04.12.1997
Angela Marquardt

»Kniefall vor den WählerInnen«

Die Bundessprecherin der AG Junge GenossInnen spricht in Jungle World über das Wahlkampfthema Innere Sicherheit und die PDS. Die 26jährige ehemalige Hausbesetzerin mit den bunten Haaren war von 1991 bis 1997 Mitglied des Parteivorstands der PDS und zwei Jahre lang stellvertretende Parteivorsitzende. Auf dem Parteitag im Januar 1997 kandidierte sie nicht noch einmal für den Bundesvorstand. Zur Zeit arbeitet sie an einem Buch über Politik, neue Medien und Parteien. Ob sie, wie von Gregor Gysi und Lothar Bisky gewünscht, für den Bundestag kandidieren wird, hat sie noch nicht entschieden.

Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf wird die Innere Sicherheit ein zentrales Thema sein. Auch bei der PDS wird dieser Punkt derzeit diskutiert. Das Neue Deutschland titelte neulich: "PDS schärft ihr Sicherheitsprofil". Ist die PDS auf dem Weg nach New York?

Diese Diskussion ist ja nicht neu. Gerade weil die PDS weiß, daß die sogenannte Innere Sicherheit ein zentrales Wahlkampfthema sein wird, will sie nicht hinten anstehen. Manchmal habe ich den Eindruck, die PDS ist der CDU sogar gelegentlich voraus, was etwa die Übernahme des New Yorker Polizei-Modells angeht. Da wird in meiner Partei immer wieder eine größere Polizeipräsenz im Kiez gefordert - das nennt man dann "mehr Bürgernähe".

Als ich letztes Jahr in den USA war, habe ich erlebt, was das konkret heißt: Da stand ein Polizist in voller Montur, mit Uniform und Waffe, im Unterricht vor einer 5. Klasse und hielt den Kids einen Vortrag über Drogen.

Für die meisten PDS-Mitglieder ist das vermutlich gar keine so schreckliche Vorstellung.

Das befürchte ich auch. Nach den mir bekannten Papieren, die derzeit in der PDS kursieren, ist der Ansatz immer noch weit verbreitet, gesellschaftliche Probleme über den Staat und unter Mitwirkung der Polizei lösen zu wollen. Da wird dann beispielsweise von einer Landtagsfraktion formuliert: "Polizeibeamte vor Ort üben einen der wichtigsten und schwierigsten Berufe aus, den es in dieser Gesellschaft gibt."

Was ist das für ein Gesellschaftsbild, in dem der Polizeiberuf als einer der wichtigsten dargestellt wird? Gerade in dieser Gesellschaft wird doch die Polizei zur Durchsetzung staatlicher Repressionen gebraucht.

In der PDS Mecklenburg-Vorpommern wird auch über "vorbeugende Bürgermitwirkung in den Wohngebieten, ohne daß eine Hilfspolizei entsteht", gesprochen.

Da bin ich ja mal gespannt, wer zu diesen Diensten anrücken wird. Die PDS will doch nicht ernsthaft die Forderung nach einem Volk von Kontrolleuren aufstellen. Denn das würde es in der Konsequenz ja wohl bedeuten. Das hatten wir schon mal.

In einem Diskussionspapier der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag geht man sogar soweit, daß man sich durch den "ständigen Kontakt" der Polizei zu "Anwohnern und zu Personal von Geschäften, städtischen und privaten Einrichtungen", Informationen verspricht, die die Polizei in die Lage versetzt, "entsprechend notwendige Maßnahmen veranlassen zu können".

Ebenfalls aus Mecklenburg-Vorpommern kam der Vorschlag, die Polizei solle "eine eigene Präventionsarbeit" entwickeln.

Wahrscheinlich wie dieser schon erwähnte US-Polizist! Nein, im Ernst: Solange die Polizei eine Verfolgungsinstanz ist, kann sie kein Vertrauenspartner in Konfliktbereichen sein. Nicht umsonst arbeiten in der Prävention Sozialarbeiter und Streetworker, deren Vertrauensbasis die Verschwiegenheit gerade auch gegenüber der Polizei ist.

