Gruselige Atmosphäre

Im Bördekreis kandidiert ein Ex-Stasi-Major für die PDS, und das bringt die Partei durcheinander
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Von einer "Geisterstunde" sprach der junge PDS-Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner, als er von einem Treffen mit der Parteibasis im Kreis Börde zurückkam. Zwei Welten seien dort aufeinander geprallt; eine "finstere Veranstaltung" sei das gewesen. "Ich habe dort eine Partei kennengelernt, in der ich nicht Mitglied bin." Doch da täuscht sich Gärtner. Es handelt sich um dieselbe Partei, um jene PDS, für die er seit 1994 im Landtag von Sachsen-Anhalt sitzt.

Gemeinsam mit der Landesvorsitzenden Rosemarie Hein, ihrem Stellvertreter Frank Baier und der aus dem Bördekreis stammenden Landtagsabgeordneten Sabine Dirlich war Gärtner nach Oschersleben an der früheren deutsch-deutschen Grenze gefahren, um die dortigen GenossInnen zu drängen, die Kür ihres Direktkandidaten für die Landtagswahl im April 1998 noch einmal zu überdenken. Am 22. November hatte der Kreisverband den 60jährigen Dieter Kollwig aus Wefensleben als Direktkandidaten nominiert und das, obwohl - oder vielleicht auch weil - er sich als ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit vorgestellt hatte.

Zwar kann man es als IM oder Stasi-Mitarbeiter bei der PDS weit bringen, auch dem Bundeswahlkampfleiter André Brie und dem Bundestagsabgeordneten Rolf Kutzmutz etwa haben ihre IM-Tätigkeiten in der Partei nicht geschadet. Doch es gibt eindeutige Parteibeschlüsse, die zumindest einen selbstkritischen Umgang mit der MfS-Vergangenheit verlangen. Davon kann bei Dieter Kollwig allerdings nicht die Rede sein. "Bei mir hat sich keiner gemeldet, dem ich persönliches Leid zugefügt habe", weshalb er "kein dunkles Gefühl" habe, wenn er an seine Stasi-Zeit denke. Das war alles, was Kollwig zu seiner Tätigkeit in Mielkes Spitzelregime zu sagen hatte.

Der MfS-Major war 29 Jahre in der "Terrorabwehr" tätig. Über genauere Tätigkeiten schweigt er sich aus. In der Wendezeit wurde er zu den Grenztruppen nach Marienborn versetzt und hat dort nach eigenen Angaben die Grenzanlagen mit abgebaut. Heute ist der ehemalige Major Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt und sitzt - selbst parteilos - für die PDS im Gemeinderat.

Und wie sieht Kollwigs Wohnzimmer im grauen Plattenbau aus? Das spielt keine Rolle? Sicher nicht, aber der Bild-Zeitung öffnete er bereitwillig die Tür: "Graue Tapete, braune DDR-Schrankwand mit Globus und Trockenblumen. Keine Bilder, keine Bücher." Ein trostloses Loch also, so wie sich die Bild-LeserInnen eine Stasi-Wohnung vorstellen. Doch Berührungsängste mit der bürgerlichen Presse kennt Kollwig anscheinend nicht und läßt die junge Dame von der Bild auf seiner Sitzgarnitur Platz nehmen. Ihr erzählt er auch, warum er sich gegen alle Widerstände - auch in der PDS - für die Kandidatur entschieden habe: "Es ist an der Zeit, daß meine Ex-Kollegen einen Interessenvertreter im Parlament bekommen. Uns hat man die Rente eingekürzt. Dabei haben wir das volle Geld in die Rentenkasse gezahlt, wie alle Leute."

Im Kreis Börde findet man das völlig in Ordnung. "Er genießt im Gemeinderat Vertrauen, warum soll sich Kollwig da nicht zur Wahl stellen?" meint die Kreisvorsitzende Gudrun Tiedke. Auch nachdem die Parteispitze um Rosemarie Hein am Dienstag in Oschersleben war, um die Kandidatur Kollwigs noch zu verhindern, steht der Kreisvorstand hinter seinem Ex-Stasi-Major. Für Landesschatzmeister Matthias Hertel ist das allerdings nicht verwunderlich: "Ich vermute fast, daß bei der Wahlversammlung seine halbe frühere Einheit dabei war. Das war 40 Jahre eine verschworene Gemeinschaft, 40 Jahre haben die auf einen Haufen gehockt. Jetzt haben sie sich in ihre Wagenburg zurückgezogen." Der Landtagsabgeordnete Gärtner sagte der Jungle World, ihm sei in Oschersleben eine "gruselige Atmosphäre" begegnet.

