Count-Down für Netanjahu

Israels oppositionelle Arbeitspartei bereitet sich auf vorgezogene Neuwahlen vor, und in der Regierungskoalition wird eifrig an Netanjahus Stuhl gesägt

"Netanjahu: Das Ende". Derart programmatisch überschrieb die liberale israelische Tageszeitung Ha'aretz letzte Woche einen Kommentar zum Zustand der Regierung. Schaut man sich an, von welchen politischen Kräften der israelische Ministerpräsident unter Beschuß genommen wird, kann man sich nur wundern, daß er immer noch regiert.

Die Arbeitspartei hat durch ihren Vorsitzenden Ehud Barak mitteilen lassen, daß ihr mehr am Sturz Netanjahus denn einer großen Koalition gelegen ist; außerdem habe jetzt der Wahlkampf begonnen, denn er, Barak, gehe davon aus, daß noch im Jahr 1998 ein neues Parlament, die Knesset, gewählt werde - obwohl offiziell erst im Jahr 2000 Wahlen sind.

Sogar die Mehrheit der Minister von Netanjahus eigener Partei, dem Likud, hat sich gegen ihn ausgesprochen. Die Rebellen in Kabinett und Fraktion sind bekannte und einflußreiche Leute, u.a. Verteidigungsminister Yitzhak Mordechai, Tel Avivs Bürgermeister Roni Milo, der frühere Finanzminister Dan Meridor, Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert, die Knesset-Abgeordneten Benny Begin, Uzi Landau und David Re'em, der Kommunikationsminister Limor Livnat und der als Rechtsaußen bekannte Minister für Infrastruktur, Ariel Sharon. Sie und ihre Anhänger bilden die Mehrheit der Likud-Fraktion. Sie drohen offen mit dem Auszug der Mehrheit aus der gemeinsamen Fraktion. "Die zehn verbleibenden Knesset-Abgeordneten inklusive Netanjahu", schreibt Ha'aretz nicht ohne Genugtuung, "würden zurückbleiben: ohne Namen, ohne eine Identität, ohne ein Zentralkomitee, ohne eine Parteiführung. Wahlen würden angesetzt, und der Likud-Kandidat für das Amt des Premierministers wäre Olmert, Mordechai oder Milo."

Auch international hat Netanjahu viel Kredit verspielt. Bei seiner jüngsten USA-Reise gelang es ihm trotz vielfältiger Bemühungen nicht, einen Termin bei Präsident William Clinton zu erhalten - ein einmaliger Vorgang in der israelischen Außenpolitik. Kaum zurück, beschwerte sich der Premier öffentlich über die vermeintliche Gemeinheit, die sich das Weiße Haus in Washington ihm gegenüber erlaubt habe - doch auch das brachte ihm keine gute Presse.

Mittlerweile reicht es auch zwei kleineren Koalitionspartnern, der Partei des Dritten Weges und der Einwandererpartei Yisrael B'Aliya. Auch die wollen lieber raus aus dem Regierungsbündnis und rein in eine Koalition der Nationalen Einheit, auch wenn sie dadurch vielleicht Ministersessel abgeben müßten.

Und die rechten Parteien, auf die sich Netanjahu dank nicht immer durchsichtiger Koalitionszusagen stützen konnte, riefen für den vergangenen Samstag zu einer Demonstration gegen Netanjahus Zusagen an die US-Regierung, den Siedlungsbau zu stoppen, auf. Zu guter Letzt trennte sich Netanjahu in der letzten Woche von seinem einflußreichen Bürochef David Lieberman, dem er kurz zuvor, nach langjähriger intimer Zusammenarbeit, bescheinigt hatte, er pflege zu ihm ein "sachliches Verhältnis".

Der Rücktritt Liebermans, von dem bislang niemand mit Sicherheit sagen kann, ob er erzwungen oder freiwillig erfolgte, markiert für Benjamin Netanjahu die bislang größte Schwächung seines politischen Lagers. Der 39jährige Lieberman war für Netanjahu in den letzten Wochen immer in die Bresche gesprungen, wenn der Konflikt mit seiner Partei wieder eskalierte. Zuletzt hatte Lieberman für seinen Chef auf dem Likud-Parteitag die Drecksarbeit erledigen müssen, als der durchsetzte, daß die parteiinternen Vorwahlen für die Knesset-Kandidaten zugunsten eines siebenköpfigen Komitees unter Vorsitz Netanjahus abgeschafft wurden. Dieser Akt, der in der israelischen Presse fast einhellig als Abschaffung eines demokratischen Prinzips kritisiert wurde, ging mit 63 Prozent der Stimmen erstaunlich glatt durch, erregte aber den Widerstand von etlichen führenden Likud-Politikern. "Diesmal ging Lieberman zu weit", zitierte die Ha'aretz einen der Dissidenten, "er glaubte, daß die Parteitagsdelegierten ihm die ganze Macht abtreten würden." Ende letzter Woche trat das neu gewählte Gremium wieder zurück. Netanjahus vermeintlicher Sieg auf dem Parteitag war nichts mehr wert.

Alle Zeichen deuten also darauf hin, daß die Regierung Netanjahu das Jah-resende nicht überstehen wird. Auch das in diesen Dingen stets sehr zurückhaltende Boulevardblatt Yediot Ahronot meint, daß der Count-Down begonnen habe. Dabei stellt die Zeitung heraus, daß es weniger Netanjahus Isolationspolitik gegenüber den USA oder andere Elemente einer rechten Politik sind, die ihn derart in die Defensive gebracht haben, sondern vielmehr seine Entscheidungsschwäche. Gegenüber Siedlern verspricht er, daß der Siedlungsbau weitergeht, gegenüber der US-Außenministerin Madeleine Albright versichert er, der Siedlungsbau würde gestoppt usw.

Trotz dieser erkennbar tiefen Krise, in der sich die Netanjahu-Regierung befindet, ist politisch keine Alternative in Sicht. Die linksliberale Ma'ariv hält Netanjahus Probleme weniger für politische als für solche, "die die Persönlichkeit des Premierministers aufzeigen, seine Unwahrheiten, die Tatsache, daß er alles für jedermann verspricht, ohne etwas einzuhalten, und den Trend, daß Netanjahu zu glauben scheint, daß 'eine Lüge die Wahrheit in Verkleidung' ist, wie Lord Byron im 'Don Juan' schrieb".

Und die Ha'aretz fügt ihrer Einschätzung, daß auch der Vorsitzende der Arbeitspartei, Ehud Barak, sich "nicht sehr von Netanjahu unterscheidet und es daher keine attraktive oder überzeugende Alternative" zu Netanjahu bzw. zu seiner Politik gibt, die Information hinzu: "Auch heute, wo nahezu jeder die Nase von Netanjahu voll hat, geben die Meinungsumfragen Barak nur einen kleinen Vorsprung vor dem Premierminister, der ein so enttäuschendes Scheitern aufweist. Wenn die Rechte einen fehlerfreien, talentierten und hartgesottenen Kandidaten präsentiert - und da gibt es etliche solche Persönlichkeiten - gibt es eine gute Chance, daß diese Person, auch von einer solch schlechten Startposition aus, Erfolg haben wird."

Da sich die Arbeitspartei auf vorgezogene Neuwahlen vorbereitet, sieht sich die Likud-Opposition erst recht dazu aufgerufen, den ungeliebten Premier möglichst schnell zu stürzen, um mit einem aus ihrer Sicht glaubwürdigen Kandidaten wieder Boden gut zu machen. Milo jedenfalls rief in einem Interview schon zum Sturz Netanjahus auf.