Hans-Christian Ströbele,Verteidiger im La-Belle-Verfahren

Ungekrönter Kronzeuge

Sie haben in den achtziger Jahren im ersten Ermittlungsverfahren um das Attentat auf die Diskothek La Belle Ahmad Hasi verteidigt, der bereits wegen des Anschlags auf die Deutsch-Arabische Gesellschaft Berlin am 29. März 1986 zu einer 14jährigen Haftstrafe verurteilt war. Heute verteidigen Sie im zweiten Prozeß wegen des Anschlags auf die Diskothek den Angeklagten Yassir Chraidi. Hat sich seitdem etwas geändert im Umgang der offiziellen Politik mit dem Fall?

Natürlich gibt es jetzt eine gründlich veränderte Situation, weil 1990 aus den Akten der Stasi mehrere dicke Bände mit Berichten und Beurteilungen zunächst an die westlichen Geheimdienste und dann an die Staatsanwaltschaft gelangten.

Wie brauchbar sind diese Akten im Gerichtsverfahren?

Der Bundesgerichtshof hat in einem anderen Verfahren zu Recht festgestellt, daß diese Akten wie alle Geheimdienstunterlagen mit großer Vorsicht zu genießen sind. Eine ganze Reihe von Informanten der Stasi, die vom Ministerium für Staatssicherheit als zuverlässig beurteilt worden waren, lieferten Berichte, von denen sich später herausstellte, daß das, was da berichtet wurde, nicht stimmen konnte. Diese Agenten standen unter großem Erfolgsdruck, wurden zum Teil auch danach bezahlt, wie wertvoll die Informationen waren, die sie lieferten. Und immer, wenn die klamm waren, mußten sie sich natürlich etwas einfallen lassen.

Wie bereits in dem Verfahren gegen Hasi wurden nun wieder die beiden Funksprüche als Hauptindiz genannt, die das libysche Volksbüro in Ostberlin angeblich vor und nach der Tat empfangen oder an Tripolis gesandt haben soll. Wie schätzen Sie deren Beweiskraft ein?

Ich habe schon in dem Verfahren gegen Hasi immer diese Funksprüche gesucht. Das Ergebnis war: Weder bei der Staatsanwaltschaft noch sonstwo gab es irgendwelche Funksprüche, die gab es nur in Zeitungsberichten und in den Verlautbarungen US-amerikanischer, nachher auch deutscher Regierungsstellen. Ich bin deshalb jahrelang davon ausgegangen, daß so etwas gar nicht existiert. Erst jetzt wurden von einem bundesdeutschen Geheimdienst Texte zu den Akten gereicht, von denen ich nicht feststellen kann, wo die herkommen. Doch auch das, was da drin steht, unterscheidet sich von den ursprünglichen Berichten über angebliche Funksprüche.

Wenn diese beiden Funksprüche abgehört wurden, dann liegt es nahe, daß auch andere mitgehört wurden. Was halten Sie von der These, US-amerikanische Geheimdienste hätten von den Vorbereitungen gewußt, ließen sie aber zu, weil sie einen Anlaß für einen Schlag gegen Libyen brauchten?

Auch zu der Frage, ob die Amerikaner vorher informiert waren, gibt es in den Stasi-Akten Hinweise und Vermutungen. Das wird aufzuklären sein. Ob man das allerdings aufklären kann, dahinter steht ein großes Fragezeichen, denn wir haben zwar die Akten der Stasi, aber uns fehlen diejenigen der Geheimdienste, die sicherlich ähnlich viel Material haben: Also der westlichen Dienste, der Amerikaner, aber auch der Deutschen. Das Problem ist, daß es zwar ein Gesetz über die Stasi-Akten gibt, aber leider kein Gesetz für die Unterlagen anderer Geheimdienste.

Auch der Westberliner Verfassungsschutz soll seinerzeit einen V-Mann im Umfeld des Ostberliner Volksbüros plaziert haben. Was wußte der VS?

Ob das so war, das weiß ich auch nicht. Es gibt immer wieder Gerüchte, daß einzelne Leute, die für die Stasi gearbeitet haben, auf mehreren Schultern getragen haben, aber verifizieren kann man das nur sehr schwer.

Eine der obskursten Gestalten im Prozeß ist der Libyer Musbah Abulgasem Eter: Erst wird er unter Polizeischutz gestellt, weil er angeblich vom libyschen Geheimdienst bedroht gewesen sein soll, dann wird er in Rom beim Verlassen der libyschen Botschaft verhaftet, und jetzt spielt er im Prozeß eine Rolle, die Sie veranlaßt hat, die Unbefangenheit des Gerichts in Frage zu stellen.

Ich kann nur sagen, es gibt zu erheblichen Zweifeln Anlaß, wenn eine Person, die behauptet, der libysche Staat stecke hinter dem Anschlag, ausgerechnet auf das Gelände einer libyschen Botschaft flieht. Was dahinter stecken könnte, das sind Spekulationen. Wir hoffen, hier im Verfahren mehr herauszubekommen.

Gegenüber Ihrem Mandanten Yassir Chraidi ist Eter privilegiert. Sehen Sie eine Chance, diese Privilegierung zu durchbrechen, nachdem nun Ihr Befangenheitsantrag abgelehnt wurde?

Mein Mandant ist mittlerweile seit fast fünf Jahren in Haft - zunächst im Libanon, nun in der Bundesrepublik -, während alle anderen Angeklagten erst in diesem oder im vergangenen Jahr verhaftet wurden. Mit der besonderen Behandlung des Mitangeklagten Eter habe ich meinen Befangenheitsantrag begründet: Sie begründet die Besorgnis, daß hier eine Kronzeugen-Regelung außerhalb des Gesetzes praktiziert werden soll, daß also Aussagebereitschaft durch Nichtinhaftierung belohnt wird und durch einen Strafvorwurf, der auch eine geringere Freiheitsstrafe als Lebenslänglich zuläßt.