»Mit dose kids, society is nix«

Vor hundert Jahren erschienen die "Katzenjammer Kids" zum ersten Mal im New Yorker Journal

Die Geschichte der Comics beginnt mit einem mittelschweren Zeitungskrieg. Ende des 19. Jahrhunderts, Schauplatz: New York. William Hearst und Joseph Pulitzer, damals noch örtliche Pressemogule, streiten um die lustigsten Witzbilder. Beide haben die sonntäglichen Unterhaltungsbeilagen als wichtigen Kaufanreiz für ihre Zeitungen entdeckt, als Lockmittel für ein weithin illiterates, gemischtsprachiges Publikum, zu dem auch viele deutsche Einwanderer gehören. Wiederholt werben sie sich die beliebtesten Illustratoren ab, doch im Kampf um die Publikumsgunst kann sich keiner von beiden dauerhaft durchsetzen.

Anders als Pulitzer aber, will Hearst nicht bloß erfolgreicher Markstratege sein. Er glaubt überdies an seinen kulturellen Auftrag. Seine grellen Karikaturen will er als Fortsetzung europäischer Volkskunst verstanden wissen, in der ehrwürdigen Tradition der Fliegenden Blätter und Bilderbögen. Statt der bei Pulitzer üblichen Einbild-Cartoons fordert er von seinen Zeichnern mehr moralische stories. Nach einer Deutschland-Reise bestellt er bei dem Illustrator Rudolph Dirks eine Bildergeschichte im Stil Wilhelm Buschs; am liebsten wolle er etwas in der Art von "Max und Moritz" sehen.

Rudolph Dirks, wenige Jahre zuvor aus Deutschland eingewandert und noch neu bei Hearst, glänzt durch Übererfüllung. Am 12. Dezember 1897 erscheint im Sunday Journal der erste Teil seiner "Katzenjammer Kids"-Serie: sechsteilige Bilderstreifen, in denen zwei minderjährige Rüpel brutalen Unfug anstellen. Beide tragen Knickerbocker und Holzbotten, einer ist hager, der andere rund. Doch nicht nur in Kleidung und Physiognomien erinnern die Übeltäter an Max und Moritz. Sie sind beim Possenreißen und Blödsinnbauen auch ähnlich erfolglos. Bei einem ihrer ersten Auftritte versuchen sie etwa, einen Esel auf zwei Schaukelpferdkufen zu nageln. Doch das widerborstige Tier trampelt die beiden einfach nieder und flieht.

Dieses Handlungsmuster steht Modell für die meisten Vergehen der "Katzies"; dem Publikum scheint die Kombination aus üblem Scherz und prompter Bestrafung zu gefallen. Die Streiche sind ruppig, aber nicht annähernd so brutal wie die Possen, mit denen Konkurrent Pulitzer zeitgleich die Leser der New York World erfreut. Dort dürfen die Ghettokinder aus der "Hogan's Alley" schon mal einen störenden Hundefänger steinigen und bei lebendigem Leibe verbrennen. Dirks hingegen läßt nicht nur die Opfer der Kids ausnahmslos überleben; durch die Überzeichnung ihrer Streiche ist die Brutalität der beiden entschärft, außerdem wird sie am Ende durch eine Art Moral abgeschwächt. Das Publikum kann sich beim Lachen seines guten Gewissens sicher sein.

Darum gefällt die Serie dem Verleger Hearst wie den Lesern des Journal gleichermaßen. Dirks darf die "Katzenjammer Kids" dauerhaft weiterzeichnen, wobei er sich aber rasch von seiner ursprünglichen Vorlage entfernt. So staucht er die Körper der Knirpse in jene gedrungene Knubbelform, die dann bis in die zwanziger Jahre das Primärmodell für lustige Comic-Helden abgeben wird. Die beiden erhalten eigene Namen, Hans und Fritz, und außerdem eine Familie. Mama, Papa und Großpapa Katzenjammer teilen sich die Opferrolle fortan mit zwei nicht näher definierten Hausfreunden, die "Der Captain" und "Der Inspector" heißen.

