Kunstvoll holzverkleidet

Bad Homburg.

Die Stadtporträts erscheinen im Februar in dem von Jürgen Roth und Rayk Wieland herausgegebenen Band "Öde Orte. Ausgewählte Stadtkritiken von Aachen bis Zwickau" bei Reclam Leipzig.

Einzeln recken sich kronenschüttere Buchen und fast abgelebte Eichen hinter dem schützenden Zaun des Schloßparkes.

Eine Autobahn führt heran, aus Frankfurt-Eschersheim via Frankfurt-Bonames. Bedächtig steigt das Höhenniveau, etwas heftigere, etwas wuchtigere Bodenwellen künden vom Vordertaunus. Laubwälder fernab. Karstiger Ackerboden. Hinterm Bad Homburger Kreuz (A 661/A 5) niedrige Verwaltungsgebäude, hingestreckt vor eine Reihe dürrer Pappeln. Abfahrt Oberursel/Bad Homburg, vierspurig die Verbindungsstraße durch Wohngebiete ins Zentrum, dort als Ringanlage fortgeführt, um Fernverkehr gen Hinterland fließen zu lassen.

Die Trasse heißt nun Hindenburgring, bald Hessenring. Sie wird geteilt von einem staubigen Mittelstreifen mit kurzgeschorenen Grasplacken und BAB-Leitplanken. Über den gleichförmigen, zu Tageszeiten tosenden Verkehr helfen weitgeschwungene Fußgängerbrücken, die schwach frequentiert sind. Am Abzweig Richtung Saalburg (Römerkastell) und Feldberg/Ts. führt rechterhand die Ritter-von-Marx-Brücke auf den Homburger Siedlungskern, unter der sanierten Stahlbetonkonstruktion verlaufen schiefe Häuserreihen der historischen Altstadt (16. Jahrhundert z.T.). Spekulationen werden angestrengt und angestellt darüber, ob das kleine Viadukt den Geist der Postmoderne zum Sprechen bringe; immerhin füge sein Name Feudalwesen ("Ritter"), Adel ("von") und bürgerliche Industriegesellschaft ("Marx") patchworkartig zusammen. Das Bad Homburger Forum für Philosophie schenkt solchen Reflexionen keine Beachtung.

Zaghaft, keineswegs Machtfülle demonstrierend, erhöht und über struppigen, bald choreographierten Gartenanlagen liegt rechterhand das Schloß, erbaut Ende des 12. Jahrhunderts zunächst als Burg. Ab 1680 begann unter Landgraf Friedrich III. deren Umformung in eine barocke Residenz sowie die Placierung passender Grünbereiche. Erhalten blieb der heute noch als Mißgriff anmutende weiße Burgturm ("Bergfried"), selbst nachdem auf Veranlassung der Landgräfin Ulrike, Gemahlin des Landgrafen Friedrich IV., außen herum eine Neugestaltung stilmäßig englische Landschaftsarchitektur angepeilt und flink, ja zügig durchgesetzt wurde. Summa summarum führten die Landgrafen von Hessen ihr Gartenbaugewurstel ausnehmend störrisch bis zu Friedrich VI. und Frau Elisabeth fort.

Heute heißen häufig Straßen wie ehemals ansässige Herrschaften. Von 1866 bis 1918 war beschriebene Barock-Mittelalter-Neuzeit-Kombination Sommerstätte der preußischen Könige und Kaiser; hier griff die Gartenintendantur Potsdam-Sanssouci ein und machte sich durch außerordentliche Kübelpflanzenvielfalt berühmt. Schloßbesichtiger schätzen dieser Tage gleichwohl mehr die tatsächlich kontinentaleuropaweit ersten Wasserklosetts; neben übrigens jenem silbernen Bein des Prinzen von Homburg, das bei Kleist eine imponierende Rolle spielt.

"Beachten Sie die kunstvolle Holzverkleidung des kaiserlichen WCs; Wilhelm II. hat sie höchselbst gedrechselt." (Jörg von Uthmann: Es steht ein Wirtshaus an der Lahn. Ein Deutschlandführer für Neugierige, Hamburg 1979, p. 166) Vor der Schloßtür, dort, wo die Fürstin Kiesseleff sich samt legendärer Geldvorräte auf einer Schubkarre umherfahren ließ, schießt zartes Knospenwerk von öffentlichem Leben (inkl. Ladenkultur) ins Kraut. Eingemeindungsdrohungen seitens Frankfurt, das Bad Homburg im 19. Jahrhundert zumal als Absteige für Gauner, Kurtisanen und anderweitiges fahrendes Gewerbevolk benutzte, konnten attackiert und abgewendet werden. Seither konspirative RAF-Anmietungen am Hessenring und ein feines Lokal mit schönem Namen "Zum Wasserweibchen" (Am Mühlberg, unterhalb des Schlosses, der Fußgängerzone angenähert). Eine Eisdiele. Und das Hutmuseum, das den "Homburg-Hut" zeigt, einen von König Edward VII. erfundenen Chapeau, den Adenauer mit Begeisterung trug.

