabien ist nach dem Scheitern der "Erklärung von Damaskus" militärischer Schutz an die Präsenz der US-Truppen gekoppelt, und Syrien setzt zumindest mittelfristig auf gute Beziehungen zu Washington.

Eine Stärkung der pan-arabischen Idee wäre für den Irak vor allem dann möglich, wenn die Feindschaft zu den USA oder Israel als verbindendes Element einen höheren Stellenwert im aktuellen Konflikt einnehmen würde.

Seitens Tel-Avivs wurde Ende vergangener Woche bekundet, auf einen eventuellen Angriff auf Israel mit aller Härte zu reagieren - gegen den ausdrücklichen Willen der USA und gegen eine interne Anweisung des israelischen Außenministeriums, in der Irak-Affäre nicht öffentlich Stellung zu beziehen. Schon jetzt werden in Israel die Gasmasken ausgetauscht, die im Zweiten Golfkrieg 1991 wegen der irakischen Scud-Raketen-Angriffe verteilt worden waren.

Indes wächst der innenpolitische Druck auf Präsident William Clinton. Wegen seines bisherigen Vorgehens wird er bereits als "lahme Ente" bezeichnet.

Allein, selbst aus dem Blickwinkel des US-amerikanischen Staates ist fraglich, was mit einem Militärschlag gegen den Irak zu gewinnen wäre: Die Fähigkeit des Irak, chemische oder biologische Waffen herzustellen, läßt sich dadurch zweifellos nicht zerstören. Als Mittel, die Ausweisung der US-Inspektoren rückgängig zu machen, sind Luft- oder Raketenangriffe ebenfalls wenig tauglich. Bleibt als Ziel lediglich die militärische Schwächung Husseins: Seine Republikanischen Garden zu bombardieren, böte sich aus Sicht der USA an, haben sie doch noch ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen. Im vergangenen Jahr überrannten die Garden die Stadt Erbil im Nordirak und machten damit auch eine breiter angelegte CIA-Konspiration gegen Saddam zunichte.

Das allerdings hat dann wieder den Beigeschmack eines Zweikampfs zwischen den USA und Hussein, der gerade vermieden werden soll.