Einmal Lübeck, Kiel, Bonn und zurück

Noch immer warten Überlebendedes Lübecker Brandanschlags auf ein dauerhaftes Bleiberecht

"Jetzt ist erst einmal Herr Kanther am Zug." Geht es um die Zukunft der Überlebenden des Lübecker Brandanschlages, verweist Veronika Dicke, die Sprecherin des schleswig-holsteinischen Innenministeriums, gern auf ihre Kollegen aus der Bundesregierung. Schon im Januar dieses Jahres haben sich Sozialdemokraten und Bündnisgrüne für ein dauerhaftes Bleiberecht der Flüchtlinge ausgesprochen. Solange es jedoch aus dem Bundesinnenministerium keine Zustimmung zur Gruppenregelung gebe, erklärt Dicke, seien auch ihrer Behörde die Hände gebunden.

Also wartet man in der rot-grünen Landesregierung weiterhin ab und hofft auf ein Zeichen aus Bonn. Dabei hat Bundesminister Kanther bislang keinen Zweifel daran gelassen, daß er einer solchen Regelung nicht zustimmen wird. Bereits im Oktober letzten Jahres brachte der Unionspolitiker in einem Brief an seinen Kieler Amtskollegen, den SPD-Politiker Ekkehard Wienholtz, seine "Bedenken" unmißverständlich zum Ausdruck. Im Sommer 1997 folgte der nächste Hinweis: Ein Mitarbeiter aus dem Hause Kanther berichtete dem Focus, man sehe "keine juristische Voraussetzung für eine Gruppenlösung". Auch ein Gesprächsversuch der grünen Bundestagsabgeordneten Angelika Beer scheiterte. Am vergangenen Donnerstag schließlich wußten die Lübecker Nachrichten zu berichten, daß eine Gruppenlösung für die Flüchtlinge in Bonn "kein Thema" sei.

Die Betroffenen selbst machen sich schon lange keine Illusionen mehr über Kanthers Entscheidung: "Er will uns nicht helfen." Fast zwei Jahre ist es jetzt her, seit sie am 18. Januar 1996 nur knapp den Flammen des brennenden Gebäudes entkommen konnten und miterleben mußten, wie zehn ihrer Freunde, Freundinnen und Angehörigen starben. Dennoch ist der Aufenthalt für 24 der damals überlebenden 38 Bewohner und Bewohnerinnen der Hafenstraße 52 bis heute ungesichert. Wie bereits vor dem Brandanschlag leben sie als abgelehnte Asylsuchende immer noch unter dem Status der Duldung. Letzte Woche haben sie sich deshalb wieder zu Wort gemeldet. "Das politische Spiel zwischen Landesregierung und Bundesinnenminister Kanther muß aufhören. Es dient nur der Gewinnung von Zeit und der weiteren Verzögerung einer Entscheidung", schreiben sie in einer Stellungnahme an den Lübecker "Runden Tisch", einem Gremium von Parteien, Kirchen, Flüchtlingsinitiativen und auch dem Bürgermeister Michael Bouteiller. Eine von Kanther akzeptierte Gruppenlösung halten die Überlebenden für "unrealistisch" und fordern deshalb von der Landesregierung, "ihr Einverständnis für eine Einzelfallregelung für uns alle" zu geben.

Auf eine dauerhafte Lösung drängt auch das Bündnis gegen Rassismus. Zwar sei, so deren Sprecher Christoph Kleine, in nächster Zeit nicht mit Abschiebungen zu rechnen. "Aber was ist in einem oder zwei Jahren, wer wird dann noch wahrnehmen, daß jemand von den Opfern abgeschoben wird?" Auch Holger Walter, die rechte Hand des Stadtvorstehers Bouteiller, hält die "unsichere Situation" für "unbefriedigend". Doch wie die Kieler Ministeriumssprecherin Dicke verweist er auf Bonn: "Einen rechtlich sicheren Status kann es nur über die Gruppenlösung geben." Die entsprechende Regelung nach Paragraph 32 des Ausländergesetzes sieht vor, daß mit Einvernehmen des Bundesinnenministers "aus humanitären Gründen (Ö) bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltsbefugnis" erteilt werden kann.