Weil Dirks bald eine ganze Seite zur wöchentlichen Verfügung erhält, kann er die Streiche der Kids immer komplizierter gestalten, mit teils eigens ertüftelten Apparaturen werden sie geradezu kunstvoll zelebriert. Doch die augenfälligste Eigenleistung gegenüber den Geschichten von Busch bleibt der erstaunliche Einfallsreichtum, mit dem sich leidende Eltern, "Der Inspector" und "Der Captain" nach jedem Streich ihr Recht auf Rache gestatten. Im Genuß an der Gewaltausübung stehen die Erwachsenen dem mißratenen Nachwuchs kaum nach.

Bald erinnert bloß noch die absonderliche Sprache der Geschichten an ihre europäischen Ahnen: ein derbes Pidgin-Gemisch aus Englisch und Deutsch. "Mit dose kids, society is nix", pflegt der Inspector die Lage für sich zusammenzufassen. Und Hans und Fritz tauschen die nötigen Informationen meist in preußisch-kurzem Stakkato: "Iss it Powder, Hans?" - "No, it iss Dynamite!" Besonders gern operieren sie nämlich mit brennbarem Material.

Durch seinen abwechslungsreichen Einsatz von Bumm-, Knall- und Bruchwörtern entwickelt Dirks das geschriebene Geräusch zur ästhetischen Form. Mehr noch: Richtung und Rhythmus der von den "Katzies" verschuldeten Detonationen strukturieren die großformatigen Comic-Seiten über die einfache Reihung der Szenen hinweg. Mit der Zerstörung der Dinge wird der Blick des Betrachters auf die Bildkompositionen gelenkt; Dirks verschmilzt sein Seiten-Layout zum ästhetischen Ganzen. Dazu paßt, daß er als erster Zeichner populärer Bildergeschichten Bilder und Texte durchgehend ineinander fügt, indem er die Dialoge in Sprechblasen setzt. So befreit er die Dynamik der Erzählung von den Kommentartexten, die seine Kollegen immer noch behelfshalber unter das Bild montieren.

Kurzum, es läßt sich sagen: Die "Katzenjammer Kids" sprechen die spätere Sprache der Comics in kompletter grammatischer Form. Ob sie darum, wie man gelegentlich liest, als erste Comic-Serie gezählt werden dürfen, kann sicher bezweifelt werden. Auch Richard Outcault, dessen "Yellow Kid" erstmals die Massen für die Witzbeilagen begeisterte, nutzt in seinen Karikaturen für den Journal Bild-Text-Kombinationen und Sprechblasen.

Richtig ist jedenfalls, daß sich Dirks als erster Geschichtenerzähler einer systematischen Bildmetaphorik bedient. Wenn Ma Katzenjammer den Bengeln den Hintern versohlt, wird der Riemenschwung in lavierten Strichen sichtbar: diese Geschwindigkeitslinien geraten später ebenso zum wesentlichen Bestandteil der Comic-Grammatik wie die bunten Sternchen, die den Schmerz der bestraften Missetäter symbolisieren.

Wirklich zukunftsweisend sind die frühen Comics von Dirks aber, weil sie die "Ästhetik" der Form dergestalt aus den Symbolen für Schmerz und Zerstörung beziehen. Deformation und Auflösung von Körpern werden zu den bleibenden Bildmotiven zählen, die der Comic zur Kunst des noch jungen Jahrhunderts beisteuert, von den modernistischen Amorphie-Phantasien beim frühen Lyonel Feininger ("We Willie Winkie's World") bis zu den Gewaltexzessen, mit denen Elzie C. Segar den einäugigen Seemann Popeye zum großen Abstraktionskünstler erhebt.

Da aber befinden wir uns bereits in den dreißiger Jahren, und aus den "Katzenjammer Kids" ist unterdessen eine merkwürdig-surrealistische Abenteuerserie geworden, die in einem Phantasie-Afrika spielt; Rudolph Dirks, der 1912 mit seinen Comics vom Hearst- zum Pulitzer-Konzern gewechselt ist, hat längst das Exklusivrecht auf "seine" Geschöpfe verloren. In den hundert Jahren, während deren die "Katzenjammer Kids" inzwischen ihr Unwesen treiben, prägen insgesamt zehn Zeichner den Figuren ihren Stil auf, zum Teil in zwei konkurrierenden Serien zugleich. In der Version von Hy Eisman erscheinen die Streiche der "Katzies" bis auf den heutigen Tag; damit sind die beiden Rüpel aus New York die langlebigsten Witzfiguren seit Menschengedenken.