Goldhandel und Goldhagen

Götz Aly hat recht. In einem bemerkenswerten Kommentar in der Berliner Zeitung vom 4. Dezember kommentierte er das Geschehen während der Londoner Raubgold-Konferenz wie folgt: "In London steht die neutrale Schweiz am Pranger, Deutschland sonnt sich im milden Licht neutralen Sachverstands - eine seltsame Verkehrung von Ursache und Wirkung. (...) Nur ein Bruchteil der Beute wurde in die Schweiz transferiert, mal deponiert, mal zur Bezahlung des schier unersättlichen Rüstungsbedarfs verwandt. Der Opportunismus des Geldes, der Opportunismus der Schweiz lassen sich kritisieren (...) - aber in Deutschland besteht kein Anlaß zur Selbstgerechtigkeit. (...) Vom ersten Tag an war die deutsche Judenpolitik auf Raub angelegt - und das machte sie populär. (...) Es war die Stunde der Schnäppchenjäger an der großdeutschen Resterampe. (...) Die Schweiz hat dabei auf moralisch verwerfliche Weise profitiert (...). Im Inneren Deutschlands aber festigte das gemeinsam Geraubte den Dünkel und Zusammenhalt der Volksgemeinschaft."

Was in dem Kommentar von Götz Aly allerdings fehlt, ist die Erkenntnis, daß die Deutschen Juden auch dann ermordet hätten, wenn es dafür nichts gegeben hätte. Keine Kunstgegenstände für die Privatgalerien zwischen Frankfurt und Leipzig, keine arisierten Geschäfte für Kaufleute in jeder beliebigen Kleinstadt, keine geräumten Wohnungen fürs Wiener oder Kölner Proletariat, keine in Auschwitz und anderswo geraubte Kleidung für die NS-Volkswohlfahrt und das Winterhilfswerk. Auch keine niedrigen Rentenversicherungsbeiträge für alle (Deutschen), die seit 1941 durch die Übertragung von Beitragszahlungen Deportierter der Volksgemeinschaft deutscher Sozialversicherter zustande kamen.

Denn hier hat Daniel Goldhagen recht: "Nicht wirtschaftliche Not, nicht die Zwangsmittel eines totalitären Staates, nicht sozialpsychologisch wirksamer Druck (...), sondern die Vorstellungen, die in Deutschland seit Jahrzehnten über Juden vorherrschten, brachten ganz normale Deutsche dazu, (...) jüdische Männer, Frauen und Kinder zu Tausenden systematisch und ohne Erbarmen zu töten." Daß man sie vorher noch ausrauben durfte, daß man durch die Arisierungsgewinne weniger Steuern zahlen mußte, war für sie ein angenehmer Nebeneffekt, aber keine notwendige Bedingung ihres Antisemitismus.

Der auf Raub und Mord basierende Goldhandel der Deutschen und Goldhagens Analyse der deutschen Täter bringen zusammen, was zusammengehört: die materielle mit der ideologischen Ebene, den Hehler mit dem Herrenrassisten, den Anstreicher mit seinen Antisemiten. Jene Volksgemeinschaft, die bislang noch auf keiner internationalen Konferenz in ihrer Gesamtheit angegriffen wurde.

Daß auf der Londoner Folgekonferenz im kommenden Frühsommer in Washington über von Deutschen geraubte Güter aller Art - Schmuck, Immobilien, Wertpapiere, Kunstgegenstände, Versicherungen - geforscht und diskutiert werden soll, reicht zwar nicht aus, läßt aber zumindest hoffen. Denn nicht mehr die Schweizer Banken werden dann im Mittelpunkt des Interesses stehen, sondern die zahlreichen deutschen Arisierer, ihre Praktiken, Methoden und Verbindungen. Nicht mehr in den Tresoren und Archiven in Basel und Zürich werden Hinweise zu finden sein, sondern in den "Privatschatullen zwischen Rostock und Wien" (G. Aly).