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Mit der "Aktion Grundgesetz" will die Aktion Sorgenkind ihr Image pflegen

Mit einiger Hoffnung sahen behinderte Menschen am 15.November 1994 auf das Abstimmungsergebnis zur Grundgesetzänderung nach Bonn. In Artikel III des Grundgesetz heißt es seither: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Für diese Grundgesetzänderung hatte die "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland" (ISL) lange gekämpft. Sie sah darin einen ersten Schritt hin zu einem Gleichstellungsgesetz für behinderter Menschen in Deutschland, nach US-amerikanischen Vorbild.

Die Aktion Sorgenkind (AS) versucht jetzt, auf den fahrenden Zug der ISL aufzuspringen. Am 15. November eröffnete sie in der Berliner Universal Hall offiziell ihre Kampagne "Aktion Grundgesetz". Schon seit einiger Zeit wirbt die AS mit Anzeigen und Plakatwände in quitschgrün und knallrot für die Umsetzung des Grundgesetzartikels. Für die AS, seit Mitte der sechziger Jahre bekannt als mitleidsschürende Organisation, geht es dabei auch darum, ihr eigenes Image aufpolieren. Auch die AS mußte inzwischen zur Kenntnis nehmen, daß Behinderte nicht Mitleid fordern, sondern Selbstbestimmung. So durfet das das Fußvolk Sprüche für die Kampagne einbringen wie "Bitte freimachen von Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen". Wer über die Auswahl der eingegangenen Slogans entschied, liegt allerdings auch auf der Hand.

Um der AS bei ihrem Bewußtseinswandel auf die Sprünge zu helfen gründete sich im September der "Zusammenschluß Aktion Grundgesetz vorerst ohne Aktion Sorgenkind" (ZAGvoAS). Bei der AS selbst ist es mit der Umsetzung der Sprüche ihrer eigenen Kampagne Aktion Grundgesetz nicht weit her, meinen die im ZAGvoAS zusammengeschlossenen Behinderten. Auch warnen sie vor einem "Gang durch die Institutionen", bei dem die Verbände behinderter Menschen von den finanziellen Mitteln der AS abhängig werden, ohne daß diese in verantwortlichen Positionen mitbestimmen können.

Einen kleinen Erfolg kann ZAGvoAS schon vorweisen: Auf ihren Druck hin ließ die AS für die Eröffnungsveranstaltung der "Aktion Grundgesetz die Universal Hall in Berlin fast 100 Prozent behindertengerecht umgestalten. Die zehntausend Mark wären für einen festinstallierten Einbau besser angelegt gewesen.

Draußen und bei leichten Regen organisierte ZAGvoAS mit freundlicher Unterstützung des "Spontanzusammenschluß Mobilität Behinderter" unter dem Motto "Selbstbestimmt statt Sorgenkind" ein Preisausschreiben. Gesucht wird ein neuer Name für die Aktion Sorgenkind. Schließlich machen behinderte Menschen weder Sorgen noch sind sie Kinder, die in Abhängigkeitsverhältnissen leben. Eine prominent besetzte Jury soll bis zum 9.Dezember über den besten eingegangenen Namen entscheiden.

Doch mit einer Namensänderung ist es nicht getan. Die ZAGvoAS fordert außerdem die Beteiligung behinderter Menschen an den Entscheidungsgremien wie Vorstand oder Kuratorium von AS. Zur Zeit sind die sechs großen Wohlfahrtsverbände und das ZDF mit drei Sitzen in dem 13köpfigen Kuratorium vertreten. Diese "Wohltätermafia" widerspricht dem Grundgedanken eines selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen auch, indem sie Aussonderungseinrichtungen, wie Behindertenheime und -werkstätten, betreibt.

Doch wenn sich ZDF-Intendant Dieter Stolte, wie er am Rande der Eröffnung der "Aktion Grundgesetz" versprach, tatsächlich für Strukturänderungen in der AS stark macht, besteht noch Hoffnung: Auf weniger Geld für aussondernde Einrichtungen und mehr für selbstbestimmtes Leben.