Alle Macht den Räten

CSU will der Industrie direkten Einfluß auf die Hochschulen sichern

Kaum weiten sich die hessischen Studentenproteste und -streiks auch auf andere Bundesländer aus, schon hagelt es Lob von allen Seiten - und vor allem von der falschen Seite. Spätestens wenn einer wie CDU-Generalsekretär Peter Hintze den Studenten "unsere volle Sympathie und Rückhalt" ausspricht, wenn selbst Arbeitgeberpräsident Hundt die Proteste verständlich und gut findet, kommen Zweifel an Sinn und Zweck der Studentenstreiks auf.

Es besteht die Gefahr, daß die konservativ-liberalen Machthaber in Bonn und ihre Kollegen in den Ländern den allgemeinen Unmut dazu nützen, ihrem Ziel von Eliteuniversitäten einerseits und Schmalspurausbildungen andererseits näher zu kommen, und so die Hochschulausbildung endgültig an den Interessen des Kapitals ausrichten. Bayern ist in dieser Hinsicht mal wieder vorn: Ohne die Neufassung des bundesweiten Hochschulrahmengesetzes abzuwarten, hat die CSU-Staatsregierung Ende Oktober den Entwurf für eine Hochschulreform vorgelegt, die bereits zum Wintersemester 1998/99 in Kraft treten soll. Der Einfluß der Unternehmen auf die Inhalte von Forschung und Lehre soll dabei derart ausgebaut werden, daß das sogar der Universität München zu weit geht: Ihr Rektor kündigte Ende November eine Verfassungsklage gegen das Gesetzesvorhaben an.

Nach Vorstellung der CSU, die Bayern als Vorreiter für andere Bundesländer sieht, sollen in Zukunft diejenigen Universitäten mehr Geld erhalten, die auch mehr Absolventen hervorbringen, deren Studenten innerhalb der Regelstudienzeit bleiben, die den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern und die international eine Rolle spielen. "Die Hochschulen sollen sich verstärkt als moderne Dienstleistungsunternehmen ihrer Studenten verstehen", lautet die Zielvorgabe. Wie die Unis ihre Mittel einsetzen, will die Staatsregierung ihnen dafür weitgehend selbst überlassen. Zwar enthält der Gesetzentwurf auch positive Aspekte - so soll erstmals die Leistung der Professoren in der Lehre unter "Mitwirkung der Studierenden" bewertet werden, und auf die Habilitation als regelmäßige Voraussetzung für die Berufung eines Hochschullehrers will man in Bayern in Zukunft verzichten. Gleichzeitig bekommen die Universitäten jedoch die Möglichkeit, sich ihre Studenten in Zukunft verstärkt selbst auszusuchen. Und: Die Studenten müssen sich zukünftig in allen Fachbereichen einer Zwischenprüfung nach dem vierten Semester unterziehen.

Um einiges weitreichender sind zwei weitere Punkte im Gesetzentwurf der Staatsregierung: So sieht die "Reform" erstmals in Deutschland die Einführung von Studiengebühren vor - wenn auch vorerst nur für Zweitstudiengänge, für die dann 800 bis 1 000 Mark pro Semester gezahlt werden sollen. Außerdem will die CSU-Staatsregierung Unternehmern mittels sogenannter Hochschulräte einen direkten Zugriff auf die Unis verschaffen. In diesen neu einzurichtenden Gremien sollen "Experten" aus Wirtschaft und Industrie den Ton angeben. Kultusminister Hans Zehetmair wollte die Räte ursprünglich auf eine Beraterfunktion beschränken, Ministerpräsident Edmund Stoiber machte diesen Punkt jedoch zur Chefsache und setzte weitreichende Kompetenzen für die Hochschulräte durch: Vergleichbar mit Aufsichtsräten in der Wirtschaft, entscheiden sie darüber, welches Profil die Universität langfristig entwickeln soll. Sie müssen zustimmen, wenn es um die Einrichtung und Auflösung von Fakultäten oder Fachbereichen, Instituten oder Studiengängen geht.

Mit einer "Experimentierklausel" will die Staatsregierung den Hochschulen außerdem die Möglichkeit geben, noch weitergehende Organisationsmodelle zu erproben. Wie das Kabinett ausdrücklich betont, sollen sich Bayerns Hochschulen dabei vor allem am Beispiel der Technischen Universität München unter ihrem Präsidenten, dem Stoiber-Spezl Wolfgang Herrmann orientieren, der nicht nur mit dem derzeitigen Bau des Forschungsreaktors München II in Garching seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Konzernen bewiesen hat.

Herrmann zeigte sich dann auch äußerst erfreut über den Gesetzentwurf der Staatsregierung und forderte noch weitere Maßnahmen: "Jetzt müssen wir über den Hochschulzugang, die Frage der künftigen Finanzierung von Studium und Hochschule sowie über eine erforderliche Schulreform sprechen."

Auch das Gesetzesvorhaben der Regierung stößt bei der LMU auf heftigen Widerspruch. "Die Universität München sieht sich mit einer Gesetzesänderung, die es krachen läßt, bei der Lösung ihrer drängenden Problem im Stich gelassen", kritisiert der Rektor der LMU, Andreas Heldrich. Einige Punkte der Reform, vor allem die immensen Kompetenzen der Hochschulräte, gefährdeten massiv die Freiheit von Forschung und Lehre. "Das werden wir verfassungsgerichtlich nachprüfen lassen", so der Rektor. Auch die Abschaffung der Versammlung als größtem Kollegialorgan der Hochschulen geht dem Uni-Chef entschieden zu weit: "Das gefährdet unsere universitätsinterne Demokratie." Solche Worte aus dem Mund eines jener Uni-Rektoren, die ja normalerweise nicht zu den Verfechtern universitätsinterner Mitbestimmung zählen, verdeutlichen die Tragweite der bayerischen Reform. So kommt es in München gar zum seltenen Schulterschluß zwischen Allgemeinem Studierenden-Ausschuß und Uni-Leitung. "Wir wollen uns mit Heldrich solidarisieren", erklärte der Asta-Vorsitzende Michael Sailer und schlug eine gemeinsame Erklärung des Rektors und aller hochschulpolitischen Gruppen zur Reform vor. Beim Thema Hochschulstreik sind die Gemeinsamkeiten allerdings wieder vorbei. Demonstrationen würden wenig nützen, glaubt Heldrich. Die Studierenden sollten die überfüllten Hörsäle angesichts leerer Kassen lieber akzeptieren, so Heldrichs Position. "Dafür halten wir die Universitäten auch weiterhin offen."