Natürlich reicht Jugendarbeit nicht aus, aber anstatt damit die Polizei zu beauftragen, sollte man lieber konsequent gegen die Kürzungenim sozialen Bereich kämpfen. Da ist mir dieHerangehensweise der PDS in Sachsen-Anhalt schon lieber. Dort wird von "selbstbestimmter Jugendpolitik" gesprochen, die als "soziale und kulturelle Herausforderung" verstanden wird. Das verbindet man in Sachsen-Anhalt mit der Forderung nach "staatsfernen Konfliktlösungsmechanismen".

Auch wenn es in Magdeburg vielleicht nicht ganz so gruselig ist, bleibt doch insgesamt der Eindruck, daß es schwer fällt, die PDS-Sicherheitspolitik von der anderer Parteien zu unterscheiden. Schließlich sorgt sich auch die PDS hauptsächlich um das "Sicherheitsgefühl" der Bürger.

Es wird zum Beispiel schon eine größere Kontrolle und Abrüstung der Polizei gefordert, eine Entkriminalisierung von Bagatelldelikten und die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Mein Problem fängt bei dem Widerspruch an, wo einerseits die "Entpolizeilichung der Gesellschaft" und andererseits der "flächendeckende Einsatz von Kontaktbereichsbeamten" gefordert wird. In dem Herangehen, durch mehr Polizeipräsenz im Kiez dem Bürger ein größeres Sicherheitsgefühl zu vermitteln, sehe ich keinen Unterschied mehr zu Forderungen von CDU und SPD.

Dabei ist ja nicht die Kriminalitätsentwicklung das Problem, sondern die bewußt geschürte Angst vor AusländerInnen, verrohten Jugendlichen und Mafia. In dem Bereich müßte es für die PDS um Aufklärung gehen. Das ist den PDS-Fraktionen zwar bewußt, dennoch bieten sie zum Teil ähnliche Lösungsvorschläge wie CDU und SPD an und gehen auf deren Argumente ein - eben der Kniefall vor den WählerInnen.

Da wird ja derzeit viel auf die Knie gefallen bei der PDS, oder?

Wie kann man denn ein Wahlprogramm schreiben, in dem das Wort Opposition nicht vorkommt, und antifaschistischer Widerstand keine Rolle spielt? Wo früher von Opposition und Widerstand in den Wahlprogrammen der PDS die Rede war, steht heute: "Politische Veränderungen beginnen mit der Veränderung der Regierungsmacht."

Als ich diesen Satz aus dem Entwurf für das Bundeswahlprogramm gelesen habe, war ich entsetzt. Ein klassischer Politikansatz von oben. Außerdem wird da ja erklärt, daß eine rot-grüne Regierung eine neue Politik bedeuten würde. Da steuert man sich als PDS selbst ins Aus.

Das obrigkeitsstaatliche Denken der PDS zeigt sich also nicht nur beim Thema Innere Sicherheit?

Leider nicht. Es ist ja kein Geheimnis, daß an der Basis viele der PDS-Forderungen, wie etwa die Legalisierung von Drogen oder "offene Grenzen", überhaupt nicht verstanden, das heißt abgelehnt werden.

Trotzdem gibt es Gerüchte, die besagen, du würdest für die PDS wieder in den Ring steigen, ja, du habest sogar Bundestagsambitionen.

Auch wenn ich nicht mehr als stellvertretende Parteivorsitzende kandidiert habe, habe ich nie den Ring verlassen. Ich bin eine von sechs BundessprecherInnen der AG Junge GenossInnen und habe meinen Mitgliedsausweis immer im Portemonnaie.

Echt?

Ja, ich verliere sowas sonst immer. Ich bin gefragt worden, ob ich für den Bundestag kandidieren würde, habe aber noch keine Entscheidung getroffen. Auf Grundlage dieses Wahlprogamms würde ich jedenfalls keinen Wahlkampf machen. Vielleicht sollte ich mich für die Offene Liste bewerben - so als bunte Truppe eben.