Kanther lehnt die Option allein deshalb ab, weil sie möglicherweise "Präzedenzwirkung" haben könnte. "Eine zynische Argumentation", kontert der grüne Landtagsabgeordnete Matthias Böttcher. "Damit bringt Kanther zum Ausdruck, es könnte ausländische Menschen geben, die - auch auf die Gefahr hin, daß engste Familienangehörige in einem Brand umkommen - ihre Notbehausung hier in Deutschland anzünden, nur um in den Genuß des Bleiberechts zu kommen." Auch für ihn ist allerdings der Handlungsspielraum klar eingegrenzt: "Wir können nicht sagen, das Bundesgesetz interessiert uns nicht." Letztlich müsse das Asylrecht geändert werden, erklärt der Grünen-Politiker mit der vagen Hoffnung auf die Möglichkeiten in einer rot-grünen Bundesregierung.

Im sozialdemokratisch regierten Lübecker Bürgermeisteramt setzt man nicht ausschließlich auf eine Läuterung Kanthers und das bundesdeutsche Asylgesetz. Zumindest bleibt die Ausländerbehörde der Hansestadt dabei, in einer Art stillen Übereinkunft mit der Kieler Regierung Duldungen auszusprechen, obwohl diese durch kein Gesetz gedeckt sind. Waren die Duldungsverfügungen bis zum Ende des Prozesses gegen den ehemaligen Hausbewohner Safwan Eid noch damit begründet, daß die Flüchtlinge als Zeugen gebraucht wurden, so sind sie jetzt nicht mehr juristisch legitimiert. Schließlich liegen ausländerrechtlich keine für Duldungen notwendige Ausweisungshindernisse mehr vor.

Dennoch kündigte Bouteiller eine Verlängerung bis Jahresende 1998 für den Fall an, daß aus Kanthers Ministerium kein positiver Bescheid für einen gesicherten Aufenthalt kommt. Wie der Grüne Matthias Böttcher tröstet man sich auch im Lübecker Bürgermeisteramt mit der Hoffnung auf einen Farbenwechsel im Bonner Innenministerium nach den Bundestagswahlen 1998. Amtssprecher Holger Walter: "Nicht der politische Wille fehlt, sondern das Gesetz muß wieder geändert werden."

Ein Schritt in eine andere Richtung wäre natürlich immer noch möglich. Schließlich könnte Bouteiller als Dienstherr der örtlichen Ausländerbehörde den Flüchtlingen als Einzelfällen eine Aufenthaltsbefugnis ausstellen. Dann aber werde das gleiche passieren "wie damals mit den Pässen", reagiert Walter. "Damals", kurz nach dem Brandanschlag, hatte Bouteiller widerrechtlich zwei Überlebenden aus der Hafenstraße 52 Ausweispapiere besorgt, damit sie ihre toten Angehörigen in die Heimat begleiten konnten. Wenig später kam eine Weisung vom Innenminister Wienholtz, inklusive Disziplinarmaßnahmen und Geldstrafe. Damit müßte Bouteiller wohl auch jetzt wieder rechnen. Schließlich seien die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen der Unterkunft als Einzelfälle schon lange abgelehnt worden, sagt Bouteillers Sprecher Walter. Über eine neue Einzelfallregelung könne nur das Land befinden.

Also wieder zurück nach Kiel. "Nein", meint dort die entnervte Sprecherin des Innenministeriums, Veronika Dicke, "eine individuelle Lösung ist rechtlich nicht möglich". Dort wartet man derweil weiterhin auf eine Antwort von Herrn Kanther aus Bonn. Immerhin hat er wieder ein Zeichen gegeben. Auf Einladung der schleswig-holsteinischen Landeschefin Heide Simonis sollte er am 9. Januar an der Übergabe von Unterschriftenlisten für das Bleiberecht der Überlebenden des Brandanschlags im Lübecker Rathaus teilnehmen - was der Bundesinnenminister aber ablehnte.