Kronzeuge verliert Zacken

Musbah Eter, der Hauptbelastungszeuge im La-Belle-Prozeß, wartet mit einer vollkommen neuen Geschichte auf: Die Angeklagten seien nicht die Täter, und Libyen sei nicht der Auftraggeber

Ganz in der Art eines gepflegten Serials verspricht der Berliner La-Belle-Prozeß jede Woche eine neue Geschichte. Am 2. Dezember erzählte der Libyer Musbah Abulgasem Eter die folgende Story: Es habe 1986 mindestens zwei mehr oder weniger unabhängig voneinander operierende Gruppen libyscher Agenten in Europa gegeben: "die Italiener" und "die Berliner". Der Geheimdienst in Tripolis habe beide mit der Durchführung des Attentats auf die Berliner Diskothek beauftragt.

Ende März oder Anfang April sei aber bekanntgeworden, daß Ali Chanaa, einer der "Berliner", der nun ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, mit dem Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit kooperierte.In der Zentrale habe man kalte Füße bekommen und die ganze Sache abgeblasen.

Da kannte Tripolis aber seinen Mann in Berlin schlecht. Auf eigene Faust habe Mohammed Ashur, der am libyschen Volksbüro als "Geheimdienstmann", wie es hieß, arbeitete, die Aktion durchgezogen - mit den "Italienern", weil er den "Berlinern" nicht getraut habe. Dann habe es ein riesiges Kuddelmuddel gegeben: Eine Mitarbeiterin des Volksbüros habe den Sprengstoff über die Sektorengrenze nach Westberlin gebracht. Verena Chanaa - Alis Frau, die nun ebenfalls vor Gericht steht und mithin eine "Berlinerin" - habe zusammen mit ihrer Schwester Andrea Häusler eine Tasche in der Diskothek abgestellt. Die habe jedoch nur Plastilin enthalten. Ihr auf den Fuß gefolgt seien die Italiener, die die Tasche gegen eine echte Höllenmaschine ausgetauscht hätten. Wenige Minuten später: Explosion. O-Ton Eter heute: "Die Gruppe, die die Sache in der Diskothek durchgeführt hat, ist nicht die Gruppe, die hier sitzt." Und er selbst wäre demnach nicht einer der Mittäter, sondern ein Belastungszeuge. Der angebliche Drahtzieher, Mohammed Ashur, kann zu den Vorwürfen leider keine Stellung mehr nehmen. Er wurde in der Nacht des 1. Mai in Ost-Berlin erschossen - angeblich weil er versucht haben soll, Libyen mit Hilfe der CIA zu erpressen.

Die bisherige Anklage, der zufolge Tripolis den Anschlag befohlen habe, beruhte im wesentlichen auf Aussagen, die Eter im Sommer 1996 in der Deutschen Botschaft in Malta gemacht hatte. Daß seine jetzige Aussage von der damaligen so stark abweicht, begründet der Libyer damit, daß im vergangenen Jahr eben falsch übersetzt worden sei.

Eters neue Geschichte enthält freilich eher noch mehr Ungereimtheiten als die bisherige: Libyer sprengt gegen ausdrückliche Order seiner Vorgesetzten US-Amerikaner in die Luft. Anschließend konspiriert er mit dem US-Geheimdienst gegen den Staat, dem zuliebe er soeben einen riskanten Alleingang gewagt hat.

Der neuen Version zufolge wäre Eter selbst praktisch ganz entlastet. Seine Mitangeklagten, die Eter nun ebenfalls entlastet, hatten ihn freilich als Haupttäter bezeichnet. Der Vorsitzende Richter Peter Marhofer erinnerte Geschichtenerzähler Eter daran, daß es nicht dabei bleiben müsse, daß er - lediglich wegen Beihilfe angeklagt - quasi Kronzeugen-Rechte genießt. Wenn er als Mittäter verurteilt werde, könne er kaum mit einer Strafmilderung rechnen.