Shagedelic

Populäre Kultur ist Massenwunschorganisation oder so. Und zwar eine ziemlich flüchtige. So, wie sie kommt, ist sie auch schon wieder weg! Aber es gibt ein Gegenmittel: Retrofilme. Damit die Kinder wissen, womit sie sich wie ihre Eltern fühlen können. Für den Film "Austin Powers" stand man vor genau diesem Problem. Aber: Eltern, Kinder - das ist doch alles überflüssig. Deswegen verlegte Drehbuchautor Mike Myers auch den ganzen Kram in eine Person: den Agenten Austin Powers (Mike Myers) im gleichnamigen Film.

Austin ist der Star im London der Sechziger: Modefotograf, Dandy, Sexist mit Brusttoupet, Agent, hat tagein tagaus mit dem Bösewicht Dr. Evil (auch Mike Myers) zu kämpfen. In der "Pussycat"-Kneipe dann der Showdown - fast. Denn Evil kann in seiner Rakete, dem umgebauten Hamburger-Mann, abhauen. Solange der nicht wiederkommt, wird Austin eingefroren, meinen seine Arbeitgeber. Derweil konnten wir die Sechziger kennenlernen: Geschüttelte Martinis, schwedische Penisvergrößerer, Burt Bacharach, Beatlemania, Robert Wagner, James Bond, Fantomas, Twiggy, Ursula Andress und Elisabeth II., Mini Max ("Die amerikanische Antwort auf Austin Powers") - das sind die Idole des Mike Myers, und jede Figur des Films besteht zu mindestens 26 Prozent aus irgend etwas von ihnen. Oder sie treten gleich selber auf.

Ausgerechnet in den Neunzigern nun taucht Dr. Evil wieder in die Atmosphäre ein und verlangt Mabuse-mäßig hundert Milliarden von der Uno - sonst setzt's warme Ohren. Was Evils Angestellter Jürgen gerade erfahren hat: Bei der Vorstandssitzung wird er wegen einer falschen Antwort gleich gegrillt.

Dieser Film enthält zwar kaum eine Sexszene, dafür aber eine umso längere Piß-. Die Ärzte hören staunend dem Geplätscher zu. Und wem gehört der bescheuerte Schwanzvergrößerer, über den man in den sittenstrengen Neunzigern nicht reden darf? Vorbei die Tage des unbelasteten Sexperimentierens, der Drogen und - überhaupt, der freaky styly Weltverschwörungen. Der Kalte Krieg ist vorbei, sogar die Russen sind jetzt Freunde.

Aber der flexible Austin stellt sich ein. "Kapitalismus war schon immer mein Ding!" sagt er, und was man einmal gelernt hat, ist Kapital und immer da. Da helfen die früh erlernten Techniken weiter: Gegnerinnen lassen sich z. B. immer noch spielend kaputtanzen, so ein Glück. Und auch heute trägt man wieder Murksfrisuren. Hatte nicht die bezaubernde Mrs. Kensington, früher Austins Mitarbeiterin, irgendwann mal eine noch bezauberndere Tochter Vanessa (Liz Hurley), die Myers in der Gegenwart erklärt, was er in der Vergangenheit schon nicht verstanden hat? Ist er gar der Vater? Ist wirklich der kluge Mister Bazil Exposition (Michael York) immer noch Geheimdienstchef?

Fragen, die sich Austin Powers und das Publikum zu stellen hat. Aber die Geschichte verläuft in Sprüngen wie alle Geschichte. "Shagedelic!" lautet Austins Antwort auf die Fragen, die gar keiner gestellt hat. Dann ist alles nicht so schlimm, Powers erledigt sein Alter ego. "Austin Powers" besteht aus anderthalb Stunden Musik, Schauspielern, Klamotten, Witzen, Bildern - wie sie auch in Filme hineingehören! Alles wunderbar also, keine Frage. Koproduziert von der Göttin fürs Geschmacklose: Hollywoods Mother Trash Demi Moore.

"Austin Powers". USA 1997. R: Jay Roach, D: Mike Myers, Liz Hurley, Michael York, Mimi Rogers, Robert Wagner, Seth Green. Start: 20. 11.