Gewaltsame Verhältnisse

In Bremens Knast Oslebshausen wurden Gefangene mißhandelt. Kripo und Antirassisten verdächtigen die Gefängnisleitung, die Hintergründe zu vertuschen
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Ein "besonderes Gewaltverhältnis" herrsche im Gefängnis, meinten deutsche Juristen früher, wenn sie rechtfertigen wollten, warum Strafgefangene schlechteren Rechtsschutz genießen. Die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis gilt nicht mehr, aber daß die Verhältnisse im Knast besondere geblieben sind, zeigt der kürzlich aufgedeckte Bremer Gefängnisskandal. Gegen sieben männliche und zwei weibliche Vollzugsbeamte des Bremer Gefängnisses Oslebshausen wurde Anklage wegen Körperverletzung im Amt und wegen anderer Delikte erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, Häftlingen geholfen zu haben, Untersuchungsgefangene anzugreifen und zu verprügeln, die wegen sexueller Mißhandlung von Kindern angeklagt waren. Weiterhin sollen die Beamten zwei kurdische Untersuchungshäftlinge mißhandelt haben. Die beiden Gefangenen wurden offenbar von fast einem Dutzend Beamten zusammengeschlagen und anschließend blutend in die Isolierzelle gesperrt. Dort sollen sie ans Bett gekettet mehrere Tage ohne Nahrung und Pflege geblieben sein.

Neben der strafrechtlichen Anklage, die im Januar vor Gericht verhandelt werden wird, bearbeitete seit vorletzter Woch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß die Affäre. In dessen erster Sitzung konnte sich Oberstaatsanwalt Frischmuth gerieren, als gebühre ihm das Verdienst der Aufklärung: Er habe persönlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, als er den damaligen Gefängnisleiter Hoff bei einer Deputationssitzung von Übergriffen gegen U-Häftlinge sprechen gehört habe. Einen Monat später habe er Staatsanwalt Uwe Picard für diese Ermittlung abgestellt.

Sollte es die Strategie der Staatsanwaltschaft gewesen sein, die Initiative zu ergreifen, ehe es die Presse täte, so hätte sie zumindest einige Erfolge aufzuweisen: Der Verdacht, der sozialdemokratische Bürgermeister Henning Scherf, der auch das Justizressort leitet, habe das Treiben in der JVA gedeckt, kann nun nicht mehr mit der Untätigkeit der Staatsanwaltschaft belegt werden. Staatsanwalt Picard hatte im Ausschuß dann auch Gelegenheit zu betonen, daß er bei den Ermittlungen von seinem Dienstherrn weder beeinflußt noch behindert worden sei. Die Frage, warum in einem Raum, der in so hohem Maße überwacht wird wie ein Gefängnis, solche Zustände so lange geheim bleiben konnten, fand Picard eine gute Entschuldigung: Untersuchungshäftlinge wechseln eben häufig, und nach der Entlassung haben sie kein Interesse mehr an einer Aufklärung. Dieser Entschuldigung steht zumindest die Aussage des Kripo-Beamten Dietrich Daehn entgegen, der für Picard die Vorfälle ermittelte: "Die Symptome waren deutlich." Bereits bei der ersten Durchsicht der Akten sei aufgefallen, daß die Schicht, zu der die angeklagten Beamten gehörten, auffällig viele Häftlinge in die Isolierzelle gesperrt hatte. Die Meldungen über angebliche Angriffe der Häftlinge, mit denen die Maßnahmen gerechtfertigt wurden, waren zum Teil von Beamten unterschrieben, die gar keinen Dienst gehabt hatten.

Auch andere Aussagen stützten den Eindruck, der damalige Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff habe die Praktiken in seinem Gefängnis gekannt und geduldet. So berichtete vor dem Ausschuß der Kripo-Beamte Claus Warncke, wie sich bereits 1994/95 eine Ermittlungsgruppe an den Verhältnissen in dem Gefängnis die Zähne ausbiß: Bei Durchsuchungen habe Hoff die Prozedur solange verzögert, daß man den Eindruck gewann, die Insassen hätten vorher Bescheid gewußt. Als die Kripo einen Block nach versteckten Waffen durchsuchen wollte, bekam sie, noch bevor die Aktion stattfinden sollte, zu hören, die JVA-Beamten hätten die Durchsuchung bereits vorgenommen, ohne etwas zutage gefördert zu haben. Eine Wärterin, die Warncke über Drogendelikte in Oslebshausen informiert habe, sei daraufhin von Hoff "zur Schnecke gemacht" worden. Die Ermittlungen gegen Hoff waren mit der Begründung eingestellt worden, er sei nicht der Dienstherr der angeklagten Beamten; Hoff ist mittlerweile auf eigenen Wunsch versetzt worden und arbeitet heute als Familienrichter.

Die Mißhandlung der beiden kurdischen Untersuchungsgefangenen war Hoff bereits im Frühjahr letzten Jahres mitgeteilt worden, woraufhin er versprach, der Sache nachzugehen - ohne weiteres Ergebnis. Statt dessen gelang, kaum hatte die Ermittlungsgruppe die Arbeit aufgenommen, den beiden kurdischen Belastungszeugen die Flucht. Dies wirkt um so befremdlicher, als beide während eines von der Gefängnisleitung genehmigten Ausgangs ausreißen konnten, obwohl zu diesem Zeitpunkt wegen eines vorausgegangenen Ausbruchs Ausgang für ausländische Gefangene so gut wie gestrichen worden war.

Warum gerade Kurden zu Opfern wurden, kam im Untersuchungsausschuß ebensowenig zur Sprache wie rassistische Alltagspraktiken, Beleidigungen und anderes, was in Olslebshausen an der Tagesordnung ist. Statt dessen war pauschal nur von Mißhandlungen von Gefangenen die Rede. Zudem entwickelt sich die Darstellung der Untersuchungsergebnisse in den Medien so, daß mittlerweile der Skandal weniger im Rassismus und in den von oben gedeckten Mißhandlungen wehrloser Häftlinge zu bestehen scheint, als vielmehr in den angeblich zu losen und unkontrollierten Bedingungen in der JVA. Besonders die Tatsache, daß dort - wie in jedem Gefängnis - mit Drogen gehandelt wird, wird groß aufgebauscht. So wartete das Lokalblatt Weser Kurier mit genüßlichen Schlagzeilen auf: "Gefängnis-Rasenmäher raus - erstklassiges Kokain rein" und "Sogar Säuglinge als Drogenkurier".

Die so erzeugte Stimmung trug dazu bei, daß der Gefängnis-Skandal nicht etwa zu einer Reform der Oslebshausener Verhältnisse führte: Bei allen Gefangenen, die eine Strafe von vier Jahren oder mehr absitzen müssen, entscheidet über Haftlockerungen nun nicht mehr die Gefängnisleitung, sondern das vorgesetzte Justizressort. Zudem hat in der vergangenen Woche die Justizbehörde dem Drogenhandel in Oslebshausen den Kampf angesagt - mit schärferen Kontrollen von Besuchern und Freigängern, schwereren Haftbedingungen für ertappte Dealer und höheren Gefängnismauern. So ist schon jetzt absehbar, daß der Skandal systemkonform verarbeitet werden wird: Die Kontrolle ist wieder gefestigt; mögliche Pressekritik am Justizapparat wurde rechtzeitig abgebogen, dafür aber der Law-and-Order-Diskurs gestärkt; den Gefangenen geht es künftig schlechter. Und im Gefängnis herrscht weiterhin das Gewaltverhältnis.