Kurstadt wurde Homburg als aktuelle Kreisstadt des Hochtaunuskreises (192 Meter ü.n.N.) wg. seiner eisenhaltigen Natriumchlorid-Säuerlinge und etlicher Schlammanwendungsoptionen gegen Herz- wie Nierendefekte und -abnutzungen. Hölderlin hielt, Bibliothekar, der er war, eher auf den Wein. Drei Häuser, die ihm Unterkunft boten, riß man ab, um Platz zu schaffen für ein spezielles Kurhaus (Neubau Anfang der achtziger Jahre) und die zentrale Bushaltestelle mit ausreichend Rangierfläche für laute Boliden. Justus Liebig entdeckte 1834 eine erste Heil-, später die Elisabethenquelle.

Unterhalb, gegen den sanft abfallenden Hang gelehnt, verläuft, den Kurpark eskortierend, die Kaiser-Friedrich-Promenade, an welcher, der Shopping-Zone den Rücken zugewandt, hellgetünchte Bauten mit eisernen (Jugendstil-?) Balkongittern stehen. In den aus wilden Wiesenflächen, hoch aufschießenden Kastanien, Laub- und Nadelhölzern vielzahliger Herkunft komponierten Park knickt, unweit der Chulalongkorn-Quelle, die Kiesseleffstraße ab. Dort wohnte unter Tausenden von älteren Personen vermeintlich nur gut geschützt A. Herrhausen. Der Donnerschlag erschütterte, fortgepflanzt im weitverzweigten Resonanzröhrenkörper des Kanalisationssystems, drei Viertel der Stadt.

Dichte Automobilstaffelung von Güte im Park, wohin man schleicht, an der "Tennis Bar", am aus Trotz vom Landgrafen gegen ein Verbotsdekret der Nationalversammlung 1848 gegründeten Spielcasino (Dostojewski), vor der Taunus Therme (Erholungsbad), rund um den Europakreisel, der stadtauswärts den Frankfurt- und Gonzenheim-Verkehr leitet und lenkt. Fahrradgeschäfte seltsamst zuhauf. Reiche Häuser, Eichenwaldreste.

Topographische Steigerung am Ortsausgang. Heimstatt obskurer Automechaniker. 1 km weiter (Norden) erschließt sich Friedrichsdorf und greift aus bis Seulberg (obskurer Gitarrenladen) und Burgholzhausen. Der toom markt inmitten des Neubauensembles (Gartenmärkte, Wohnsilos) führt Weilburger Bier, nur Kästen.

1,8 km Wegstrecke, ein beschrankter Bahnübergang gibt den Blick frei auf das sich gewissenhaft den Berganstiegen des Taunus entgegenwälzende Friedrichsdorf-Köppern. Gröbste Niedrigkeit regiert daselbst, die Einrichtung einer Irrenanstalt kam nicht von ungefähr, die Ortsteil-Historie ist eine rigide, nachhaltig verkorkste. Schwere Tristesse und Schwermut lagert bernhardinerschwer auf allem. Hin und zurück führt die Köppener Straße. 1990, als ich 25 km entfernt von den Frankfurter Weltmeisterschaftsfans Brehmes Elfmeter droben im ockerfarbenen Hochhaus Merianweg 32, 6. Stock, nachbarschaftlich zum Gewerbegebiet verfolgte, wogten buschige Ahornbäume und wölbten sich zum grünen Dach über der stark befahrenen Route, an der Bäcker und Zeitungshändler siedeln. Nun, beim Recherchebesuch, Entsetzen ob wüst zusammengehauener Stämme, die als weiße Stangen einzelne Blätter noch herauspressen.

In ein paar links und rechts vorgesehenen Talkuhlen Bürgerhaus plus Hotel + Restaurant, Sporthalle, schindelverkleidete Sechsgeschosser, Verbundsteinpflasterwohnstraßen mit weißen Rauten und Kübeln; Ecke Meisenweg das mattgraue Hinweisschild: "Evangelisches Gemeindezentrum".

Der geduckte Klinkersteinbahnhof beherbergt einen Getränkemarkt (Leikeim, Cola, Fanta usw.). Westernkino-Stimmung. Es herrscht trügerische Stille.

Die "Jugendfeuerwehr der Freiwilligen Feuerwehr Bad Homburg-Stadt" hat den ersten Stock Dietigheimer Str. 6 bezogen. Im Erdgeschoß wartet eine Modelleisenbahn auf Kinder. Die Esche liegt verdorrt, ein junger Hase flieht. Erhebliche Erdbewegungen müssen kürzlich unternommen worden sein. Teile des Bungalows, bewohnt einst vom Vermieterehepaar, zerfallen oder wurden bereits niedergerissen.

"Imbiss Wunder", Saalburgstraße, nahe Bad Homburg-Dornholzhausen; Cheeseburgermirakel; angebratene dicke Zwiebelringe, Krautsalat, gehackte Gurken; kroß das Weißbrötchen; Mayo/Ketchup-Melange, Schmelzkäse feinzerlaufen. Ohne Besteck nicht zu essen.

Passiert den Kälberstücksweg. Tannenzickzack tackert Taunushöhenzug in den melierten Himmel. Jugend-Diskothek am Bahnhof, Einlaß 19 Uhr.

Jürgen Roth lebt als freier Autor in Frankfurt/Main.