Einerseits pflege man dort eine "miefige, konservative, DDR-bezogene Nostalgie" und gebärde sich andererseits radikalkommunistisch. Das sei eine der Kommunistischen Plattform und anderer Nostalgie-Vereine typische Erscheinung. "Mit links, sozialistisch und emanzipativ hat das allerdings nicht zu tun", so Gärtner. Ohne eine kritische Aufarbeitung der DDR-Geschichte sei linke, sozialistische Politik nicht machbar. Landeschefin Hein erklärte, es gebe in der früheren Grenzregion einen besonders hohen Anteil ehemaliger Stasi- und NVA-Offiziere. Eine kritische Diskussion der eigenen Vergangenheit sei im Bördekreis "einfach nicht gelaufen". Bei ihrem Besuch in Oschersleben habe sie eine "Verteidigungshaltung" verspürt, die nicht aufzulösen gewesen sei.

In der Tat geben sich die alten Kader kämpferisch. Kollwig will auf jeden Fall weiter machen. Er lasse sich nicht beschimpfen, und einem Wahlkampf-Boykott der eigenen Partei sieht er gelassen entgegen: "Ich schaff' das auch so", zitiert ihn die Bild-Zeitung. 13 PDS-PolitikerInnen aus der Parteispitze in Magdeburg und aus dem Landtag haben damit gedroht, den Wahlkampf im Bördekreis zu boykottieren, wenn Kollwig nicht auf seine Kandidatur verzichtet. In einer offenen Erklärung bezeichnen die VertreterInnen der PDS-Spitze das Verhalten des ehemaligen MfS-Mitarbeiters als "ignorant, realitätsfern und in dieser Konsequenz menschenverachtend". Kollwig wird vorgeworfen, seine frühere Tätigkeit "unkritisch und verharmlosend" dargestellt zu haben. Wieder einmal versuche ein ehemaliger MfS-Offizier, die PDS "für die Verleugnung von Menschenrechtsverletzungen in der DDR und die Verherrlichung der Tätigkeit des MfS zu nutzen". Im Kreis Börde gibt es zwar auch ein paar FunktionärInnen, die sich gegen die Kandidatur Kollwigs aussprechen. Doch auf sie hört vor Ort niemand.

Vielleicht hört man ja eher auf Wolfgang Hartmann von der Interessenvertretung der ehemaligen MfS-Mitarbeiter, dem Insiderkomitee. Hartmann sagte gegenüber Jungle World, jeder frühere MfS-Mitarbeiter, dem nicht die bürgerlichen Rechte aberkannt wurden, habe das Recht, zu Wahlen anzutreten, das Wählervotum müsse in jedem Fall respektiert werden. Allerdings sei es "unklug, wenn die PDS jemanden aufstellt, der bar jeder Kritik an der eigenen Vergangenheit ist", wie vor zwei Jahren, als ein früherer Stasi-Offizier, Heinz Kittler, auf einem Landesparteitag der PDS Sachsen-Anhalts für ein Parteiamt kandidierte und erklärte: "Ich schäme mich nicht eine Minute meines Lebens für meine Arbeit in diesem Ministerium." Daraufhin hatte es einen heftigen verbalen Schlagabtausch gegeben. In der Folge beschloß die Partei, daß es mit der PDS "kein Zurück in obrigkeitsstaatliche, patriarchalische und antiemanzipative Sozialismusvorstellungen" gebe. Ein Beschluß, den man den Börde-PDSlern einmal zukommen lassen sollte.

Inzwischen haben 23 junge FunktionsträgerInnen und Abgeordnete - darunter die Sprecherin der AG Junge GenossInnen Angela Marquardt und Bundesvorstandsmitglied Halina Wawzyniak, den Bundesvorstand aufgefordert, ein "klares Signal" gegen die Kollwig-Kandidatur ins Bördegebiet zu übermitteln. Der DDR-Sicherheitsapparat sei nicht zu legitimieren und habe "wesentlich zum Scheitern des sozialistischen Versuches beigetragen". Doch an der Parteispitze scheint man keine Ambitionen zu haben, sich in den sachsen-anhaltinischen Konflikt einzumischen. Es gebe dazu durchaus unterschiedliche Ansichten, heißt es aus dem Karl-Liebknecht-Haus.