Zukunft für die Grabsteine

CSU und Sudetendeutsche blockieren Verhandlungen über Fonds für tschechische NS-Opfer

Als im Januar 1997 die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichnet wurde, lebten in Tschechien noch 9 000 NS-Opfer. 700 sind in den letzten zehn Monaten verstorben. Der mit der Verabschiedung der Erklärung vereinbarte "Zukunftsfonds", in den Bonn 140 und Prag 25 Millionen Mark einzahlen wollen, läßt weiter auf sich warten.

Frühestens zu Jahresbeginn 1998 soll er arbeitsfähig sein, teilte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion Anfang November mit. Zumindest werde dieser Termin in den im August begonnenen Verhandlungen angestrebt. Auch sollen aus dem Fonds außdrücklich keine individuellen Entschädigungen gezahlt werden, sondern "Sanatorienbau und -betrieb", die Pflege von Grabstätten und weitere, "insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommende" Projekte.

Verhandelt wird nach Auskunft der Bundesregierung bisher lediglich über die Errichtung des Fonds. Dabei geht es vor allem um die Besetzung des "repräsentativ" zusammengesetzten Verwaltungsrats. Erst er werde mit der Planung konkreter Projekte beginnen. Nach einem Bericht des Spiegel will Helmut Kohl in den Verhandlungen auf Drängen des bayerischen Ministerpräsidenten und Vertriebenenlobbyisten Edmund Stoiber den Sudetendeutschen Funktionären Fritz Wittmann und Volkmar Gabert Posten in dem achtköpfige Gremium verschaffen. Verständlich, daß die tschechische Seite diese deutsche Forderung ablehnt, pochen doch die Sudetenverbände weiterhin auf ihr "Heimatrecht" in Tschechien und hatte deshalb selbst die moderate deutsch-tschechische Versöhnungserklärung abgelehnt. Entsprechend zäh gestalten sich die Verhandlungen. Und so wird, bis das erste Altersheim in Betrieb genommen wird, vermutlich kaum mehr eines der Opfer leben, denen die gegen ihren erklärten Willen verordneten Großzügigkeiten angeblich "zugute kommen" sollen.

Ohnehin erklärten Anfang Oktober 60 Prozent der Föderation jüdischer Gemeinden Tschechiens, sie sähen keinen Grund dafür, "in ein weiteres Ghetto umzuziehen". Wie der Verband der Freiheitskämpfer fordern sie statt dessen individuelle Entschädigung in Form einer Zusatzrente. Laut Spiegel war Außenminister Klaus Kinkel in den Verhandlungen bereit, den tschechischen Opferverbänden entgegenzukommen: Es könnten aus den vorgesehenen Mitteln nicht nur Altenheime und Sanatorien finanziert werden, sondern auch ein "Sozialwerk", das NS-Opfer unbürokratisch mit Beihilfen für Wohnungsmieten und Gesundheitsfürsorge unterstützt.

Doch selbst diesen Kompromiß blockiert die CSU als treue Sachwalterin sudetendeutscher Interessen. Erst Mitte Oktober hatte Stoiber bei einem Auftritt vor dem Sudetendeutschen Rat betont, der Fonds werde nicht für Individualansprüche geöffnet, "dabei soll es auch bleiben".

Welche Rolle die NS-Opfer in der deutschen Tschechienpolitik spielen, machte auch Außenminister Kinkel zum Auftakt der erst acht Monate nach Unterzeichnung der Erklärung Ende August begonnenen Verhandlungen über den Zukunftsfonds deutlich. Jetzt sei es an der Zeit, "die Erklärung mit Leben zu erfüllen und die deutsch-tschechischen Beziehungen weiter voranzubringen. Wir alle erinnern uns an den bewegenden Moment, als Außenminister Genscher den DDR-Flüchtlingen vom Balkon unserer Prager Botschaft die Entscheidung zurief, daß sie ausreisen können. Es war mit der Beginn der Wiedervereinigung. Solche Momente der Geschichte vergessen die Völker nicht."

In die Zukunft denken bedeute konkret, "den Oderraum gemeinsam mit den künftigen EU-Mitgliedern Tschechien und Polen als europäischen Wirtschaftsraum zu sehen" und die "vorbeugende Flutvorsorge" als Ausgangspunkt für eine "zukunftsorientierte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Raumplanung" zu betrachten.

In derlei Visionen sinken nicht nur die Opfer in Gräber, sondern steigt gleichzeitig eine frische Generation "Sudetendeutscher" mit Tatendrang empor. Die "Kinder und Enkel dürfen nicht zu Gefangenen der Vergangenheit werden", hatte Kinkel schon anläßlich der Abstimmung der Erklärung am 30. Januar im Bundestag beschworen und ein "besonderes Wort der Achtung und des Respekts an die Sudetendeutschen" gerichtet: "Wir wissen, wie sehr die Sudetendeutschen an ihrer alten Heimat hängen. Beim Niederlassungsrecht hat die Assoziierung Prags an die Europäische Union bereits Fortschritte gebracht. Die künftige Mitgliedschaft unserer beiden Länder in der Europäischen Union wird die Freizügigkeit und damit das Recht, in dem jeweils anderen Land zu leben, möglich machen. Die Erklärung wird es schon jetzt ermöglichen, daß bei Anträgen auf Daueraufenthaltâ humanitäre und andere Belange, insbesondere verwandtschaftliche Beziehungen und familiäre und weitere Bindungen berücksichtigt werden; eine wichtige Verbesserung für die Betroffenen." Kurz gefaßt: Grabsteine für NS-Opfer - und eine Euroregion für die Sudetendeutschen.