Noch 198 Tage bis zum Geiselspiel

Die Gruppenauslosung für die Fußball-WM in Frankreich sorgte nur im Iran und in den USA für Aufregung

Er hat es nicht getan, weil selbst ihm klar gewesen sein muß, wie lächerlich es gewesen wäre: Berti Vogts hat sich, allen Voraussagen zum Trotz, nach der WM-Auslosung nicht hingestellt und gejammert, was für eine schwere Gruppe sein Team wieder einmal erwischt hat. Statt dessen erklärte er nur, daß es bei einer solchen Veranstaltung keine leichten Gegner gebe.

Nur die anderen Gruppenangehörigen sahen sehr großen Grund, sich aufzuregen: "Streicht die Tage im Kalender an: Es sind nur noch 198 Tage bis zum Geiselspiel" titelte die Chicago Tribune, Hank Steinbrecher vom US-amerikanischen Fußballverband erklärte: "Das wird die Mutter aller Fußballspiele", sein Kollege Alan Rothenberg fügte hinzu: "Das einzige, was das alles noch besser machen würde, wäre, wenn die Fifa einen irakischen Schiedsrichter aufstellt." Die B.Z. zitierte, wegen der Ausgewogenheit, einen ungenannt bleibend wollenden "Ministeriumssprecher in Teheran", der sagte: "Wir spielen gegen Mykonos, den Großen Satan und die Feinde der Moslems." Mykonos, so erklärte das Blatt, stehe für "den Prozeß in Berlin", der Große Satan sind in der "islamistischen Propagandasprache die USA" und die Feinde der Moslems Jugoslawien, denen "Teheran den Krieg gegen die bosnischen Moslems" verübelt. Dariusz Mostafavi, Präsident des iranischen Fußballverbandes, bemerkte zu der Auslosung lediglich: "Die Welt des Fußballs ist anders als die Welt der Politik. Iran, die USA, Deutschland und Jugoslawien - wir sind alle in der gleichen Familie."

Anderswo war man mit der Auslosung weniger zufrieden, schließlich hatte man nicht die USA, Iran und Jugoslawien in der Gruppe, sondern richtige Fußballnationen. Trotzdem entwickelt man auch dort, ähnlich wie in Deutschland, schon Pläne zum Weltmeisterwerden. Zum Beispiel in Norwegen: Dort war man zunächst darüber, in eine Gruppe mit Brasilien, Schottland und Marokko gelost worden zu sein, nicht so schrecklich glücklich, aber anstatt nun sofort loszuklagen, wie es deutsche Bundestrainer bislang immer getan hatten, wenn sie etwa Süd-Korea, Kolumbien und Jamaika erwischt hatten, und von einer "Todesgruppe" zu sprechen, ist in anderen Ländern schwer verboten.

In Norwegen machte man sich deswegen sofort daran, positive Stimmung zu verbeiten. Dazu gab es auch allerlei Gründe: Die nicht teilnahmeberechtigten Schweden hatten in einer Umfrage der Zeitung Aftonbladet zu 69 Prozent erklärt, auf keinen Fall dem skandinavischen Brudervolk die Daumen drücken zu wollen: "Ich hoffe, Norwegen versagt, sonst werde ich wohl richtig wütend sein", erklärte ein Leser stellvertretend für die Mehrheit. Die restlichen 31 Prozent gaben hingegen unter anderem die gute Nachbarschaft als Motiv für die Norge-Unterstützer an, nur einer hatte einen recht simplen Grund: "Weil ich norwegisch bin!" Diese ziemlich massive Ablehnung freut die Norweger sehr, schon jetzt ist man gespannt darauf, wie die Schweden auf das Erreichen des Achtelfinales reagieren werden. Das wird nämlich erreicht, soviel steht jetzt schon fest. Schließlich hatte man vor kurzem Brasilien im Ulleval-Stadion mit 4:2 geschlagen.

Der große Plan, wie ihn Dagbladet austüftelte, sieht nun also folgendes vor: "Marokko paßt den Drillos sehr gut. Die Bereitschaft, die Anweisungen von Trainer Henri Michel zu vergessen, steigt proportional zur Anzahl der Minuten, die diese Mannschaft auf harten physischen Widerstand trifft." Klarer Fall: Drei Punkte.

"Schottland hat kein Geheimrezept, nur ein riesengroßes kollektives Herz. Genau wie die Drillos. Schottland spielt wie wir, und das paßt uns so gesehen gar nicht. Aber jetzt können die Drillos das, was sie bei der WM vor vier Jahren noch nicht konnten: Überraschen. Drei Punkte."

Das letzte Gruppenspiel gegen Brasilien wird ausgerechnet am Sankthansaften ausgetragen, der Sommersonnenwende, in ganz Skandinavien Anlaß zu großen Feiern mit viel Alkohol. Daß man ausgerechnet an dem Tag gegen Brasilien gewinnen kann, glaubt man zwar nicht so recht, aber zum zweiten Tabellenplatz sollte es wohl reichen.

Und ab dann muß man vielleicht auch nur noch einmal in Marseille spielen und kann so die Gastgeber erfreuen. La Provence, eigentlich mit dem französischen WM-Los (Gruppe D, mit Südafrika, Saudi-Arabien und Dänemark) ebenso zufrieden wie z.B. Stürmer Youri Djorkaeff ("Ich kann jetzt gut schlafen") und Mittelstürmer Christophe Dugarry ("Es hätte schlimmer kommen können") zeigte sich nämlich sehr unglücklich darüber, daß Norwegen im Marseiller Stadion spielt. "Norwegen sollte nicht mit allzuviel Unterstützung rechnen, auch wenn es in Marseille eine Narvik-Basis gibt - und die Stadtfahne der norwegischen zum Verwechseln ähnlich ist": Denn die Franzosen haben das langweiligste Spiel der letzten WM, Irland gegen Norwegen, wohl auch gesehen und wünschen sich ganz dringend Schottland als Gruppenzweiten. Die dann im Achtelfinale gegen den Ersten der Gruppe B, wohl Italien, in Marseille spielen würden.